Wenn der Prinz den Prinzen küsst: Kinderbücher zu Regenbogenfamilien

(rezensiert von Heinz-Jürgen Voß, zuerst in „Rosige Zeiten“, Nr. 136 – vielen Dank an die Redaktion für die Einwilligung in die Zweitveröffentlichung!)

 

Immer küsst der Prinz die Prinzessin. Wie soll so Akzeptanz zu unterschiedlichen Lebensweisen von Menschen, zu Regenbogeneltern und Regenbogenkindern aufkommen? Es fehlen alternative kulturelle Codes, in denen Kinder schon ganz früh ganz vielfältige Möglichkeiten haben, sich selbst zu sehen – und nebenbei auch damit vertraut werden, dass es eben auch Lesben und Schwule gibt und dass einige Kinder – vielleicht sie selbst – lesbische Eltern haben oder schwule …oder aber irgendwie ganz anders leben und in ihrer Familie glücklich sind. Ganz fehlen diese Codes indes mittlerweile nicht mehr, weil aktuell Kinderbücher erscheinen, in denen der Prinz eben auch den Prinzen küsst, ein Junge auch mit Puppen spielt und „Irgendwie Anders“ keinen einzigen Freund hat, bis „eines Tages ein seltsames Etwas vor seiner Tür stand. Das sah ganz anders aus als Irgendwie Anders, aber es behauptete, genau wie er zu sein…“ Im Folgenden werden einige der Bücher vorgestellt, die sich übrigens auch für große Kinder eignen, die einfach mal wieder eine schöne Geschichte lesen wollen, in der sie sich vielleicht auch irgendwo selbst sehen 🙂

„Irgendwie Anders“, von Kathryn Cave und Chris Riddell, ist bereits 1994 erschienen und liegt in einer großformatigen Fassung vor. 1995 und 1997 mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem „UNESCO-Preis für Kinder- und Jugendliteratur“ ist es ein sehr schönes Buch, dass über großformatige Abbildungen und kurze Bildunterschriften den Alltag von „Irgendwie Anders“ beschreibt, einem kleinen blauen Wollknäuel, das lächelt, Bilder malt, Mittagessen in einer Papiertüte transportiert… Aber es malt nicht so, wie die anderen, spricht anders, isst andere Dinge – so dass die anderen Tiere es nicht haben wollten. Irgendwie Anders geht traurig nach Hause. Aber da klopft es an der Tür – und davor stand das Etwas. Zunächst überrascht, weiß Irgendwie Anders mit ihm nichts anzufangen und ist abweisend – und das Etwas geht hängenden Kopfes davon. Es ist noch nicht weit, da fällt es Irgendwie Anders wie Schuppen von den Augen. Schnell rennt es dem Etwas nach: „Als er das Etwas eingeholt hatte, griff er nach seiner Pfote und hielt sie ganz, ganz fest. ‚Du bist nicht wie ich, aber das ist mir egal. Wenn du Lust hast, kannst du bei mir bleiben.‘ Und das Etwas hatte Lust.“ Sie waren verschieden, aber vertrugen sich – und wenn jemand an die Tür klopfte, rückten sie einfach ein bisschen zusammen. Besser kann ein Kinderbuch nicht gemacht sein. Es bietet gefühlvoll einen Zugang zu Anderssein, auf Grund der liebevoll dargestellten Figuren gibt es Kindern die Gelegenheit, sich mit diesen zu identifizieren – und so auch Halt zu finden, wenn im Kindergarten oder in der Schule mal wieder „alle blöd waren“, aus welchen Gründen auch immer. Ergänzend zum Buch gibt es: „Irgendwie Anders – Bilderbuchtipps“ und online gibt es Anregungen, wie das Buch gut als Material in der Grundschule verwendet werden kann ( http://www.agprim.uni-siegen.de/GS_SOS_WS0506/ureiheirgendwie.pdf ). Geeignet ab etwa 4 Jahre.

„Das kleine Ich bin Ich“, von Mira Lobe, ist ebenfalls ein sehr schönes, oft empfohlenes Kinderbuch. Es handelt von einem kleinen bunten Tierchen, das zunächst fröhlich auf einer Wiese spielt. Von einem Laufbrosch angesprochen, was es denn für ein Tier sei, weiß es nichts zu sagen und macht sich auf die Suche nach einer Antwort. Dabei fragt es allerlei Tiere, wie Pferde, Fische, Flusspferde, Papageien, Hunde – die allerdings stets verneinen, dass das Tier zu ihnen gehören würde. Ohne Antwort und etwas nachdenklich, kommt das Tierchen dann auf den Gedanken: „Ich bin Ich“. Und so erkundet das „Ich bin Ich“ weiter die Welt und wird von den anderen Tieren anerkannt: „Zwischen hohen grünen Halmen geht das ICH-BIN-ICH spazieren, dreht sich nicht mehr hin und her, denn es ist – ihr wisst schon, wer. Läuft gleich zu den Tieren hin: ‚So, jetzt weiß ich, wer ich bin! Kennt ihr mich? ICH BIN ICH!‘ Alle Tiere freuen sich, niemand sagt zu ihm: ‚Nanu?‘ Schaf und Ziege, Pferd und Kuh, alle sagen: ‚Du bist du!‘“ „Das kleine Ich bin Ich“ ist eine schöne, liebevoll gestaltete Geschichte, die nebenbei die pädagogisch wertvolle Anregung gibt, sich selbst anzuerkennen – Ich bin Ich! Geeignet ab etwa 4 Jahre.

Aus Niedersachsen ist Dani von Eiff, die mit mittlerweile sechs illustrierten Regenbogengeschichten eine Reihe aus so genannten „Regenbogenminis“ eröffnet hat. „Regenbogenmini“ verweist dabei auf das kleine Format und den günstigen Preis, so dass die kleinen Broschüren mit zehn mal zehn Zentimetern in jeder Tasche Platz finden und für jeden Geldbeutel zu haben sind. Sie sind jeweils sehr schön mit schwarz-weißen Karikaturen illustriert – und es ist ausdrücklich dazu eingeladen, die Büchlein auch als Ausmalhefte zu verwenden. Erzählt wird beispielsweise die Geschichte von „Franz und Uwe“, zwei Pinguinen, die schwul sind und ein Ei ausbrüten wollen. Und es findet sich auch bald ein Ei, das liegengeblieben war. Bis das Familienglück perfekt ist, ist da aber noch ein Problem zu lösen – mit Heinz, einem anderen Pinguin, der ziemliche Machoansichten hat. Schließlich bringen die beiden aber auch ihm noch bei, wie man ein Ei ausbrütet! Oder die Geschichte „Großer Bruder Jannis“. Jannis ist fünf Jahre alt, lebt mit Mama und Mami in einem großen und schönen Haus, und ist nun gerade großer Bruder von Maja und Hanne geworden. Es wird der Weg erzählt, wie Jannis großer Bruder wurde. Mama und Mami fragten wieder Ulf, ob er ihnen hilft. Jannis mag Ulf sehr gern und so freute er sich, dass Ulf nun häufiger zu Besuch kam – und Abenteuergeschichten vorlesen konnte. Und eines Tages war Mama schwanger – und noch etwas später war Jannis großer Bruder! Im „Familien ABC“ geht es um die ganz unterschiedlichen Familien, die es so gibt. So um „Holger, Hans und Heiner – sind zwei Papas und ein Kleiner.“ Wiederum sehr schön illustriert, kommen die Familien in Reimform daher, versehen mit der Einladung, doch auch die eigene Familie in das Buch einzuzeichnen und einen kleinen Reim auf sie zu machen. Für Kinder und Erwachsene ab etwa 5 oder 6 Jahre sind die kleinen Werke zu empfehlen.

In „Paul und die Puppen“ soll Paul immer Fußball spielen. Das macht er auch gern – aber manchmal nervt es einfach, wenn der Papa und die anderen Jungs immer nur Fußball wollen oder gar Krieg spielen. Einmal guckt Paul den Mädchen zu, wie sie mit Puppen spielen – und nimmt sich auch eine Puppe. Am besten spielt es sich im Bad, weil dort immer das Meer so tobt – und die Puppen das mögen. Aber einmal hat man auch von Puppen genug und so probieren die Mädchen und Paul aus einer großen Schatztruhe Kleider an. Sie stehen ihnen gut, auch die Stöckelschuhe. Derweil macht den Jungen draußen das Fußballspielen ohne Paul keinen Spaß – und sie gehen rein, um ihn zu suchen. Paul sieht sie und verkrümelt sich lieber aufs Klo, weil er so nicht gesehen werden will. Als er etwas später wieder rauskommt, sind die Jungs nicht weg, sondern sie stehen an der großen Truhe und suchen sich auch gerade Kleider raus. Sie haben viel Spaß. Danach spielt Paul mit ihnen auch wieder Fußball.
Großformatig gedruckt und illustriert, sind die Texte relativ lang und teilweise nicht leicht verständlich. (Ein Beispiel: „‚Guck mal, Paul‘, ruft Nils, ‚Der hier schneidet Blut!‘ Paul klebt Goldböppel auf seinen Roboter.“) Es ist nicht leicht, der Geschichte zu folgen, weil kein klarer „roter Faden“ das Buch durchzieht, bzw. sich erst am Ende erschließt. So ist weder der Übergang vom Fußball- zum Puppenspiel klar, noch der vom Puppenspiel zum Kleider anziehen und Ballett tanzen. Deutlich auf Kämpfen abgestimmte Spiele (vgl. das Zitat oben oder wenn die Mädchen ihre Puppen draußen erfrieren lassen wollen…) und düstere Abbildungen, wobei Paul fast überall traurig guckt, schränken das Lesevergnügen ein und machen es schwer, dass sich ein Kind mit Paul oder einer anderen Person identifizieren kann. Das Buch ist daher nicht zu empfehlen – wer es dennoch versuchen mag, sollte es erst ab etwa 7 Jahre verwenden und es sich vorher selbst anschauen.

„König & König“, von Linda de Haan und Stern Nijland, wendet sich einem klassischen Märchen-Thema zu – Prinzen und Prinzessinnen. Die Königin, die Mutter des Prinzen, beschließt, dass es für den Prinzen Zeit sei, zu heiraten. Er willigt ein – hat aber noch keine geeignete Prinzessin vor Augen. So startet eine Ausschreibung und zahlreiche Prinzessinnen stellen sich vor – alle nicht nach dem Geschmack des Prinzen und sie werden gleich wieder weggeschickt. Schließlich stehen noch Prinzessin Liebegunde und ihr Bruder Prinz Herrlich vor der Tür. Gerade hereingeführt verliebt sich der Prinz sogleich – in Prinz Herrlich. Und es „wurde eine ganz besondere Hochzeit. Vor lauter Rührung musste sich die alte Königin eine Träne aus den Augen wischen.“ Plastisch und gut illustriert wird hier dem typischen Prinz & Prinzessin-Motiv etwas entgegengesetzt. Das geschieht in der gleichen Art und Weise, wie sonst Prinz & Prinzessin verhandelt werden. Diese „Normalität“ ist erfrischend – und auch, dass sich an diese Liebe nicht erst ein großes Drama der Verwandten anschließt, sondern diese nur mal kurz grimmig schauen. Unangenehm ist allerdings, dass – wie in den üblich Prinz & Prinzessinnen-Geschichten – die Frauen in der Partnerinnenwahl nur „passives Beiwerk“ sind. Für Kinder ab etwa 4 oder 5 Jahre geeignet.

Abschließend soll noch die kleine Meta vorgestellt werden: „Meta Morfoß“. Meta ist ein kleines Mädchen, dass sich in die unterschiedlichsten Dinge verwandeln kann. Mal ist sie eine Dampflok, mal ein Platzregen, ein anderes Mal ein Krokodil – oder auch ein frecher Einstein. Als einmal ein Einbrecher die Familie Morfoß überrascht, lässt sich niemand erschrecken, sondern es halten ihn alle – also Herr Morfoß, Frau Morfoß und „Herr Maffrodit, die Tante“ – für Meta und er muss unverrichteter Dinge abziehen und gibt das Einbrecher-Dasein auf. Die Geschichte erweist sich als kurzweilig, ist mit zahlreichen Abbildungen illustriert und kommt neben der Thematisierung von Vielgestaltigkeit – mit den zahlreichen Verwandlungen der kleinen Meta – auch beiläufig auf das Geschlechterthema. Unter anderem, als sich der Müllmann über Meta beschweren will und auf die Tante von Meta trifft, die Herr Maffrodit heißt und sich ihren Schnurrbart zwirbelt. Angefügt im gleichen Büchlein findet sich die ebenfalls lesenswerte Geschichte „Ein Märchen für Claudias Puppe“. Lesenswert, etwa ab 8 oder 9 Jahre.

Das ein paar Empfehlungen – vielleicht möchte die_der Eine oder Andere ergänzen oder andere Leseeindrücke beschreiben? Oder jemand möchte einmal über die Erfahrungen in einer Regenbogenfamilie berichten?

 

Irgendwie Anders
Kathryn Cave, illustriert von Chris Riddell, aus dem Englischen von Salah Naoura
Verlag Friedrich Oetinger
ISBN 978-3-7891-6352-4
28 Seiten / gebunden / 12 EUR

Das Kleine Ich bin ich
Mira Lobe, illustriert von Susi Weigel
Jungbrunnen-Verlag
370264850X
32 Seiten / gebunden / 13,90 EUR

Regenbogenminis
– erschienen sind: „Franz und Uwe brüten was aus“, „Großer Bruder Jannis“, „Familien ABC“, „Kokkina das Osterhuhn“, „Josef ist weg“ und „Post für Maulwurf und Bär“
Dani von Eiff, teilweise unter Mitarbeit von Camilla Kronqvist und Kristina Kräft
Zu bestellen unter: regenbogenmini (at) web.de
Preis bei Kauf von allen sechs: 9 EUR, zzgl. 2 EUR Versand

Paul und die Puppen
Pija Lindenbaum, übersetzt von Birgitta Kicherer
Beltz & Gelberg Verlag
ISBN 3407793731
40 Seiten / gebunden / 12,90 EUR (gebraucht ab etwa 6 EUR)

König & König
Linda de Haan und Stern Nijland
Gerstenberg Verlag
ISBN 3836952394
32 Seiten / gebunden / 7,90 EUR

Meta Morfoß (und Ein Märchen für Claudias Puppe)
Peter Hacks, illustriert von Gisela Neumann
Der Kinderbuchverlag Berlin
ISBN 3-358-00698-0
59 Seiten / gebunden / im Antiquariat ab 4 EUR

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