Tag Archiv für europa

Ambiguität – bedeutsam für die Geschlechterforschung. Rezension von: Thomas Bauer, „Die Kultur der Ambiguität – Eine andere Geschichte des Islams“.

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst und vollständig hier bei querelles-net.de (13 (1)).

Abstract: Die umfassende Arbeit des Arabisten und Islamwissenschaftlers Thomas Bauer bietet eine exzellente Ausgangsbasis, um in der Geschlechterforschung weiterzudenken. Einerseits können nun die sich mit der ‚Moderne‘ etablierenden Gegensatzpaare Homosexualität vs. Heterosexualität und Frau vs. Mann (im Sinne eindeutiger und ‚wahrer‘ Zweigeschlechtlichkeit) als Modernisierungsphänomene vertiefend erforscht werden. Andererseits wird die Bedeutung von Ambiguität gründlich erschlossen: Mit der ‚Moderne‘ habe sich – so führt Bauer plastisch aus – die zuvor bereits in abendländischem Denken vorhandene Tendenz, nach Eindeutigkeit und Wahrheit zu suchen, weiter verstärkt. Widersprüchlichkeiten galten nun als Problem und wurden nach Möglichkeit beseitigt. Im arabischen Raum habe man sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts und mit Bezug auf europäische Quellen der Tilgung von Ambiguität angeschlossen. weiter bei querelles-net.de

Die Kette – und das Schiff, das Meer, die ganze Welt Zum 100. Geburtstag von Jean Genet

(von Salih Alexander Wolter, erschienen in Rosige Zeiten, Nov./Dez. 2010; Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors)

„O nein“, antwortete Jean Genet 1975 in einem seiner seltenen Interviews Hubert Fichte auf die Frage, ob er ein revolutionäres Konzept der Sexualität habe. Dabei scheint das ebenso ein Gemeinplatz zu sein wie der andere, um den man auch zum hundertsten Geburtstag Genets kaum herumkommen wird: dass die „Biographie des Autors … hier untrennbarer Teil des Werkes“ sei, wie es in Fritz J. Raddatz´ Aufsatz über Querelle in der ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher heißt. `Ihr sagt, ich sei schwul – ich sage: Ich bin der Schwule´, lautete schließlich das Credo dieses `heiligen Monsters´ der französischen Literatur, das der Philosoph Jean-Paul Sartre 1952 in einer monumentalen Studie als Saint-Genet des Existentialismus kanonisierte. Da war die Handvoll Romane schon geschrieben – überwiegend im Gefängnis, zum Teil auf Toilettenpapier, wie kolportiert wurde –,  denen der am 19. Dezember 1910 in Paris geborene ehemalige Fürsorgezögling, Stricher und Kleinkriminelle den Einsatz einiger der angesehensten Intellektuellen des Landes für seine Begnadigung verdankte, als ihm nach einem `Rückfall´ (er hatte ein Buch gestohlen!) lebenslange Haft drohte. Er arbeitete danach noch sehr erfolgreich als Dramatiker, bevor er sich in den 1960er-Jahren wieder aus dem Kulturbetrieb zurückzog. Genet schrieb kaum noch etwas,  lebte ohne festen Wohnsitz in kleinen Pariser Hotels oder bei seiner Wahlverwandtschaft in Marokko und machte gelegentlich Schlagzeilen mit seinem radikalen politischen Engagement – etwa, als er illegal in die USA einreiste, um die Black Panther zu unterstützen, oder sich den palästinensischen Fedajin anschloss (darüber verfasste er dann kurz vor seinem Tod 1986 doch noch einen großen poetischen Bericht). Mit dem neuen Homo-Selbstbewusstsein, das sich nach Stonewall in den westlichen Metropolen artikulierte, konnte er dagegen nichts anfangen – vielleicht, weil er für sich, wie Raddatz meint, unsere Gesellschaft am überzeugendsten verwarf, indem er sie so annahm, wie sie ist. „Revolutionär – nein“, wiederholte er gegenüber Fichte und fügte unvermittelt hinzu: „Der Umgang mit Arabern hat mich im Allgemeinen meistens glücklich gemacht und mich befriedigt.“ Weiterlesen

Europa – eine gute Wahl. Die Wahlprogramme der Parteien zur Europawahl.

(von Heinz-Jürgen Voß, vorab aus „Rosige Zeiten“, Juni/Juli 2009)
Der Europäischen Union sind in den letzten Jahren zahlreiche Verbesserungen zu verdanken, von denen auch Lesben, Schwule, Transgender und Intersexuelle profitieren. Zu erwähnen ist insbesondere das Antidiskriminierungsgesetz, dass einen rechtlichen Rahmen bietet, um sich gegen Diskriminierungen im Beruf und von Seiten von Behörden zur Wehr setzen zu können. Auch Empfehlungen der Europäischen Kommission gegen die Abschiebung von Menschen, die in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Asyl suchen und in ihren Herkunftsländern mit erheblichen Strafen oder dem Tode bedroht werden, bspw. auf Grund ihrer Homosexualität, gehen weit über einige Regelungen hinaus, die noch in einigen Mitgliedsländern der EU gelten. Eine unrühmliche Rolle für die Abschiebepolitik auch von verfolgten Flüchtlingen und gegen die Aufnahme von Flüchtlingen bspw. aus dem Irak hat immer wieder in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesland Niedersachsen gespielt. Hier wäre einiges Positives zu erwarten, wenn die Europäische Union, die Europäische Kommission, aber insbesondere das Europäische Parlament mehr Rechte erhielte. Weiterlesen

Georg Klauda: „Die Vertreibung aus dem Serail. Europa und die Heteronornmalisierung der islamischen Welt“

(rezensiert von Salih Alexander Wolter; veröffentlich in „Rosige Zeiten“, Nr. 119)

 

„Ein Faktum, das dem Menschsein als solchem entspringt“
Georg Klaudas notwendige Kritik des schwulen Islam-Diskurses.

Diese Studie will politisch genommen werden, also doch wohl „persönlich“. Denn wo selbstbewusste deutsche Lesben und – um die geht es hier vor allem – Schwule vermeinen, sich mit „dem Islam“ auseinanderzusetzen, stößt Georg Klauda sie auf ihre „Unfähigkeit, die Heteronormierung der eigenen Gesellschaft überhaupt noch als solche wahrzunehmen“ (S. 123). Der 1974 geborene Diplom-Soziologe und Historiker – ehemals Schwulenreferent im AStA der FU Berlin und an den Anfängen der sexualemanzipatorischen Zeitschrift Gigi beteiligt – zeigt, dass „die Formierung einer `selbstbewussten´ homosexuellen Identität“ ebendiese Heteronormierung nicht nur zur Bedingung hat. Sie trägt, begriffen „als Teil eines von westlicher Seite voranzutreibenden Emanzipationsprozesses“, sogar noch zu deren Durchsetzung – gegebenenfalls mit militärischem Zwang – in aller Welt bei, indem sie „einer dubiosen Ethnisierung der Menschenrechte“ Vorschub leistet – „so als müsste man sich zu einer bestimmten Minderheit bekennen, um sexuelle Rechte überhaupt einklagen zu dürfen“ (S. 133). Weiterlesen

Eine queere EU gestalten – Vorurteile und Diskriminierung abbauen. Forderungen der BAG queer der PDS

In den vergangenen Jahren hat sich einiges in der Europäischen Union getan. Erstmals wurden mit dem Amsterdamer Vertrag 1997 ein Diskriminierungsverbot als Ziel europäischer Politik festgeschrieben. In Artikel 13 heißt es: „ Unbeschadet sonstiger Bestimmungen kann der Rat […] einstimmig geeignet Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen[…] der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“. Mit der Grundrechtscharta der EU wurde im Jahre 2000 dieser Weg weiter beschritten. Artikel 21 verbietet erstmals explizit die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.
Eine konkrete Umsetzung gab es mit der EU-Richtlinie „Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG)“, die zwingend in nationales Recht aller Mitgliedsländer umgesetzt werden muss. Das Verbot von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist auch Bestandteil des Entwurfes der EU-Verfassung. Die Europäische Union erweist sich damit als Vorreiter, die mit ihren Beschlüssen zumeist über das hinausgeht, was in den meisten europäischen Staaten Grundlage der Rechtssprechung ist.
Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch hier noch erheblichen Handlungsbedarf gibt und neue Benachteiligungen, beispielsweise durch eine rigide Abschottungspolitik, nach außen produziert werden.
In vielen Ländern der EU und denen die im Mai 2004 neu aufgenommen werden sollen, existieren immer noch deutliche Defizite bei der Gleichbehandlung von Menschen aller Identitäten oder sexuellen Orientierungen. Weiterlesen