Tag Archiv für akzeptanz

Ein innovatives Lebensbuch, eine anregende Idee für ein offenes Berlin

von Heinz-Jürgen Voß, zuerst auf www.kritisch-lesen.de, Nr. 24

Irene Runge:
Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand – oder Reisen Ankommen Leben
Kulturmaschinen Verlag
16,90 EUR, broschiert, ISBN: 978-3-940274-61-8

Ein ganz heißer Tipp für eine lebendige Geschichte, für Aktualität und Lernen, ein Plädoyer für Offenheit und Akzeptanz, für das beste von Manhattan für Berlin, dafür, zu leben.

Wer dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse war und die Berichterstattung ringsherum verfolgt hat, der_demjenigen wird vielleicht eines aufgefallen sein: Kein Buch wurde als „absolutes Muss“ präsentiert, kein Buch wurde in den Feuilletons der großen oder der schönen Zeitungen und Zeitschriften hin und her gewälzt. Es gab literarisch offenbar nichts zu berichten, die Frankfurter Buchmesse hatte somit eigentlich gar nicht richtig stattgefunden…

Dabei wäre der autobiographisch geprägte „Roman“ – der zwischen den Genres laviert – „Wie ich im jüdischen Manhattan zu meinem Berlin fand: oder Reisen Ankommen Leben“ von Irene Runge das Muss für die Literaturspalten der Zeitungen gewesen. Einziges Problem wohl, um auf Bestsellerlisten zu kommen oder etwa den deutschen Buchpreis zu erhalten: Das Buch ist als preisgünstige Softcover-Ausgabe in einem kleinen Verlag mit einem schönen und ausgewählten Programm erschienen. Das hat man in Frankfurt nicht so gern. Weiterlesen

„Badehäuser in Baku 1“ – Ein sehr guter Beitrag von rhizom.blogsport.eu zu Feddersen und Kraushaar

Ein sehr guter Beitrag von rhizom.blogsport.eu, dessen Anfang hier wiedergegeben wird – weiterlesen dann bitte hier, auf rhizom.blogsport.eu.

 

Seit 17 Jahren betreut Elmar Kraushaar, ein Urgestein der zweiten deutschen Schwulenbewegung, eine monatliche Spalte in der «taz» mit dem Titel «Der homosexuelle Mann…» Ich gehöre zwar nicht zu ihren regelmäßigen Lesern, aber der «Skandal», dass die Kolumne im Juni ausgesetzt wurde, hat über die dadurch ausgelöste Welle der Empörung («Zensur, Zensur, rund um die Uhr!») am Ende auch mich erreicht. Aus Sicht der Redaktion hat sich Kraushaar des «unkollegialen Verhaltens» schuldig gemacht, als er in seiner Kolumne einen Redakteur der Zeitung angriff, der, seit ich denken kann, den «rechten Flügelmann der taz» abgibt: Jan Feddersen.

Nun hätte es in 17 Jahren zahlreiche Anlässe gegeben, sich einmal mit Feddersen zu befassen, etwa als dieser im Hinblick auf die angeblich besondere Homophobie migrantischer Jugendlicher von der Notwendigkeit einer «Zivilisierung des Vormodernen» sprach. Die Formulierung einer solchen kolonialen Zivilisierungsmission im Namen des «homosexuellen Mannes» war Kraushaar aber damals egal – und vielleicht sogar mehr als das. Denn was Kraushaar jetzt schäumen lässt, ist nicht diese Mission, die Feddersen jahrelang vor sich hergetragen hat, um Muslime zu den «Anderen» zu machen, die von «uns» beaufsichtigt und erzogen werden müssen. Es ist gerade der Verrat an ihr, den er sich am 20. Mai 2012 als «embedded» Reporter für den Eurovision Song Contest in Baku geleistet hat:

[D]as westliche Gerücht, dass in Aserbaidschan Schwule – von Lesben ist nie die Rede – drakonisch unterdrückt werden, darf als Gräuelpropaganda von, nennen wir sie: Menchenrechtisten genommen werden. Homosexualität ist nicht nur nicht strafbar, sondern es hat, im Gegensatz zu Serbien, Russland oder der Ukraine, gegen Homosexuelle auch hier nie nationalistische Flashmobs gegeben. […] In der Fußgängerzone flanieren Männer, immer einen Buddy dabei; legen einander die Arme über die Schulter, haken sich an den Armen ein. […] Im Euro-Club, dem Fandiscozentrum dieser Tage am Bulvar, der Corniche am Kaspischen Meer, sind viele Hunderte zu Gast, auch Azeris – und niemand empört, dass da recht eigentlich zu 80 Prozent Männer tanzen, ersichtlich miteinander.

Rechtfertigt das einen Skandal? Ja, meint Steffen Niggemeier, hat Feddersen in seiner ESC-Berichterstattung doch «ausdauernd Leute verächtlich [ge]macht, weil sie sich in einem Land wie Aserbaidschan für Menschenrechte einsetzen». Dass Aserbaidschan eine autoritäre Diktatur ist, ähnlich vielen anderen postsowjetischen Staaten, konnte in den letzten Wochen jeder erfahren, der in der Lage war, den Einschaltknopf seines Fernsehers zu betätigen. Doch die angeblichen Menschenrechtsverletzungen an «Homosexuellen» bleiben weiter im Dunkeln.

Umso mehr ergeht man sich in Andeutungen, weil die nach Baku angereiste Fanszene des «Eurovision Song Contest» als überwiegend schwul gilt und sich mit größter Wonne ihren paranoiden Bildern über «islamische Länder» widmet. Aber Aserbaidschan ist kein islamisches Land, sondern eine säkular-laizistische Diktatur, in der nicht einmal die Opposition religiös ist und gerade einmal 10% der Bevölkerung den Islam überhaupt regelmäßig praktizieren. Doch das scheint weiter keine Rolle zu spielen. Die Sehnsucht nach dem Stereotyp ist stärker, und so trieb das schwule Stadtmagazin «Hinnerk» in seiner letzten Ausgabe fünf Azeris mit perfekten Deutschkenntnissen auf, die sich der Autor aus dem Internet-Portal «Gayromeo» geangelt haben will, und lässt sie mit Schaudern über die Unterdrückung von «Homosexuellen» in ihrer Heimat erzählen. Überschrift: «Keine Küsse auf der Straße!»

Angesichts dieser Medienkampagne, die noch immer ohne alle Fakten auskommt, reibt sich Elhan Bagirow vom “Bündnis für Geschlechter­entwicklung” in Aserbaidschan verwundert die Augen. Seine Organisation betreibt mit staatlichem Segen Aids-Aufklärung für azerische Männer, die Sex mit Männern haben, und verteilt kostenlos Kondome. Im Deutschlandfunk ärgert er sich über die Berichterstattung westlicher Medien, die Aserbaidschan als ein «besonders homophobes» Land darstellen:

Verglichen mit allen anderen postsowjetischen Staaten ist die Lage von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen in Aserbaidschan in vieler Hinsicht besser. Bei uns werden keine homophoben Gesetze verabschiedet wie zurzeit in Russland. Und bei uns wettern auch keine Kirchenoberhäupter oder Omas mit Kreuzen gegen Schwule und Lesben. Die muslimischen Führer haben sich hier überhaupt noch nicht zu dem Thema geäußert.

Weiß Kraushaar es besser, wenn er zur Solidarität mit «unseren Schwestern» in Aserbaidschan aufruft? Und wogegen ruft er überhaupt zur Solidarität auf? Kann er es benennen?

Kaum. Kraushaars Informationen sind eine Ansammlung von Bildern, wie sich Schwule hierzulande Unterdrückung vorstellen. Was er beschreibt, ist nicht die Realität Aserbaidschans, sondern die Erfahrungen seiner Generation in der BRD der 60er Jahre. Es sind abgespaltene und in die Ferne projizierte Elemente der eigenen Biographie:

Denn das scheint die oberste Maxime der heimischen Schwulen zu sein: Aufpassen, dass man nicht gesehen wird. Ein schwules Leben ist möglich — als Doppelleben, im Versteck und in der Nacht.

Hier geht es weiter – und es ist noch ein zweiter Beitrag für heute angekündigt!

Und hier geht es nun zum zweiten Beitrag.

Geschlecht und Sexualität in Schulbüchern – weiterhin heteronormativ. Hier ein Auszug aus Biologie-Lehrbüchern:

Eine aktuelle Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (erarbeitet von Melanie Bittner, im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung) kommt zu einem äußerst ernüchternden Ergebnis zu den Betrachtungen von Geschlecht und Sexualität in deutschsprachigen Schulbüchern. Von den französischen Fortschritten ist man weit entfernt. Es ist kein Wunder, dass Homophobie, Transphobie und die Mythen „männliche Aktivität“ vs. „weibliche Passivität“ so weit verbreitet sind, wenn weiterhin ausschließlich das Eindringen des erigierten Penis in die Vagina als Sex beschrieben wird. Mädchen und Frauen werden speziell in den Biologie-Lehrbüchern als passive Beigabe erklärt, in die der Penis des Jungen bzw. Mannes einzudringen hat. Zu den Biologie-Lehrbüchern erarbeitet die Studie:

„Auch die üblichen Definitionen von Geschlechtsverkehr verdeutlichen Heteronormativität in Biologiebüchern [- dort heißt es unter anderem]: „Beim Geschlechtsverkehr wird das Glied durch Aufnahme von Blut in die Schwellkörper versteift und dann in die Scheide einer Frau eingeführt.“ „Geschlechtsverkehr: Sex, Liebe machen. Der steife Penis gleitet in die Scheide. Beim Geschlechtsverkehr gelangen Spermien des Mannes in die Scheide der Frau.“ „Beim Geschlechtsverkehr gleitet der Penis in die Scheide.“ Diese Definitionen sind nicht nur heteronormativ, sie schreiben außerdem Männern beim Geschlechtsverkehr grundsätzlich eine aktive Rolle zu und Frauen eine passive Rolle. Zum Teil wird die Vagina bzw. weibliche Erregung geradezu funktionalisiert, so dass sie nur der Penetration durch einen Penis zu dienen scheint. […Folgerung:] Wieder ist der Kritikpunkt nicht, dass diese Form von Sexualität erklärt wird, sondern dass sie als einzige Form von Sexualität dargestellt wird. Nur die vaginale Penetration durch einen Penis wird als Geschlechtsverkehr definiert, ist „richtiger“ Sex, was die Vielfalt heterosexueller, homosexueller und bisexueller Praktiken normativ einengt. Die Analyse zur Konstruktion von Heteronormativität und der Darstellung von Homo- und Bisexualität in 12 aktuellen Biologiebüchern legt einen dringenden Bedarf offen, Lösungsansätze zu finden, wie Sexualität altersgerecht thematisiert werden kann, ohne Heterosexualität zur Norm zu erklären.“

Das war nur ein kurzer Ausblick auf die Biologie-Bücher.

Wenn der Prinz den Prinzen küsst: Kinderbücher zu Regenbogenfamilien

(rezensiert von Heinz-Jürgen Voß, zuerst in „Rosige Zeiten“, Nr. 136 – vielen Dank an die Redaktion für die Einwilligung in die Zweitveröffentlichung!)

 

Immer küsst der Prinz die Prinzessin. Wie soll so Akzeptanz zu unterschiedlichen Lebensweisen von Menschen, zu Regenbogeneltern und Regenbogenkindern aufkommen? Es fehlen alternative kulturelle Codes, in denen Kinder schon ganz früh ganz vielfältige Möglichkeiten haben, sich selbst zu sehen – und nebenbei auch damit vertraut werden, dass es eben auch Lesben und Schwule gibt und dass einige Kinder – vielleicht sie selbst – lesbische Eltern haben oder schwule …oder aber irgendwie ganz anders leben und in ihrer Familie glücklich sind. Ganz fehlen diese Codes indes mittlerweile nicht mehr, weil aktuell Kinderbücher erscheinen, in denen der Prinz eben auch den Prinzen küsst, ein Junge auch mit Puppen spielt und „Irgendwie Anders“ keinen einzigen Freund hat, bis „eines Tages ein seltsames Etwas vor seiner Tür stand. Das sah ganz anders aus als Irgendwie Anders, aber es behauptete, genau wie er zu sein…“ Im Folgenden werden einige der Bücher vorgestellt, die sich übrigens auch für große Kinder eignen, die einfach mal wieder eine schöne Geschichte lesen wollen, in der sie sich vielleicht auch irgendwo selbst sehen 🙂

„Irgendwie Anders“, von Kathryn Cave und Chris Riddell, ist bereits 1994 erschienen und liegt in einer großformatigen Fassung vor. 1995 und 1997 mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem „UNESCO-Preis für Kinder- und Jugendliteratur“ ist es ein sehr schönes Buch, dass über großformatige Abbildungen und kurze Bildunterschriften den Alltag von „Irgendwie Anders“ beschreibt, einem kleinen blauen Wollknäuel, das lächelt, Bilder malt, Mittagessen in einer Papiertüte transportiert… Aber es malt nicht so, wie die anderen, spricht anders, isst andere Dinge – so dass die anderen Tiere es nicht haben wollten. Irgendwie Anders geht traurig nach Hause. Aber da klopft es an der Tür – und davor stand das Etwas. Zunächst überrascht, weiß Irgendwie Anders mit ihm nichts anzufangen und ist abweisend – und das Etwas geht hängenden Kopfes davon. Es ist noch nicht weit, da fällt es Irgendwie Anders wie Schuppen von den Augen. Schnell rennt es dem Etwas nach: „Als er das Etwas eingeholt hatte, griff er nach seiner Pfote und hielt sie ganz, ganz fest. ‚Du bist nicht wie ich, aber das ist mir egal. Wenn du Lust hast, kannst du bei mir bleiben.‘ Und das Etwas hatte Lust.“ Sie waren verschieden, aber vertrugen sich – und wenn jemand an die Tür klopfte, rückten sie einfach ein bisschen zusammen. Besser kann ein Kinderbuch nicht gemacht sein. Es bietet gefühlvoll einen Zugang zu Anderssein, auf Grund der liebevoll dargestellten Figuren gibt es Kindern die Gelegenheit, sich mit diesen zu identifizieren – und so auch Halt zu finden, wenn im Kindergarten oder in der Schule mal wieder „alle blöd waren“, aus welchen Gründen auch immer. Ergänzend zum Buch gibt es: „Irgendwie Anders – Bilderbuchtipps“ und online gibt es Anregungen, wie das Buch gut als Material in der Grundschule verwendet werden kann ( http://www.agprim.uni-siegen.de/GS_SOS_WS0506/ureiheirgendwie.pdf ). Geeignet ab etwa 4 Jahre. Weiterlesen

„Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“

(von Heinz-Jürgen Voß, erschienen in „Rosige Zeiten“, Juni/Juli 2009)
Im März diesen Jahres hat das Berliner Abgeordnetenhaus eine weitreichende Initiative verabschiedet, die Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierungen beinhalten, die über bisherige weit hinausgehen (Drucksache 16/2291).

Bisherige Gesetze – Abschaffung unterschiedlicher Schutzaltergrenzen bei Homo- und Heterosexualität (1994), Eingetragene Lebenspartnerschaft (2001), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (2006) – waren dazu gedacht, Diskriminierungen in der Gesellschaft abzubauen und für Toleranz und Akzeptanz zu wirken. In der Folge dieser Gesetze wurden weitere Regelungen angeglichen, die bspw. bislang homosexuelle Paare, die in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft (ELP) leben gegenüber heterosexuellen Paaren in einer Ehe diskriminierten. Berlin hat hier vielfach eine Vorreiterinnenrolle in der Bundesrepublik Deutschland eingenommen, hat bspw. eine Landesstelle für Gleichbehandlung geschaffen, auf sexuelle Vielfalt verweisende Lehrpläne initiiert, die Gleichbehandlung von in ELP und in Ehe lebenden Paaren vorangetrieben.

Dennoch zieht das Berliner Abgeordnetenhaus in der großen Mehrheit – die CDU-Fraktion war bei der Abstimmung nicht zugegen – eine ernüchternde Bilanz: „Trotz dieses breiten Engagements hat sich bislang gezeigt, dass grundsätzliche Veränderungen in der Akzeptanz sexueller Vielfalt nicht nur eines langen und kontinuierlichen Wirkens bedürfen, sondern auch einer Erweiterung der bestehenden Antidiskriminierungsarbeit. Ohne einen Ausbau, der an den richtigen Stellen ansetzt, ist zu befürchten, dass die bisherigen Maßnahmen angesichts des Ausmaßes der Ablehnung und Gewalt gegenüber LSBTTI [Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle, Anm. der Autorin] den gesellschaftlichen Veränderungsprozess nicht lange genug und ausreichend stützen können.“ Das Berliner Abgeordnetenhaus stellt fest: „Akzeptanz lässt sich nicht anordnen.“ Weiterlesen

Gay Nationality? – oder: Patrioten sind Idioten, auch wenn sie lesbisch oder schwul sind!

Autorin: Heinz-Jürgen Voß

# 1 # Queer Nation und ein neues ‚Magnus-Hirschfeld-Institut‘
Endlich sind wir angekommen!! *yeah* Es hat sich ein breites Bündnis gebildet, Namens ‚Queer Nations‘, dass den Wiedergründung des Magnus-Hirschfeld-Institutes fordert (dieses Sexualwissenschaftliche Institut war 1933 im Nationalsozialismus von der deutschen Bevölkerung geplündert und zerstört wurden). Mit interdisziplinärer Forschung könnten dort gesellschaftliche Vorurteile u.a. gegenüber Leseben und Schwulen abgebaut werden und Sexualaufklärung betrieben werden. Prompt kommen aus allen politischen Lagern Jubelschreie. Wenn dies von CDU bis Linkspartei einhellig der Fall ist, sollten wir bewegt sein, genauer hinzuschauen: Warum kommt eine solche Initiative jetzt – erst 73 Jahre nach Plünderung und Zerstörung? Wer und was verbirgt sich hinter dieser Initiative? Warum die Namensanleihe bei ‚Queer Nations‘? Weiterlesen