Tag Archiv für Intersex

Die.Linke und B90/Die Grünen haben wegweisende Anträge gegen die geschlechtszuweisenden Eingriffe bei Intergeschlechtlichen (Intersexuellen) gestellt!

Am 20.3.2013 haben die Bundestags-Fraktionen Die.Linke und Bündnis 90 / Die Grünen wegweisende Anträge gegen die aktuell in der Bundesrepublik Deutschland noch üblichen geschlechtszuweisenden Eingriffe bei Intergeschlechtlichen (Intersexuellen) gestellt. Diese Eingriffe stehen intensiv in der Kritik: Mit ihnen sind nahezu immer schwere und schwerste Komplikationen verbunden und sie werden von den intergeschlechtlichen Menschen als äußerst gewaltvoll und traumatisierend beschrieben. In den Anträgen heißt es nun unter anderem:

„Intersexuelle Menschen sollen als ein gleichberechtigter Teil unserer vielfältigen Gesellschaft anerkannt und dürfen in ihren Menschen- und Bürgerrechten nicht länger eingeschränkt werden. […] Der Deutsche Bundestag sieht und erkennt erlittenes Unrecht und Leid, das intersexuellen Menschen widerfahren ist, an und bedauert dies zutiefst.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher dazu auf, sicherzustellen, dass geschlechtszuweisende und -anpassende Operationen an minderjährigen intersexuellen Menschen vor deren Einwilligungsfähigkeit grundsätzlich verboten werden.“

Es schließen sich weitere sehr gute Forderungen an. Die Anträge im Volltext finden sich hier: Die.Linke und Bündnis 90 / Die Grünen. Eine erste Bewertung hat Zwischengeschlecht.info vorgenommen: hier.

Wenn du dich noch nicht ausreichend über Intergeschlechtlichkeit (Intersexualität) informiert fühlst, gibt es hier knappe Infos.

Parlamentsnotizen VI

(von Ralf Buchterkirchen; zuerst in „Rosige Zeiten“ und auf verqueert.de)

Unregelmäßig wird an dieser Stelle über parlamentarische Aktivitäten in Landesparlamenten, im Bundestag und im Europäischen Parlament berichtet. Quellen dafür sind entsprechende Veröffentlichungen bspw. von Fraktionen in den Parlamenten, Drucksachen sowie die jeweiligen Parlamentsdatenbanken. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn etwas fehlt, dann einfach eine E-Mail an mich ( ralf@verqueert.de), ich versuche es dann nachzureichen. Neben parlamentarischen Informationen soll an dieser Stelle auch über Gerichtsentscheidungen informiert werden. Sofern nicht anders beschrieben liegen alle benannten Aktivitäten im Zeitraum Februar2012 bis August 2012.

Im Bundestag standen am 28.Juni zwei Anträge zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der heterosexuellen Ehe zur Beschlussfassung. Ein Antrag von Bündnis 90/Grüne (DS 17/6343) und einer der SPD (DS 17/8155) (ein ähnlicher Antrag der Linken wurde bereits vor einiger Zeit abgelehnt). In braver Koalitionsmanier lehnte die Regierung aus Union und FDP diese Anträge ab. Das ist nicht weiter verwunderlich, steht doch die CDU/CSU seit Jahren allen Versuchen der Gleichstellung im Wege. Auch die FDP verspricht zwar in Wahl- und Grundsatzprogrammen immer wieder auf Neue, viel für Lesben und Schwule zu tun, aber an der Umsetzung mangelt es dann stets, selbst bei Fragen der Eingetragenen Lebenspartnerschaft.

Der Antrag der SPD-Fraktion zur „ Förderung eines offenen Umgangs mit Homosexualität im Sport“ (DS 17/7955) wurde im Sportausschuss abgelehnt. Die Antragsteller_innen hatten in ihrem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, aktiv gegen Homophobie im Sport vorzugehen und dafür auch Mittel bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vorzusehen. Union und FDP lehnten den Antrag als nicht angemessen ab, auch wenn die allgemeine Zielrichtung OK sei. Außerdem müsse – so die Koalition in ihrer Begründung – dies differenzierter betrachtet werden, da es sehr wohl Sportarten gebe, in denen Diskriminierung keine Rolle spiele. Zudem wurde die geplante Anbindung an Antirassismus- und Antigewaltprojekte von der Koalition kritisiert, ein eigener Vorschlag hingegen nicht vorgelegt.   Weiterlesen

CDU/CSU und FDP wollen geschlechtszuweisende Praxis gegen Intersexuelle beibehalten!

Es zeigt sich, wie sehr die – parteiliche und keineswegs breit informierte – Stellungnahme des Deutschen Ethikrates nach hinten losgeht. In etwas nett klingenden Worten machen CDU/CSU und FDP klar: Sie wollen die als gewaltvoll und traumatisierend kritisierte geschlechtszuweisende Praxis gegen Intersexuelle beibehalten!

Hier ein kurzer Beitrag:
http://dasendedessex.blogsport.de/2012/09/12/cducsu-und-fdp-wollen-die-als-gewaltvoll-und-traumatisierend-kritisierte-geschlechtszuweisende-praxis-gegen-intersexe-beibehalten/

Proteste gegen die geschlechtszuweisende medizinische Praxis gegen Intersexuelle finden, organisiert von Zwischengeschlecht, im September in Hamburg, Leipzig, Halle und Dresden statt. Infos:
http://blog.zwischengeschlecht.info/

Buch zu Intersexualität: Ende der geschlechtszuweisenden Eingriffe erforderlich

Cover Voss Intersexualität  IntersexVor einigen Tagen ist das Buch „Intersexualität – Intersex: Eine Intervention“ erschienen, in dem die Leerstellen der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates „Intersexualität“ aufgezeigt werden. Dieser hatte u.a. die neueren wissenschaftlichen Ergebnisse zur Behandlungszufriedenheit  und zu den Behandlungsergebnissen der medizinischen Interventionen nicht herangezogen. Das holt das Buch nun nach und es zeigt sich, dass an hand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Erfahrungsberichte der behandelten Intersexe nur eine Lösung möglich ist: Die geschlechtszuweisenden medizinischen Interventionen schaden den behandelten Menschen und müssen daher sofort aufgegeben werden!

Hier nun der Vorstellungstext des Buches:

Oft werden bei der Diagnose «Intersex» im Säuglings- und frühen Kindesalter operative und hormonelle Eingriffe vorgenommen, um ein möglichst eindeutiges Erscheinungsbild der Genitalien zu erreichen. Von den Interessensvertretungen der Intersexe werden diese Eingriffe als gewaltsam und traumatisierend beschrieben. Neue wissenschaftliche Ergebnisse zeigen ebenfalls massive Probleme der Behandlungen auf – der Deutsche Ethikrat berücksichtigte sie nicht für seine Anfang 2012 veröffentlichte Stellungnahme zum Umgang mit Intersexualität. In diesem Band wird der aktuelle Forschungsstand vorgestellt und mit den Forderungen der Intersex-Verbände kontextualisiert. Voraus geht eine Analyse der gesellschaftlichen Umstände, die zur bisher üblichen medizinischen Praxis führten. Darin wird gezeigt dass die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern sowie die sozial strukturierte Angst vor geschlechtlicher Pluralität wichtige Ausgangspunkte dafür waren, Uneindeutigkeiten gesellschaftlich und medizinisch zu tilgen. Vor dem Hintergrund einer wachsenden gesellschaftlichen Anerkennung vielfältiger geschlechtlicher Identitäten wird herausgearbeitet, dass die Begründung der bisherigen medizinischen Behandlungspraxis – sie basierte eben darauf, Menschen Diskriminierungen und Gewalt in einer gegenüber geschlechtlicher Uneindeutigkeit intoleranten Gesellschaft ersparen zu wollen – nicht mehr gegeben ist.

Eine erste Rezension existiert auch schon – bei Mädchenblog:

„Voß [zeigt], dass die Zurichtungen intergeschlechtlicher Körper ihren Ursprung in der gesellschaftlichen Vorstellung von Geschlechtlichkeit und ihrem Wandel seit der Aufklärung haben, dass die Forderungen des Ethikrates entscheidende Lücken in der Rezeption des (medizinkritischen) Diskurses in Form von Outcome-Studien aufweist und auch deshalb weit hinter den Forderungen der Inter*-Bewegung zurückbleiben muss. Die Veröffentlichung ist ein Beitrag, diese Lücke rechtzeitig zu schließen, um damit – hoffentlich – in weitere politische Entwicklungen zu intervenieren.“ Ganze Besprechung.

Infos zum Buch:

http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,417,18.html

Übersicht zu erschienenen Rezensionen.

„Operationen zur Geschlechtsfestlegung bei intersexuellen Kindern stellen einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit dar und sollen zukünftig unterbunden werden.“ – aktuelle Pressemitteilung aus dem Bundestag zur Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (25.06.2012)

Die Pressemitteilung aus dem Deutschen Bundestag zur gestrigen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die sich mit der Stellungnahme „Intersexualität“ des Deutschen Ethikrates befasste ist eindeutig – und dort einhellig getroffen. Bereits der erste Absatz enthält die wichtigste Aussage: „Operationen zur Geschlechtsfestlegung bei intersexuellen Kindern stellen einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit dar und sollen zukünftig unterbunden werden. Dies war das einhellige Votum der öffentlichen Anhörung im Familienausschuss am Montagnachmittag.“ Etwas später heißt es: „Zu diesen Menschenrechte gehöre unzweifelhaft die körperliche Unversehrtheit. Ein fremdbestimmter körperlicher Eingriff diesen Ausmaßes sei deshalb nicht hinzunehmen. Lediglich wenn es um die Frage von Leben oder Tod gehe, sei dies statthaft. Erst wenn ein Kind sich in dieser Frage unzweifelhaft selbst äußern könne, dürfe eine Entscheidung gefällt werden. Und es müsse geprüft werden, dass die Entscheidung des Kindes für das eine oder andere Geschlecht ohne Beeinflussung von außen, etwa durch die Eltern, getroffen worden sei. Dies könne beispielsweise durch ein Familiengericht geschehen. Lucie Veith, Vorsitzende des Vereins Intersexuelle Menschen aus Neu-Wulmstorf, schloss sich diesem Plädoyer an: Weder Eltern, Ärzte, Psychologen noch ein Parlament hätten das Recht, das Geschlecht eines Menschen zwangsweise festlagen zu lassen. Jörg Woweries, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, führte an, dass es keinen medizinischen Beweis dafür gebe, dass eine Operation zur Geschlechtsfestlegung bei Kleinkindern ungefährlicher oder erfolgversprechender sei als bei einem Erwachsenen. In jedem Fall seien operative Eingriffe mit einem „hohen Risiko“ behaftet und stellten einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeit eines Menschen dar.“

Damit deutet sich an, dass tatsächlich die notwendige grundlegende Änderung möglich, die die gewaltvollen und traumatisierenden medizinischen Interventionen beendet.

Schwulen-Emanzipation auf dem Rücken der Intersexuellen (Intersexe)? Eine lesenswerte Debatte um Magnus Hirschfeld

Zwischengeschlecht.org hat eine wichtige Debatte um die Bedeutung Magnus Hirschfelds erneut – und mit sehr guter Argumentationsführung – angestoßen. Es lohnt sich, diese zu lesen und daran weiterzudenken. Vor allem: Wie können heute Schwule und Lesben bewusst, engagiert und ehrlich die Forderungen der Intersex-Bewegung unterstützen?

Im Folgenden ist die offene Debatte zwischen Zwischengeschlecht.org und Rosa von Praunheim:

 

Zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!

 

O F F E N E     R Ü C K A N T W O R T

Magnus Hirschfeld, Zwitter-Genitalverstümmler für viel Geld
Darstellung nach Rosa von Praunheim: „Der Einstein des Sex“  >>> Quelle

 

Was bisher geschah:

Am vom 05.06.2012 mailte die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org eine Offene Anfrage an Rosa von Praunheim betreffend der berüchtigten Szene in Rosas Hirschfeld-Filmbiographie „Der Einstein des S*x„, worin Dr. Magnus Hirschfelds einem Zwitter auf Geheiss dessen Eltern (und gegen fürstliche Bezahlung) kurzerhand und blutig das Lustorgan amputiert (siehe Bild).

Noch am gleichen Tag erreichte uns eine kurze Antwort von Rosa von Praunheim. Darin bestätigte Rosa unsere Vermutung, dass er sich der Zusammenhänge gar nicht bewusst war und ist, welche sich in besagter Szene aus der Perspektive heutiger genitalverstümmelter Zwitter auftun.

Nachfolgend die Rückantwort von Zwischengeschlecht.org an Rosa von Praunheim – in der Hoffnung, dass es gelegentlich doch mal noch zu einer möglichst breiten, sachbezogenen Aufarbeitung kommen möge über die Folgen von Hirschfelds Werk und Vermächtnis für heutige, mittlerweile zu 90% im Kindesalter genitalverstümmelte „Inters*xuelle“: Weiterlesen

::: Heraus zum Transgenialen CSD am 23. Juni 2012 in Berlin :::

Der CSD ist ein weltweiter Gedenk-, Fest- und Demonstrationstag von und für schwule, lesbische, bi-, trans-, und intersexuelle Menschen sowie andere ausgegrenzte sexuelle Identitäten. Der Berliner Transgeniale CSD (TCSD) ist eine seit 1998 jährlich Ende Juni stattfindende Demonstration, die sich als politische Alternative zum kommerziellen Christopher Street Day versteht, der meist parallel stattfindet. Der TCSD richtet sich gegen die Diskriminierung und Ausgrenzung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transgendern und intergeschlechtlichen Menschen. Zugleich greift der TCSD das Prinzip der Heteronormativität – ein unhinterfragtes, ausschließlich zweiteiliges Geschlechtssystem – an, das in allen Teilen der Gesellschaft verbreitet ist und soziale, emotionale und kulturelle Standards hervorbringt, die Ausgrenzung bewirken. Immer thematisiert der TCSD aktuelle politische Entwicklungen. Der TCSD positioniert sich klar gegen Rassismus, Neonazismus, Gentrifizierung, staatliche Abschiebungen, prekäre Arbeitsbedingungen und soziale Ausgrenzung.

Benannt ist der CSD nach der ersten bekannt gewordene Gegenwehr in großem Umfang von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten in der New Yorker Christopher Street im Stadtviertel Greenwich Village. In den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 fand in der Bar „Stonewall Inn“ der sogenannte Stonewall-Aufstand statt. Es kam in der Folge zu tagelangen Straßenschlachten zwischen Schwulen und Lesben sowie der Polizei. Zum Gedenken an diese Ereignisse, aber auch, um für gesellschaftliche Veränderungen und gegen Diskriminierung zu protestieren, erfolgen seither jährlich weltweit Demonstrationen. Der TCSD sieht sich in dieser politischen Tradition. Anpassung, Kommerzialisierung, (Homo)nationalismus und Pathologisierung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen sind nach wie vor Grund genug für Widerstand und den Versuch, Gegenmacht zu entfalten angesichts institutioneller und alltäglicher Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt hier und weltweit.

Doch gerade hier in Deutschland, wo die rigide Bekämpfung von Homosexualität während des Nationalsozialismus ihre tiefen Spuren hinterlassen hat, wo Homophobie und die Ausgrenzung von Minderheiten allgemein eine lange Tradition haben und auch die politische Linke nicht „frei“ davon ist, wo sich nicht zuletzt auch Minderheiten oft gegeneinander ausspielen lassen, ist es notwendig, solidarisch für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung einzutreten. Die Gesellschaft verändern und nicht in ihr „ankommen“! Für eine antikapitalistische Perspektive!

::: Transgenialer CSD ::: 23.06.2012 ::: 13 Uhr, Elsenstraße/Am Treptower Park (vorm Treptower Park Center) ::: 18 Uhr: Abschlusskundgebung am Heinrichplatz: Bühne mit Redebeiträgen, Performances, Musik und Infoständen :::

 

Mehr Infos auf der Internetpräsenz des TCSD: https://transgenialercsd.wordpress.com/

AG Schwule in der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin [SCHWARAB!]

(Der Text entspricht der Mitteilung der Initiative gegen Rechts)

Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst auf www.kritisch-lesen.de)

http://ngbk.de/development/images/Publikationen/1_0_1.jpg

Nach der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates „Intersexualität“, die nicht einmal den basalen Forderungen der Intersex-Bewegung Rechnung trug, ist weiteres Streiten erforderlich, die geschlechtszuweisenden medizinischen Eingriffe im frühen Kindesalter zu beenden.

Das Buch „1-0-1 [one ´o one] intersex – Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung“ ist 2005 als Begleitband zu einer Ausstellung erschienen, es kann aber auch sehr gut für sich selbst bestehen. Aktuell ist es nur noch über Bibliotheken und den antiquarischen Buchhandel zu beziehen. Im Gegensatz zu zahlreichen aktuellen Artikeln in Zeitschriften ist bereits der Titel klar und umreißt knapp, worum es durch die Beiträge des Bandes hinweg geht: Das binäre Geschlechtersystem, für das paraphrasierend auf den Binär-Code 1-0 zurückgegriffen wird, verletzt die Rechte von denjenigen Menschen, die nicht in dieses System passen. Intersexen wird aktuell massiv und ganz konkret Gewalt angetan. Bei ihnen wird im frühen Kindesalter das Erscheinungsbild der Genitalien mittels medizinischer Interventionen an die gesellschaftliche Norm angeglichen. Ausgehend von Positionierungen von Intersex-Aktivist_innen zu diesen medizinischen Interventionen wird in den schriftlichen und bildlichen Beiträgen des Bandes herausgearbeitet, wie dieses Zwei-Geschlechter-System entstanden ist und wie es wirkmächtig wurde. Zugleich werden Alternativen umrissen und die Bedeutung der Kunst bei ihrer Entwicklung herausgestellt. Weiterlesen

Intersexualität: Bei 61 % der Befragten, die geschlechtszuweisende medizinische Eingriffe erlebten, zeigte sich „behandlungsrelevanter Leidensdruck“

Bundestagspetition gegen genitale ZwangsoperationenSchweizer und Richter-Appelt geben in dem aktuellen Band „Intersexualität kontrovers“ einen Ausblick auf weitere Ergebnisse der „Hamburger Studie zur Intersexualität“, die über ihre bisherigen Betrachtungen hinausreichen.

Sie schreiben: „Weitere Ergebnisse beziehen sich auf Aspekte der Lebensqualität in verschiedenen Lebensbereichen. Insgesamt fällt eine hohe Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens auf. So litten über 60% der Teilnehmenden sowohl unter einer hohen psychischen Symptombelastung als auch unter einem beeinträchtigten Körpererleben. […] Die psychische Symptombelastung, die z.B. anhand depressiver Symptome, Angst und Misstrauen erfasst wurde, entsprach bei 61% der Befragten einem behandlungsrelevantem Leidensdruck […]. Auch hinsichtlich Partnerschaft und Sexualität zeigte ein Großteil der Befragten einen hohen Belastungsgrad. […] Fast die Hälfte (47%) der Befragten, die an den Genitalien operiert wurden, berichteten sehr viel häufiger über Angst vor sexuellen Kontakten und Angst vor Verletzungen beim Geschlechtsverkehr als die nicht-intersexuelle Vergleichsgruppe“. (aus: „Intersexualität kontrovers“, S.196f)

Michael Groneberg kommt vor dem Hintergrund dieser und weiterer Behandlungsergebnisse der frühen geschlechtszuweisenden Interventionen bei Intersex zu dem Schluss: „Zu fragen, welche spezifischen Eingriffe zur Geschlechtsanpassung zu vermeiden sind, folgt der falschen Logik. Vielmehr gilt: Kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes zum Zweck der Geschlechtsanpassung oder -zuweisung ist erlaubt. Ausnahmen wie die Abwendung von Gefahr für Leib und Leben sind klar zu regeln und zum Teil bereits geregelt. […] Auch die UN-Kinderrechtskonvention stellt die Geschlechtsidentität unter Schutz und setzt der Entscheidungsgewalt der Eltern eindeutige Grenzen“. (aus: „Intersexualität kontrovers“, S.498) Zu dieser Aussage kommt er, weil medizinische Behandlungen grundlegend darauf orientieren sollen, Menschen zu nutzen und nicht ihnen zu schaden.

Mittlerweile ist die Datenlage erdrückend, dass geschlechtszuweisende Interventionen, die oft schon im frühen Kindesalter stattfinden (und übrigens medizinisch nicht notwendig sind), massives Leiden bei den so Behandelten verursachen. Sie widersprechen grundlegend den medizinethischen Prinzipien und müssen ein Ende haben. Dieses Ende ist durch die anstehenden Beratungen und Entscheidungen im Bundestag (und dessen familienausschuss) möglich -das weitere Streiten für das Ende der Interventionen nötig.

(„Intersexualität kontrovers: Grundlagen Erfahrungen Positionen“, erschienen im Psychosozial-Verlag, Link zum Buch.)

Intersex – zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrates „Intersexualität“

Autor_in: Heinz-Jürgen Voß

Mit der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zu Intersexualität wird einmal mehr die Parteilichkeit im Diskurs deutlich. In der Stellungnahme wird nahtlos an die umstrittene medizinische Terminologie angeschlossen, in der Intersexualität oft im Sinne einer Krankheit beschrieben wird. Von Intersexen wird hingegen seit längerem gefordert unparteiisch und nicht-wertend von Varianzen beziehungsweise Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung zu sprechen. Um einer Überparteilichkeit nahe zu kommen und einen ethisch geprägten Beitrag zur Diskussion zu leisten, wäre es nötig gewesen, schon auf der Ebene der Begrifflichkeiten den Positionen der streitenden Parteien gleichberechtigt Rechnung zu tragen.

Damit nicht genug: Sind die biologischen Beschreibungen in der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates für diesen fast schon peinlich, da sie kaum über die Glaubenssätze zur Geschlechtsentwicklung in populären Zeitschriftenartikeln hinausgehen und in jedem Fall von einer wissenschaftlichen Bestandsaufnahme weit entfernt bleiben, so entwickelt sich diese „Laxheit“ im Umgang mit dem medizinischen Forschungsstand zum Problem. Hier werden die aktuellen Ergebnisse internationaler Fachveröffentlichungen, in denen die Behandlungen nach dem bisherigen medizinischen Behandlungsprogramm auf ihr anatomisches und funktionales Ergebnis geprüft und die Zufriedenheit der Behandelten erhoben wurden (so genannte „Outcome-Studien“), überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Seit 2010 sind hier zahlreiche Veröffentlichungen erschienen, auch bereits Review-Artikel, die einen Überblick bieten. Aber in der Stellungnahme des Ethikrates werden lediglich die zwei älteren deutschsprachigen Studien aufgegriffen und wurde eine kleinere eigene Online-Befragung durchgeführt. Dabei wendet sich schon eine der deutschsprachigen Studien gar nicht der „Kernfrage“ zu, die den Ethikrat interessiert. Die Studie um Richter-Appelt erhob nicht das Outcome der Behandlungen. Stattdessen prüfte sie, ob sich bei den Behandelten eine stabile und eindeutige Geschlechtsidentität (Anm. 1) ausgeprägt hatte. 2007 – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studienergebnisse – sahen die Autorinnen um Richter-Appelt diese Ausprägung eindeutiger Geschlechtsidentität schon dann als beeinträchtigt an, wenn sich Homosexualität zeigte. Mittlerweile hat sich diese Position in der Arbeitsgruppe gewandelt. Aber selbst die interessanten neueren Ergebnisse aus dieser Arbeitsgruppe werden vom Ethikrat nicht herangezogen. Schönbucher et al. (2010) hatten eine Stichprobe von Intersexen, die operativ behandelt worden waren, mit einer anderen Stichprobe verglichen, bei der keine operative Behandlung stattgefunden hatte. Sie stellten fest, dass diejenigen, die operativ behandelt wurden, häufiger über sexuelle Probleme klagten und Unzufriedenheit mit dem Sexualleben angaben, als die, die chirurgisch unverändert geblieben waren. Weiterlesen