Tag Archiv für homonationalismus

Schlussstrich-Diskurs zur NS-Zeit – die von Patsy l’Amour laLove gehostete „Polymorphia“ und die auftretende „Geschichtslehrerin“

Gastbeitrag von zwei Teilnehmenden der Veranstaltung

Berlin: Es sollte ein heiterer Abend werden – mit Tunten-Performance und einem starken Zeichen für mehr Offenheit gegenüber der eigenen Weiblichkeit in der Schwulen-Szene. Was aber am 18. November 2016 bei der von Patsy l’Amour laLove gehosteten „Polymorphia“ im SchwuZ abging, war krass.

Ausgangspunkt war eine spontane Stand-up-Performance einer weiß-deutschen Darstellerin, die sich als „Geschichtslehrerin“ vorstellte. Sie holte das Thema Konzentrationslager und Nazi-Zeit auf die Bühne. Inhalt der Performance war eine Klassenfahrt zur Gedenkstätte Sachsenhausen. Einer der größeren Witze richtete sich darauf, dass die Schüler dort ja nur zu Besuch seien – sie und Publikum: „Haha“. Sie jammerte darüber, dass die Gedenkstättenpädagogik sie sicherlich als Nazis wahrnehmen würde, denn die Kids hätten lieber geredet und wären nicht so aufmerksam gewesen.

Sie sei aber kein Nazi, auch wenn sie – bei ihrer Performance – hohe Lederstiefel trage – sie und Publikum: „Haha“.

Dann hätten ihr zwei (gleichgeschlechtliche) Schüler_innen erzählt, dass sie jetzt zusammen seien. Sie – die Lehrerin – sei ja vor der Klasse geoutet. Sie habe die beiden trotzdem angeherrscht, dass sie leise sein sollten, weil sie ja schließlich „im KZ“ seien. Nachher habe sie sich geschämt, denn es könne nicht angehen, dass sich „Schwuchteln“ an so einem Ort gegenseitig zum Schweigen brächten, schließlich seien sie dort ermordet worden.

Das Ganze wurde in selbstkommentierter Slapstick-Art performt. Das Publikum ist mitgegangen, hat den Auftritt am Ende beklatscht, und zwischendurch wurde erheitert gelacht. Dass ein solch skandalöser Auftritt mittlerweile durchgeht, dass das Publikum johlend mitmacht, weist auf einen bedenklichen Zustand der schwulen Szene hin – zumindest derjenigen, die dort war. Die „Geschichtslehrerin“ wurde weder von der verantwortlichen Einladenden noch vom Publikum von der Bühne gepfiffen, obwohl sie einerseits einem Schlussstrich-Diskurs zuarbeitete – das KZ könne verlacht werden, und es sei vollkommen selbstverständlich, dass Schüler_innen eine Geschichtsstunde dort nicht ernst nehmen würden. Gleichzeitig wird einer reinen Opfergeschichte in Bezug auf Schwule zugearbeitet. Ist das das neue selbstgerechte weiß-deutsche Geschichtsbild, das Schwule vermitteln wollen? – sollten sich die „Geschichtslehrerin“, Patsy l’Amour laLove, das SchwuZ und das Publikum fragen. Warum wird mit einer solchen Geschichtsklitterung auf der Bühne gearbeitet – anstatt sich ernsthaft einer Erinnerungsarbeit anzunehmen, in der differenziert Opfer- und Täterschaft von schwulen Männern nachgespürt wird – hier könnte auch Performance einen Beitrag leisten. Wenn es aber einer Darstellerin offenbar nicht möglich ist, ein Thema angemessen zu erarbeiten, dann sollte sie es besser lassen und stattdessen ein Geschichtsbuch lesen oder eine echte Geschichtslehrerin fragen!

„Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität: Kritische Perspektiven“ – Buch von Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß

PSY-Cetin-2549-v03.inddSehr gern weise ich auf das gerade erschienene Buch „Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität: Kritische Perspektiven“ von Zülfukar Çetin und mir hin. Wir freuen uns auf Diskussionen und eure und Ihre Anmerkungen. Gern könntet ihr und könnten Sie ein Rezensionsexemplar bestellen – entweder direkt beim Verlag oder bei: Heinz-Jürgen Voß, voss_heinz@yahoo.de .

Deutlich wird im Band u.a., dass das Konzept „Homosexualität“ selbst von den emanzipatorisch Streitenden im Gegensatz zum „dem Sex ‚der Anderen'“ entwickelt wurde, also gegen den gleichgeschlechtlichen Sex z.B. in Süditalien und der Türkei. Von den historischen Betrachtungen wird der Bogen zu aktuellen rassistischen Debatten und Akteuren gespannt. Gleichzeitig wird analytisch hergeleitet, warum „schwul“ auf Schulhöfen ein oft abwertend genutzter Begriff ist, wenn er auch meist flachsend verwendet wird; es wird klar, warum das so bleiben muss, wenn nicht auch auf neue Konzepte zurückgegriffen wird …

Nun die detaillierten Informationen:

Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß:
Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität: Kritische Perspektiven

# Oktober 2016; 146 Seiten; 19,90 Euro
# ISSN: 2367-2420
# Psychosozial-Verlag, https://www.psychosozial-verlag.de
# Informationen zum Buch beim Verlag

# Klappentext:
Vorangetrieben von »Schwulen« selbst wurde seit dem 19. Jahrhundert das Konzept schwuler Identität durchgesetzt. Noch heute gelten »Sichtbarkeit« und »Identität« weithin als Schlüsselbegriffe politischer Kämpfe Homosexueller um Anerkennung und Respekt. Jedoch wird aktuell immer deutlicher, dass auf diese Weise ein Ordnungsregime entsteht, das auf Geschlechternorm, Weißsein, Bürgerlichkeit und Paarbeziehung basiert. So werden beispielsweise Queers of Color und Queers mit abweichenden Lebensentwürfen marginalisiert.

Die Autoren des vorliegenden Bandes hinterfragen die Gewissheit, dass eine einheitliche schwule Identität existiert, aus unterschiedlichen Perspektiven: bewegungsgeschichtlich, wissenschaftstheoretisch und mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Homonationalismus und rassistische Gentrifizierung.

16. Juli 2016, Leipzig: Erste Einblicke in das neue Buch „Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität“

Passend zu dem am 16. Juli stattfindenden CSD in Leipzig gibt es bei der „Radical book fair“ (ab 16:30 Uhr, Veranstaltungsort) erste Einblicke in das neue Buch „Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität“, das aktuell im Druck ist und im Herbst im Gießener Psychosozial-Verlag erscheint. Das von Zülfukar Çetin und Heinz-Jürgen Voß verfasste Buch wendet sich facettenreich und kritisch Politiken der Sichtbarkeit zu. Unten folgt der Klappentext – ausführlichere Passagen des Buches gibts in Leipzig. Vielen Dank an Salih Alexander Wolter für die tolle Unterstützung sowie das gemeinsame Nachdenken und Arbeiten!

Klappentext: Vorangetrieben von »Schwulen« selbst wurde seit dem 19. Jahrhundert das Konzept schwuler Identität durchgesetzt. Noch heute gelten »Sichtbarkeit« und »Identität« weithin als Schlüsselbegriffe politischer Kämpfe Homosexueller um Anerkennung und Respekt. Jedoch wird aktuell immer deutlicher, dass auf diese Weise ein Ordnungsregime entsteht, das auf Geschlechternorm, Weißsein, Bürgerlichkeit und Paarbeziehung basiert. So werden beispielsweise Queers of Color und Queers mit abweichenden Lebensentwürfen marginalisiert. Die Autoren des vorliegenden Bandes hinterfragen die Gewissheit, dass eine einheitliche schwule Identität existiert, aus unterschiedlichen Perspektiven: bewegungsgeschichtlich, wissenschaftstheoretisch und mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Homonationalismus und rassistische Gentrifizierung.

Es schließt sich um 17:30 Uhr die Vorstellung des Sammelbandes „Geschlechtliche, sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung: Praxisorientierte Zugänge“, herausgegeben von Michaela Katzer und Heinz-Jürgen Voß, an.

Klappentext: Selbstbestimmung geht über die Überwindung bzw. Abwesenheit von äußerem Zwang hinaus. Sie erfordert positives Bewusstsein über Möglichkeiten eigenen Handelns mit einem Spektrum von Anpassung bis Ausbruch. Geschlechtliche Selbstbestimmung schließt Abweichung, Veränderung und Deutungshoheit über körperliche Geschlechtsmerkmale ein.
Im vorliegenden Buch wird »Selbstbestimmung« im sexualwissenschaftlichen Diskurs aus akademischer und aktivistischer Perspektive betrachtet. Die Beiträge beleuchten Aspekte von Inter- und Transsexualität, Asexualität, Sexualität unter Haftbedingungen, im Kontext von Behinderung sowie außerhalb heterosexueller Paarbeziehungen. In ihrer Vielfalt sind die Beiträge Zeitzeugnis, geben zugleich einen Ausblick auf die Zukunft und tragen dazu bei, gängige Denkschablonen zu überwinden.
Mit Beiträgen von Anne Allex, Markus Bauer, Heike Bödeker, Jens Borchert, Diana Demiel, Andreas Hechler, Michaela Katzer, Torsten Klemm, Katja Krolzik-Matthei, Anja Kruber, Alina Mertens, Andrzej Profus, Nadine Schlag, Heino Stöver, Manuela Tillmanns, Daniela Truffer, Heinz-Jürgen Voß und Marlen Weller-Menzel

CSD Hannover: Schwule Anpassung zum Christopher Street Day

Lesenswerter Beitrag bei verqueert.de:

„Am Pfingstwochende fand der CSD Hannover statt. Wie jedes Jahr stellt sich die Frage: Will ich teilnehmen?

Das Motto ist wenig beherzt und nicht politisch – „Liebe ohne Grenzen – Liebe zur Vielfalt“ sagt alles und nichts aus. Mein Blick geht vom Motto aus weiter und ich suche nach Forderungen – vergebens. Weder hat der CSD Hannover einen Forderungskatalog, noch zeigen die Organisierenden Interesse an einer politischen Demonstration. Auf der Homepage des CSD wird die Parade mit ein paar dürren Worten abgespeist, hingegen wird breit für kommerzielle Angebote in den nächsten Wochen geworben. Und hier zeigt sich keineswegs gelebte oder geliebte ‚Vielfalt‘. Statt mit Geschlechtervielfalt wird nur mit den ewig gleichen gestylten Männer geworben, genau wie auf den allmonatlich gleichen und stets langweiligen Ausgaben der hannover’schen Schwulen-Zeitschrift „Gay-People“. Immerhin gibt es noch den Link „Szene“ auf der Homepage des CSD-Hannover. Ich habe noch etwas Hoffnung, immerhin waren zuletzt die queeren Regisseure Aydın Öztek und Aykan Safoğlu in Hannover, mit ihren queeren politischen Kurz- bzw. Dokumentarfilmen, die international gewürdigt sind. Und immerhin gibt es auch einige Orte, an denen zumindest randständig auch Politik in der lesbischen und schwulen Szene Hannovers eine Rolle spielt, wenn auch Möglichkeiten für Trans* und Inters* noch immer (nahezu) völlig fehlen. Doch bei der Szene, die der CSD Hannover kennt, bleibt der erhoffte leichte politische Aufschlag aus. Auf der Homepage heißt es nur kurz und knapp und ich zitiere vollständig: „Szene in Hannover: Neben regelmäßigen Partys & Events hat Hannover eine Reihe an schwul-lesbischen Locations. Fever Club (Club/Discothek), Caldo (Cocktailbar), Café Konrad (Café), Martinos (Bar)“. Nur die kommerziellen Schuppen – krass! Es zeichnet sich eine klare Szenerie: Cis*-Männer der Mittelklasse, schwul, weiß bespaßen sich selbst. Mich juckt es, endlich eine Gegendemonstration anzumelden, denn weiße cis*-Männer dominieren ohnehin die ganze Gesellschaft, meist auf Kosten von ‚Vielfalt‘. Weiter bei verqueert.de.

Statt deutscher schwuler Bevormundung – russische Lesben und Schwule müssen den Ton angeben

von Heinz-Jürgen Voß, zuerst veröffentlicht in Rosige Zeiten (Heft 150, S.28/29)

 

Schon vor den Weltkriegen wurde in deutschen Medien ein Bild Russlands als ‚aggressiv‘, ‚barbarisch‘, ‚unzivilisiert‘ und ‚unerschlossen‘ gezeichnet. In entsprechende Beschreibungen und Karikaturen waren ebenso antisemitische Stereotype und seit der Oktoberrevolution auch ‚Warnungen vor den Bolschewisten‘ eingeflochten. Das nationalistische und völkische Deutschland wollte seine Vormachtstellung in Europa und in der Welt behaupten. Vor diesem Hintergrund, der mit den Weltkriegen folgenden Geschichte, dem Rassenwahn, der Ermordung von Millionen von Menschen durch die Deutschen, erstaunt es schon sehr, wenn man heute in Texten und Abbildungen wieder auf das Bild Russlands als eines zu zivilisierenden Nachbarn stößt.

Damals wie heute beteiligen sich an diesen Zuschreibungen auch Männer, die auf Männer stehen. In den 1920er Jahren etwa bediente Adolf Brand in der schwulen Zeitschrift Der Eigene unverhohlen nationalistische Klischees und wandte sich gegen die ‚Weimarer Toleranz‘. Lieber als das von Magnus Hirschfeld gezeichnete Bild geschlechtlicher Zwischenstufen war ihm der ‚kernige‘, ‚arische‘ Mann. Heute sind es ebenso vielfach deutsche Schwule, die die plumpesten und dümmsten Vorurteile über Russland schüren – und dabei ebenso insbesondere deutsche Interessen verfolgen.

Denn würde es in den aktuellen Auseinandersetzungen um die Interessen russischer Schwuler und Lesben gehen, dann müssten einige Grundfesten gesetzt sein: Es wäre dann klar, dass sie den Ton und die Richtung des Streitens angeben müssten. Gesetze in Russland gegen Lesben und Schwule und dortige rechtsradikale Übergriffe treffen schließlich sie. Sie sind in Gefahr, während Vertreter des deutschen schwulen Establishments, die am Berliner Potsdamer Platz medienwirksam Fackeln anzünden, keinerlei Gefahr ausgesetzt sind, sondern nach der Aktion sich zu Hause auf ihr Sofa setzen. Letztere beteiligen sich mit solch plakativen Aktionen nur an der deutschen Großerzählung, dass Deutschland emanzipatorisch geworden sei und lenken ab von den rechtsradikalen Übergriffen in Deutschland und auch von den rassistischen und transphoben Übergriffen in der schwulen Szene selbst. Bei der „No Compact!“-Konferenz in Leipzig drückte es ein Vertreter russischer lesbisch-schwuler Selbstorganisationen deutlich aus: „Das Beste was ihr tun könnt, macht eure eigenen Hausaufgaben.“

Also: Russische Lesben und Schwule müssen die Richtung des Streitens angeben. Eine Unterstützung aus Deutschland muss sich davor hüten, dominant zu werden. Gleichzeitig gilt es, die postkolonialen Kritiken unter anderem von Gayatri Chakravorty Spivak zu verstehen: Sie macht an verschiedenen Beispielen deutlich, wie durch westliches Einmischen und westliche Zuschreibungen die Menschen, die eigentlich von bestimmten Restriktionen und Gewalt betroffen sind, zum Schweigen gebracht werden. Gerade durch das westliche Selbstverständnis eigener ‚Zivilisiertheit‘ und die entsprechenden Interventionen mit erhobenem Zeigefinger (wenn nicht gleich mit Panzern), und auch vor dem Hintergrund von Kolonialismus und Kriegen, bestärken diese Interventionen konservative Sichtweisen. In Russland wird die Berechtigung von Spivaks kritischer Sicht deutlich: Präsident Wladimir Putin setzte das Gesetz gegen die öffentliche Werbung für Homosexualität insbesondere mit solcher Argumentation durch, dass man sich vom Westen nichts vorschreiben lassen wolle und es gar nicht um die Interessen von Russ_innen gehe, sondern um solche – wie er sich ausdrückte – ‚westlicher Agenten‘. Hier sucht und findet er den Schulterschluss mit konservativen und nationalistischen Kräften in Russland.

In diesem Sinne trägt die Thematisierung und Instrumentalisierung von Homosexualität in Russland aber einen ähnlichen Charakter, wie man es auch andernorts feststellen kann. Es wird von inneren ökonomischen Schwierigkeiten (viele Menschen sind arm) abgelenkt und eine nationale Idee propagiert. Es ist interessant, wie die Thematisierung von Homosexualität auffällig oft parallel zu weitreichenden politischen Entscheidungen in Ländern geschieht. So wurde in Frankreich im vergangenen Jahr der Kriegseinsatz in Mali durchgesetzt, was aber in der öffentlichen Wahrnehmung unterging, weil alle sich über die Öffnung der Ehe und das Adoptionsrecht für Homosexuelle stritten. In Deutschland war es Ende der 1990er / Anfang der 2000er Jahre ebenso: Während intensiv über das neue Sondergesetz für Lesben und Schwule, die ‚Homo-Ehe‘, diskutiert wurde, konnte die Neubestimmung Deutschlands als militärische Weltmacht – unter anderem mit dem Krieg gegen Afghanistan – durchgesetzt werden.

Warum lassen sich Schwule so für nationale deutsche Interessen instrumentalisieren, wo es doch seit den Anfängen der so genannten Schwulenbewegung darum ging, sich gegen Herrschaft und Unterdrückung, gegen den repressiven deutschen Staat aufzulehnen? Ein Umdenken ist erforderlich. Konkret bedeutet dies für die Unterstützung russischer Lesben und Schwuler:

– Russische Lesben und Schwule müssen die Richtung und die Aktionsformen angeben; Deutsche müssen stets die eigene Position reflektieren und im Blick haben, wann eine Unterstützung umschlägt und nur noch der eigenen Selbsterhöhung dient.

– Medienbeiträge in Deutschland helfen erst einmal russischen Lesben und Schwulen nicht – sie dienen eben im Wesentlichen einer Selbsterhöhung der Deutschen (‚ach, wir sind ja so emanzipatorisch…‘). Wenn berichtet werden soll, ist stets der postkoloniale Hintergrund zu beleuchten und sollten Interviews (offen, nicht gerichtet) mit Russ_innen erfolgen

Dienstag, 19.11., Berlin: Lesung „Pink Washing Germany? Über die Deutschwaschung der schwulen Szenen“

Eine sehr empfehlenswerte Veranstaltung am kommenden Dienstag in Berlin:

Pink Washing Germany? Über die Deutschwaschung der schwulen Szenen

– Lesung mit Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter
– Dienstag, 19. November 2013, 19 Uhr
– Ort: Mio’l (Muskauer Str. 15, Berlin Kreuzberg)

Ankündigungstext:
Vor kurzem gaben Duygu Gürsel, Zülfukar Çetin und Allmende e. V. bei der Edition Assemblage den Sammelband „Wer MACHT Demo_kratie?“ mit kritischen Beiträgen zu Migration und Machtverhältnissen heraus. Er enthält auch einen von Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter verfassten Text, der zuvor schon im Internet und durch eine gekürzte Zeitschriften-Veröffentlichung für Aufsehen gesorgt hatte: „Pink Washing Germany? Der deutsche Homonationalismus und die „jüdische Karte““. Die beiden Autoren beschäftigen sich darin mit einer „Taktik der nationalen Schwulenbewegung“ (Rüdiger Lautmann) in der Bundesrepublik Deutschland und ihren Folgen: Weil die anti-homosexuelle Verfolgung nach dem Ende des NS-Regimes im Westen unvermindert andauerte (der Paragraph 175 war hier bis 1969 in der Nazi-Fassung gültig), wurden „die Schwulen“ als Opferkollektiv dargestellt, das während des Nationalsozialismus (mindestens) ebenso gelitten hätte wie die Jüd_innen. Unter den Tisch fiel dabei einerseits, dass die meisten nicht-jüdischen deutschen Schwulen, wie der Rest ihrer Landsleute, zu den Tätern und Mitläufern des Regimes gehörten – andererseits wurden damit die zahlreichen von Deutschen ermordeten nicht geschlechtskonformen Jüd_innen, Rrom_nija, Kommunist_innen, Sozialist_innen und sogenannten „Asozialen“ unsichtbar gemacht. Doch die Taktik ging auf. Als nunmehr offiziell anerkannter Teil der „Volksgemeinschaft“ zählen weiße deutsche Schwule heute vielfach zu den Stichwortgebern rassistischer Ausgrenzung, und während man sich oberflächlich für das „homofreundliche Israel“ begeistert, wird der in der Szene weit verbreitete Antisemitismus totgeschwiegen. Yılmaz-Günay und Wolter werden ihren Essay vollständig vortragen und stehen danach für Diskussionen zur Verfügung.

Weitere Infos und Link zum Text: http://salihalexanderwolter.de/lesung-pink-washing-germany-ueber-die-deutschwaschung-der-schwulen-szenen/#more-2577

Buch „Queer und (Anti-)Kapitalismus“ – Reaktionen und Buchvorstellungen

voss_wolter_queer_anti_kapitalismus

“Seit Werner Hinzpeters Schöne schwule Welt (1997) und Eike Stedefeldts Schwule Macht (1998) hat niemand mehr so konkret die Akteure der schwul-lesbischen Szene — wie etwa LSVD und Queer Nations — analysiert und kritisiert. Man darf gespannt sein, ob als Reaktion wieder nur beleidigte Abwehr kommt oder — man soll die Hoffnung nie aufgeben — ein Umdenken erfolgt.” …heißt es in der von Ulrike Kümel verfassten Rezension zum Buch „Queer und (Anti-)Kapitalismus“ auf Queer.de. Im Forum und auf der Facebook-Seite der schwulen Online-Plattform schlossen sich sogleich intensive Diskussionen an.

Auch andernorts ist das der Fall. Nur einen Monat nach Erscheinen des Buches „Queer und (Anti-)Kapitalismus“ wurde es bereits unter anderem bei maedchenmannschaft.net, die-andere-welt.de, auf freitag.de und verqueert.de und in der Zeitschrift „analyse und kritik“ besprochen: Die Wiener lesbisch-schwule Buchhandlung Löwenherz kündigt es wie folgt an: “Die spannende Frage, inwieweit erfolgreiche lesbisch-schwule Emanzipation mit dem neoliberalen Umbau der Weltwirtschaft Hand in Hand ging, untersuchen Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter in ihrem neuesten Buch. Eine anspruchsvolle Lektüre, heilsam in einem niveaulosen [österreichischen] Wahlkampf, auch wenn man nicht alle Standpunkte der Autoren teilt.”

Es ist also gute Debatte zu erwarten! Und dazu laden die Autoren ein: Eine ‚Tournee‘ an Buchvorstellungen findet ab diesem Freitag statt, mit Terminen in der Bundesrepublik, in Österreich und der Schweiz. Auftakt ist in der Literaturstadt Leipzig am 4. Oktober; es folgen Berlin (6.10.), Zürich (11.10.) und Wien (16.10.) und im November zahlreiche weitere Termine: 2.11. Braunschweig, 3.11. Nürnberg, 8.11. Bielefeld, 14.11. Bonn, 20.11. Hildesheim, 21.11. Potsdam, 4.12. Frankfurt/Main (detaillierte Informationen zu allen Terminen). Und alle Interessierten sind herzlich eingeladen!

„Wer MACHT Demo_kratie?“ – wichtige Anregungen für lesbische, schwule, queere Perspektiven

kritik_praxis-band1_COVER_V1.inddDuygu Gürsel, Zülfukar Çetin & Allmende e.V. (Hg.)
Wer Macht Demo_kratie? Kritische Beiträge zu Migration und Machtverhältnissen
edition assemblage, Infos zum Buch: Verlagsseite

Aufgrund furchtbarer Zustände in Asylbewerberheimen und die andauernde Abschiebepraxis der deutschen Behörden zogen Flüchtlinge von Würzburg nach Berlin. In München fand ein Hungerstreik statt, der unter Einsatz massiver Polizeigewalt aufgelöst und die Menschen vielfach in Abschiebeunterbringung inhaftiert wurden.

Mittlerweile wird immer deutlicher, wie die demokratischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland nicht für alle Menschen gelten. Bei Flüchtlingen wird das krass klar – hier wurde mit besonderem Druck aus der Bundesrepublik Deutschland die Drittstaatenregelung auf europäischer Ebene durchgesetzt und Frontex aufgebaut. Frontex verschuldete viele Tausend Todesfälle im Mittelmeer – und hört noch immer nicht auf.

Die rassistischen Verhältnisse in der Bundesrepublik und die Situation von Migrant_innen und geflüchteten Menschen rückt das neue Buch „Wer MACHT Demo_kratie?“ in den Blick. Dabei wird auch die Verstrickung der „weißen schwulen Community“ in die rassistischen Zustände thematisiert. Etwa in dem Hamburger Stadtteil St. Georg stehen weiße Mittelklasse-Schwule vielfach auf der falschen Seite und wirken daran mit, dass es zu einer vermeintlichen „Aufwertung“ des Stadtteils kommt und viele Menschen dort somit nicht mehr leben können: Arme, Migrant_innen. Also auch viele Schwule – arme, migrantische – sind von der ausgrenzenden Städtebaupolitik betroffen. Im Band „Wer MACHT Demo_kratie?“ erläutert Vassilis S. Tsianos sehr sehr gut diese Städtebaupolitiken in St. Georg.

Solidarisch sein, ein Miteinander entwickeln – dafür liefert das Buch „Wer MACHT Demo_kratie?“ viele gute Beiträge. Es bricht aber auch das leichtfertige Denken auf, in denen Schwulen und Lesben der Mehrheitsgesellschaft immer eine „Opferrolle“ beanspruchten. Auch sie sind häufig zu Täter_innen geworden, gerade in Bezug auf Rassismus und als sie im Streit um ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen sich deutlich gegen Jüd_innen positionierten (hierzu ausführlich Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter im Band). Der Band liefert so wichtiges Material, das hoffentlich auch eine Debatte unter Schwulen und Lesben der Mehrheitsgesellschaft um eigenen Rassismus und Antisemitismus anstößt.

VERANSTALTUNG: Homonationalismus und Pinkwashing – Homorechte im Dienst der Nation

Vor­trag und Dis­kus­si­on mit Yossi Bar­tal
Frei­tag 12. Juli 2013, Universität Bielefeld

Pro-​Köln sind pro-​schwul, Waf­fen­pro­du­zen­ten un­ter­stüt­zen LGBT-​Or­ga­ni­sa­tio­nen und Wes­ter­wel­le ver­brei­tet den Geist der deut­schen To­le­ranz in der Welt: Ho­morech­te sind in und west­lich und wer­den auch von rech­ten Par­tei­en und dem mi­li­tä­risch-​in­dus­tri­el­len Kom­plex ent­deckt.
In den letz­ten Jah­ren haben sich die De­bat­ten um Rech­te für Ho­mo­se­xu­el­le und se­xu­el­le Eman­zi­pa­ti­on stark ver­än­dert: Statt eine ra­di­ka­le Kri­tik an Staat und Pa­tri­ar­chat zu for­mu­lie­ren, kon­zen­trie­ren sich die po­li­ti­schen Kämp­fe von west­li­chen LGBT Or­ga­ni­sa­tio­nen auf die Ein­glie­de­rung in exis­tie­ren­de staat­li­che und wirt­schaft­li­che Struk­tu­ren, wie Ehe, aus­beu­te­ri­sche Kon­zer­ne oder das Mi­li­tär. Diese neue ,Le­bens­part­ner­schaft‘ zwi­schen dem Staat und der Schwu­len­be­we­gung än­der­te nicht nur die po­li­ti­sche Po­si­tio­nie­rung von LGBT-​Or­ga­ni­sa­tio­nen, son­dern be­ein­fluss­te auch ras­sis­ti­sche und na­tio­na­lis­ti­sche Dis­kur­se, die das Thema Ho­mo­se­xua­li­tät, oder bes­ser ge­sagt, die To­le­ranz ihr ge­gen­über, als das neue Sym­bol west­li­cher Über­le­gen­heit ent­deck­ten und für ihre Zwe­cke in­stru­men­ta­li­sie­ren. So wol­len plötz­lich CDU-​Mit­glie­der die se­xu­el­le Viel­falt durch ras­sis­ti­sche Po­li­zei­kon­trol­len ver­tei­di­gen und Pro-​Köln will deut­sche Schwu­le vor ‚ho­mo­pho­ben Mus­li­men‘ schüt­zen.

Weiter auf akzentin.blogsport.de – hier.

Vom „Europride“ (im Jahr 2002) zum „White Pride“? Der CSD Köln und die Unentschlossenheit gegen Rechtsextreme

Norbert Blech hat bei Queer.de einen sehr guten Beitrag zum CSD Köln und dem Ansinnen von Rechtsextremen daran teilzuenhemen veröffentlicht. Blech schreibt unter anderem zu den skandalösen Vorgängen in Köln, wo sich Teile der Szene nicht einmal mehr bewusst sind, dass Rechtsextremismus und Rassismus die Grundlagen für Hass und Diskriminierung sind:

„Der Plan der Rechtsextremen, die Szene zu spalten, klappt schneller und besser als erwartet. Die ersten befürworten ausdrücklich eine Teilnahme – und bringen rechte Thesen ins Gespräch.

Wenige Tage nach dem Bekanntwerden der Anmeldung der Partei „Pro Köln“ für die Parade des Cologne Pride wackelt die Front gegen die Teilnahme der Rechtsextremen. Während der Kölner Lesben- und Schwulentag anfänglich bemerkenswert verzagt agierte (s. Kommentar), mehren sich nun Szene-Stimmen, die sich für eine Teilnahme von „Pro Köln“ aussprechen – und den ausländerfeindlichen Thesen auch noch teilweise Recht geben.

Den Anfang machte Olaf Alp, Verleger des Kölner Szenemagazins „rik“, das er im letzten Sommer für seinen „blu“-Verbund erworben hatte. Auf Facebook und später auf blu.fm stellte er zunächst fest, es sei gut, dass der KLuST „gegenüber den hysterischen Reflexen, die ihn zu sofortigem Handeln zwingen wollen, erst einmal professionell die Nerven“ behalte. Rechtlich sei ein Teilnahmeverbot „nicht ohne weiteres durchsetzbar“, stellt er quasi höchstinstanzlich und gegen durchaus zu einem anderen Schluss kommende Meinungen fest, um dann die „zentrale Frage“ zu stellen: „ob ein solcher Ausschluss überhaupt angestrebt werden sollte“.

Denn „ungeachtet verfassungsrechtlicher Bedenken“ sei die Partei „keine verbotene Organisation und die im Rat der Stadt vertretenen Mitglieder demokratisch legitimiert“. Nun könnte man einwenden, dass das auch für die NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern gilt, und dann erst der Arbeit als Journalist nachkommen und berichten, welche fremdenfeindlichen – und homophoben – Inhalte der Partei gegen eine Beteiligung sprechen.“ Weiter bei Queer.de