(von Heinz-Jürgen Voß, vorab aus „Rosige Zeiten“, Juni/Juli 2009)
Der Europäischen Union sind in den letzten Jahren zahlreiche Verbesserungen zu verdanken, von denen auch Lesben, Schwule, Transgender und Intersexuelle profitieren. Zu erwähnen ist insbesondere das Antidiskriminierungsgesetz, dass einen rechtlichen Rahmen bietet, um sich gegen Diskriminierungen im Beruf und von Seiten von Behörden zur Wehr setzen zu können. Auch Empfehlungen der Europäischen Kommission gegen die Abschiebung von Menschen, die in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Asyl suchen und in ihren Herkunftsländern mit erheblichen Strafen oder dem Tode bedroht werden, bspw. auf Grund ihrer Homosexualität, gehen weit über einige Regelungen hinaus, die noch in einigen Mitgliedsländern der EU gelten. Eine unrühmliche Rolle für die Abschiebepolitik auch von verfolgten Flüchtlingen und gegen die Aufnahme von Flüchtlingen bspw. aus dem Irak hat immer wieder in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesland Niedersachsen gespielt. Hier wäre einiges Positives zu erwarten, wenn die Europäische Union, die Europäische Kommission, aber insbesondere das Europäische Parlament mehr Rechte erhielte.
Um etwas gegen Diskriminierungen zu bewegen ist die Europäische Union erste Ansprechpartnerin. Entsprechend wichtig ist die Wahl, um gerade dort neue und innovative Konzepte anzustoßen. Die aus der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament vertretenen Parteien pflegen ein sehr unterschiedliches Verhältnis zur Europäischen Union, auch zu deren Antidiskriminierungspolitik. So fielen in den vergangenen Jahren insbesondere CDU, (CSU)* und FDP dafür auf, dass sie Antidiskriminierungs-Richtlinie – und zwar gerade diese – als einen schweren Fehler betrachteten und sich vehement gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz stemmten. SPD und Bündnis 90 / Die Grünen bekleckerten sich insofern nicht mit Ruhm, als sie in der Bundesrepublik Deutschland nur ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) durchbrachten, dass der von Diskriminierung betroffenen die Verpflichtung überließ, den initiativen Anhaltspunkt vorzulegen, dass sie tatsächlich diskriminiert wurde. Ein solcher initiativer Anhaltspunkt ist schwer zu erbringen, wie nun auch aus den wenigen, zudem selten erfolgreichen, Klagen nach dem AGG ersichtlich wird. Entsprechendes hatte sich bereits in den Jahren zuvor bei dem Gesetz gegen die Diskriminierung von Frauen im Beruf gezeigt. Die USA sind hier wesentlich weitreichender, dort sind jedes Jahr mehrere Zehntausend Klagen wegen Diskriminierung anhängig und häufig erfolgreich. Mit der Richtlinie der Europäischen Union wäre zudem mehr möglich gewesen.
CDU, (CSU) und FDP haben wenig hinzu gelernt und sind bei ihrer Haltung zur Europäischen Union in Bezug auf Antidiskriminierungspolitik verblieben. So betrachtet die CDU in ihrem Wahlprogramm zur diesjährigen Europawahl die Antidiskriminierungspolitik nur vor dem Hintergrund, dass „eine europäische Antidiskriminierungspolitik nicht zur Aushöhlung der Vertragsfreiheit als Grundlage unserer Zivilrechtsordnung und zu mehr Bürokratie führen“ dürfe. Die CDU spricht sich in einem Kapitel zu Freiheit und innerer Sicherheit in Europa zwar auch für „Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und die Universalität der Menschenrechte“ aus, bei Arbeitsplätzen ist auch von der Voraussetzung der „Gleichstellung der Geschlechter“ für Wirtschaftswachstum die Rede, detailierter ausgeführt findet sich allerdings in der Folge nichts.
Die FDP bezieht sich einseitig auf Antidiskriminierungspolitik, um sich gegen eine aus ihrer Sicht ausufernde Bürokratie zu positionieren. „Denn nicht alles, was aus Europa kommt, nützt dem Bürger, wie die Ausweitung der EU-Antidiskriminierungsvorschriften zeigt. So führt die rechtstaatlich problematische Beweislastumkehr in der Richtlinie zu mehr Unsicherheit und Unaufrichtigkeit. Die Tatsache, dass nun Beschuldigungen ohne ausreichende Beweise vorgetragen werden, bringt auch unbescholtene Bürger leicht in Erklärungsnot. Wirkungsvoller wäre es, wenn sich die EU durch Unterstützung von Vielfalt und Toleranz fördernden Projekten aus der Zivilgesellschaft und durch eine aktive Bekämpfung staatlicher Diskriminierung für betroffene Bürger einsetzt. Ein mehr an bürokratischer Regulierung hilft nicht, das Vertrauen in die EU zu stärken.“ Neben falschen Fakten (eine „Beweislastumkehr“ wurde in der Bundesrepublik Deutschland nicht umgesetzt, ansonsten müsste die potenziell von Diskriminierung Betroffene nicht den initiativen Anhaltspunkt vorbringen, dass sie diskriminiert wurde) spricht die Auswahl für sich: Antidiskriminierungspolitik wird als Beispiel angeführt, um sich gegen Bürokratie zu positionieren, nicht etwa ein anderes Politikfeld. Die Europäische Union wird aufgefordert sich für zivilgesellschaftliche Projekte einzusetzen, also im Zweifel lokal für Toleranz gegenüber Vielfalt zu streiten – wie soll das der EU gelingen, wenn dies in der Bundesrepublik Deutschland selbst auf Landesebene und selbst mit FDP-Beteiligung nicht gelingen mag (vgl. den Artikel „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ in diesem Heft).
Eine gute Wahl für Antidiskriminierungspolitik und initiative Richtlinien für Toleranz und Vielfalt scheinen hingegen SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke zu sein. Alle drei setzen sich für wirkungsvolle Antidiskriminierungspolitik ein, kurz die SPD, länger die beiden anderen Parteien. Nach einem Absatz für Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming führt die SPD in ihrem Wahlprogramm aus: „Jeder Form der Diskriminierung, sei es aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung, treten wir aufs Schärfste entgegen. Die Rechtsetzung der Europäischen Union auf dem Gebiet der Anti-Diskriminierung gilt es in Richtung eines umfassenden Schutzes weiterzuentwickeln. Die Europäische Union muss ein diskriminierungsfreier Raum der Chancengleichheit sein!“ Kurz und deutlich, wenn daraus auch keine konkreten Schritte zur Umsetzung deutlich werden.
Diese erscheinen hingegen sowohl bei Bündnis 90 / Die Grünen als auch Die Linke bedeutsam. Unter einem eigenen Abschnitt „Alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens demokratisieren“ wendet sich Die Linke Diskriminierungen und Barrieren in der Gesellschaft zu, die Menschen unterschiedlich betreffen. Die Gleichstellung von Frauen und Männern will sie als Querschnittsaufgabe, Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche will sie wirksam bekämpfen, Barrieren für behinderte Menschen beseitigen. Neben einer wirksamen Antidiskriminierungspolitik setzt sie sich konkret für die wechselseitige Anerkennung eingetragener lesbischer und schwuler Paargemeinschaften in der Europäischen Union ein (nicht zuletzt gibt es hier in der Bundesrepublik Deutschland Probleme, wenn man bspw. eine lesbische oder schwule Ehe aus Spanien zumindest als Eingetragene Lebenspartnerschaft anerkennen lassen will, von einer Anerkennung als Ehe ganz zu schweigen): „Die Mitgliedstaaten der EU gehen sehr unterschiedlich mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften um: Einige haben die Ehe geöffnet, andere eigene Rechtsformen geschaffen, weitere verweigern diesen Partnerschaften alle Rechte. All diese Rechtsformen werden gegenseitig nicht anerkannt. Das führt dazu, dass Paare, die in einem Land als verheiratet gelten, in einem anderen juristisch Fremde sind oder eine andere Partnerschaft mit geringeren Rechten eingehen müssen. Das schränkt die Freizügigkeit ein. DIE LINKE fordert eine Regelung zur europaweiten Anerkennung solcher Partnerschaften auf dem jeweils höchsten Rechtsniveau.“
Bündnis 90 / Die Grünen haben das mit Abstand längste Wahlprogramm gezimmert, mit 91 Seiten ist es dreimal so lang wie das von Die Linke (30 Seiten) und mehr als viermal so lang als das der SPD (20 Seiten). Entsprechend ausführlich fallen auch die Betrachtungen gegen Diskriminierung und für Anerkennung von Vielfalt aus: „Gleichberechtigung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in Europa herstellen Wir wollen die vollständige Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in allen Bereichen, nicht nur auf dem Papier, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzen. Es gibt immer noch Mitgliedstaaten, die die Ehe oder registrierte Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare nicht anerkennen. Das bedeutet eine schwere Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit. In Deutschland werden Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender beispielsweise bei Adoptionen und im Beamtenrecht weiterhin benachteiligt. Wir fordern die europaweite Anerkennung eingetragener Partnerschaften und gleichgeschlechtlicher Ehen und gleiche Rechte für diese. EU-Programme zur Jugendbegegnung sollen Maßnahmen zum Abbau von Homosexuellenfeindlichkeit mit einschließen. Und die gemeinsame Außenpolitik der EU muss sich international stärker als bisher für die Menschenrechte von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgendern einsetzen. Ebenso muss die Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung anerkannter Teil der europäischen Flüchtlingspolitik sein.“
Fazit: Wer eine Europäische Union will, die sich auch gegen Diskriminierung und für Toleranz und Akzeptanz auch mit Richtlinien und nicht nur mit der Förderung von Vereinen betätigt, die ist – nach den Wahlprogrammen zu urteilen – mit SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke gleichermaßen in ihrer Wahl gut beraten; CDU, (CSU) und FDP wollen hingegen die diesbezüglichen Möglichkeiten der Europäischen Union beschränken. Die eigentliche Entscheidung ist dann an Hand anderer Politikfelder (bspw. der Asyl- und Flüchtlingspolitik, der Sozialpolitik, der Umweltpolitik) einfacher zu treffen.**
In jedem Fall gilt es, sich weiter zu informieren und am 7. Juni zur Europawahl wählen zu gehen (oder zuvor per Briefwahl abzustimmen)!
* Die CSU tritt als eigene Partei zum Europäischen Parlament an, ist aber nur in Bayern wählbar. Daher wird sie hier nicht genauer betrachtet.
** Zur weiteren Information sind die Wahlprogramme der Parteien lesenswert und empfiehlt sich mitunter eine Nachfrage per E-Mail oder telefonisch, um den Standpunkt einer Partei zu einem bestimmten Politikfeld zu erfragen.
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