Tag Archiv für Schwul

„5 more years?“ – die Landtagswahlen 2013 in Niedersachsen aus queerer Perspektive

Ralf von verqueert.de hat sich vor der Landtagswahl in Niedersachsen die Wahlprogramme der Parteien genauer angesehen – und einen sehr lesenswerten Beitrag veröffentlicht, der auch in der kommenden Ausgabe der „Rosigen Zeiten“ erscheinen wird. Hier also vorab ein erster Blick:

„Am 20. Januar 2013 wird der niedersächsische Landtag gewählt. Nachdem bei der letzten Wahl der Spitzenkandidat der CDU, Cristian Wulff, der später durch David McAllister abgelöst wurde eine schwarz/gelbe Mehrheit erlangen konnte, scheint der Wahlverlauf diesmal offen. Unklar ist es, ob die FDP den Sprung in den Landtag schaffen wird, gleiches gilt auch für die Linke. Jede Stimme könnte entscheidend sein und wird auch weitreichende Folgen für die Community haben.“ Weiter bei verqueert.de.

Hier auch Ralfs regelmäßige „Parlamentsnotizen“:

Parlamentsnotizen Nr. 6 / 5 / 4 / 3 / 2 / 1

Schwule in der Nazi-Zeit

Von Heinz-Jürgen Voß; der Beitrag wurde zuerst beim Oldenburger Magazin für Lesben und Schwule „Rosige Zeiten“ (Nr. 142) und bei Rezensionsportal Kritisch-lesen (Ausgabe Nr. 22) veröffentlicht.

Der Situation von Schwulen in der Nazi-Zeit wendet sich die aus dem Französischen übertragene Graphic Novel „Rosa Winkel“ zu. Berichtet wird die Geschichte des Werbezeichners Andreas Müller, der in den 1930er Jahren Anfang 20 ist und schwul. Er kommt in den Blick der Nazi-Justiz, schließlich ins Gefängnis und – nach einer vorübergehenden Entlassung – ins Konzentrationslager. Als einer der wenigen Überlebenden der Konzentrationslager Sachsenhausen und Neuengamme erhält er in der frühen BRD keine Entschädigung. Wegen der Verurteilung nach Paragraph 175 gilt er als Krimineller und ist bedroht, erneut verurteilt zu werden. Und selbst in den 1980er Jahren, nun lebt Andreas Müller in Frankreich, muss er Vorurteile der nicht-homosexuellen Menschen weiterhin ertragen. Seine Mutter hält hingegen zeitlebens zu ihm.

Durch die individuellen Beschreibungen ermöglichen es die Verfasser Michel Dufranne, Milorad Vicanović und Christian Lerolle dem Lesenden mit dem Protagonisten mitzufühlen. Empathie wird gestärkt und so leistet diese Graphic Novel Erinnerungsarbeit, die gerade vor dem Hintergrund der immer weniger noch lebenden Zeitzeug_innen wichtig ist.

Die allgemeine Einbindung der Arbeit erweist sich hingegen als problematisch, weil sie ein vermeintlich uniformes Bild der männlichen Homosexuellen in der NS-Zeit liefert. Die Graphic Novel erzähle „vom lange tabuisierten Schicksal der Homosexuellen zur Nazizeit“ – so heißt es im Klappentext –, verweist auf ein allgemeines Schicksal, was Schwule in der NS-Zeit ereilt habe. Diese Sichtweise wird mittlerweile von Wissenschaftler_innen differenziert. Wurde eine Weile, auch als Reaktion auf die Verfolgung der Homosexuellen in der BRD, eine schwule Erinnerungskultur etabliert, die homosexuelle Männer als Gruppe konstituierte, die wie die Jüd_innen verfolgt worden sei, so muss diese Sichtweise heute revidiert werden. Im von Burkhard Jellonnek und Rüdiger Lautmann herausgegebenem wissenschaftlichen Sammelband „Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle“ (2002) hält etwa John C. Fout fest: Im „Vergleich zum jüdischen Holocaust [hat es] trotz der Verfolgung, trotz der Konzentrationslager, trotz der Ermordung von Schwulen in der NS-Zeit nie eine totale Ausmerzung der Homosexualität und keine systematische Verfolgung der Schwulen gegeben“ (Fout 2002, S. 169). Auch James D. Steakley schließt sich hier – mit Bezug zu den renommierten Homosexuellen-Forschern Günter Grau und Rüdiger Lautmann – an. Er schreibt mit Verweis auf diese Wissenschaftler im selben Band:

„‚Die Gruppen, welche die Nazis als Staatsfeinde, aber nicht als rassisch minderwertig betrachteten, wurden nicht restlos zusammengetrieben, sondern nur selektiv gefangengenommen.‘ Dies unterscheide sich grundsätzlich von der NS-Judenverfolgung, die bis auf den letzten Mann, die letzte Frau, das letzte Kind durchgeführt werden sollte.“ (Steakley 2002, S. 66) Weiterlesen

Pink Washing Germany? Der deutsche Homonationalismus und die »jüdische Karte« (Koray Yılmaz-Günay & Salih Alexander Wolter)

Sehr lesenswerter Beitrag – als erster Vorgeschmack auf ein sehr sehr tolles Buch, das Anfang 2013 erscheint (Duygu Gürsel, Zülfukar Çetin, Allmende e.V.: Wer macht Demo_kratie. Kritische Migrationsforschung. ISBN 978-3-942885-34-8 (edition assemblage)):
Pink Washing Germany? Der deutsche Homonationalismus und die »jüdische Karte« (Koray Yılmaz-Günay & Salih Alexander Wolter)

Die Party und der Holocaust

Wie in der gesamten westlichen Welt wird auch in Berlin in jedem Juni Gay Pride zelebriert. Der »offizielle« Christopher Street Day (CSD) ist das Großereignis der schwul-lesbischen Community in der deutschen Hauptstadt, an dem neben landes- und bundespolitischer Prominenz neuerdings sogar die Botschafter der USA und Großbritanniens teilnehmen. Als die Parade 2012 auf ihrem Weg zum Brandenburger Tor am Denkmal für die ermordeten Jüd_innen Europas vorbeizog, stellten die Discotrucks aus Respekt vor den Opfern des deutschen Genozids an den europäischen Jüd_innen kurzzeitig die Musik ab. Obwohl »die Stimmung während Umzug und Abschlusskundgebung toll« gewesen sei, verzeichnete später auch das queere Stadtmagazin Siegessäule an diesem Punkt »vereinzelte Kritik« und zitierte stellvertretend aus der Menge der »rund 700.000 Teilnehmenden« eine Konstanze, die fand: »Die Stille macht zwar Sinn, hat aber ein bisschen die Party gekillt« (Sauer 2012). Anders hatte es wenige Stunden nach der Veranstaltung jemand unter dem Nick Eigentlich 22 auf der Website der taz festgehalten: »Da ging das Gegröle los: ›Scheiß Juden! Juda verrecke! Waren doch nur drei Millionen!‹ (Es waren mehr, aber so wurde es gerufen.)« …weiter auf der Homepage von Salih Alexander Wolter

Vorhautbeschneidung bei Jungen: Weg von Vorannahmen, hin zu fundierter Diskussion.

(von Heinz-Jürgen Voß; als pdf-Datei)

Ich habe in den vergangenen Wochen intensiv die Debatten um die Vorhautbeschneidung bei Jungen verfolgt. Ich hätte mir gewünscht, dass ein ähnlich intensives Streiten bzgl. der medizinischen Gewalt gegen Intersexe stattgefunden hätte. Im Gegensatz zur Vorhautbeschneidung bei Jungen kämpfen hier seit Jahrzehnten Menschen gegen die als grauenvoll empfundenen Behandlungen und ihre Folgen.

Bzgl. der Vorhautbeschneidungen bei Jungen gibt es im deutschsprachigen Raum dieses Streiten von selbst betroffenen Menschen hingegen nicht. Aber statt das als Hinweis zu nehmen, dass hier kein solches Streiten erforderlich ist oder dass es etwa nicht so dringlich ist, wurde argumentiert, ‚die beschnittenen Männer wüssten ja nicht, was ihnen bzgl. Sensitivität entgehe‘. Das eigene Empfinden und die eigene Vorannahme wurde auf andere Menschen übertragen – ein Vorgehen, dass nicht zuletzt durch Sexualwissenschaft, Gender und Queer studies und Intersektionalitätsforschung als inakzeptabel erwiesen ist.

Die Debatte ist aufgeladen, gerade weil vom Kölner Landgericht ein Urteil gefällt wurde, was gut in den strukturellen Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland passt. Aber das sollte nicht zu voreiligen Kurzschlüssen verleiten, sondern gerade als Forderung an Wissenschaftler_innen und gut informierte Interessierte verstanden werden, genau nachzuschauen, nachzufragen und zu analysieren.

Zur Kenntnis zu nehmen ist dabei: Weiterlesen

„Die Sache mit dem Geschlecht – Der Biologe Heinz-Jürgen Voss über das Begehren der Geschlechter“

An dieser Stelle sei kurz auf ein Interview im „fluter – Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung“ verwiesen, in dem die Gesellschaftlichkeit von Geschlecht und Begehren verdeutlicht wird. Hier gehts zum Interview.

Darüber hinaus zwei thematische Buchhinweise:

1 – Heinz-Jürgen Voß: „Geschlecht“

2 – Heinz-Jürgen Voß: „Making Sex Revisited“

 

Parlamentsnotizen VI

(von Ralf Buchterkirchen; zuerst in „Rosige Zeiten“ und auf verqueert.de)

Unregelmäßig wird an dieser Stelle über parlamentarische Aktivitäten in Landesparlamenten, im Bundestag und im Europäischen Parlament berichtet. Quellen dafür sind entsprechende Veröffentlichungen bspw. von Fraktionen in den Parlamenten, Drucksachen sowie die jeweiligen Parlamentsdatenbanken. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn etwas fehlt, dann einfach eine E-Mail an mich ( ralf@verqueert.de), ich versuche es dann nachzureichen. Neben parlamentarischen Informationen soll an dieser Stelle auch über Gerichtsentscheidungen informiert werden. Sofern nicht anders beschrieben liegen alle benannten Aktivitäten im Zeitraum Februar2012 bis August 2012.

Im Bundestag standen am 28.Juni zwei Anträge zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der heterosexuellen Ehe zur Beschlussfassung. Ein Antrag von Bündnis 90/Grüne (DS 17/6343) und einer der SPD (DS 17/8155) (ein ähnlicher Antrag der Linken wurde bereits vor einiger Zeit abgelehnt). In braver Koalitionsmanier lehnte die Regierung aus Union und FDP diese Anträge ab. Das ist nicht weiter verwunderlich, steht doch die CDU/CSU seit Jahren allen Versuchen der Gleichstellung im Wege. Auch die FDP verspricht zwar in Wahl- und Grundsatzprogrammen immer wieder auf Neue, viel für Lesben und Schwule zu tun, aber an der Umsetzung mangelt es dann stets, selbst bei Fragen der Eingetragenen Lebenspartnerschaft.

Der Antrag der SPD-Fraktion zur „ Förderung eines offenen Umgangs mit Homosexualität im Sport“ (DS 17/7955) wurde im Sportausschuss abgelehnt. Die Antragsteller_innen hatten in ihrem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, aktiv gegen Homophobie im Sport vorzugehen und dafür auch Mittel bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vorzusehen. Union und FDP lehnten den Antrag als nicht angemessen ab, auch wenn die allgemeine Zielrichtung OK sei. Außerdem müsse – so die Koalition in ihrer Begründung – dies differenzierter betrachtet werden, da es sehr wohl Sportarten gebe, in denen Diskriminierung keine Rolle spiele. Zudem wurde die geplante Anbindung an Antirassismus- und Antigewaltprojekte von der Koalition kritisiert, ein eigener Vorschlag hingegen nicht vorgelegt.   Weiterlesen

Zwangstestung auf HIV und Hepatitis – Gesetz aus Niedersachsen droht auf Sachsen-Anhalt überzugreifen

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst in Rosige Zeiten, Nr. 141 [September/Oktober 2012])

 

Nicht einmal in den 1980er Jahren war eine Zwangstestung auf HIV und Hepatitis möglich. Wurde sie von rechter und konservativer Seite auch gefordert, so konnte sie – auf Grund massiven Widerstands – von den Regierenden nicht durchgesetzt werden. Doch mittlerweile hält die Möglichkeit der Zwangstestung nach und nach durch Hintertüren immer mehr Einzug und gefährdet die Persönlichkeitsrechte von Menschen sowie ihre Rechte, medizinische Eingriffe abzulehnen. Das niedersächsische Gesetz aus dem Jahr 2007 droht nun ähnlich auch in Sachsen-Anhalt umgesetzt zu werden! Weiterlesen

Eine wunderbare Kritisch-Lesen-„Sommerausgabe“ – u.a. zu Schernikau „Die Tage in L“ und dem Buch „Auf der Trans*-Fläche“

Ich möchte auch dieses Mal gern auf die aktuelle Kritisch-Lesen-Ausgabe hinweisen. Es ist explizit eine „Sommerausgabe“ und sie macht deutlich, warum ein Blick kritischer und wissenschaftlicher Rezensionsmedien auf Romane und Erzählungen gut tut – http://kritisch-lesen.de/ .

Ich möchte einen kleinen Hinweis auf ein für intersektionale Betrachtungen wichtiges Buch geben. An dem Buch von Wellgraf „Hauptschüler“ wird deutlich, wie aus einer Stigmatisierung eine Identität erwächst:
http://kritisch-lesen.de/rezension/wenn-jungen-menschen-hoffnungen-genommen-werden

Und besonders erwähnenswert ist auch die Besprechung des Buches von Schernikau „Die Tage in L“ – ein exzellenter Roman zur Wende, schon vor längerer Zeit erschienen, gehört er zum unbedingten Muss für reflektierte Betrachtungen zur Wendezeit:
http://kritisch-lesen.de/rezension/zu-bunt-furs-grau
Weiterhin I: http://verqueert.de/schernikau-zwei-rezensionen/#more-104
Weiterhin II: http://www.schernikau.net/ (dort u.a. die essays)

Queer, kritisch, antirassistisch zum CSD Stuttgart

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Chris*tina Street Day – QueerFeministisch, Solidarisch, Antirassistisch
Demonstration: Samstag, 28.07.12 – 16.00h – Stuttgart, Böblinger Straße
Startnummer 14, Sammlung ab 14 Uhr an der U-Haltestelle Erwin-Schöttle-Platz

Bereits am Vorabend Veranstaltung (in Tübingen!, Schellingstr. 6): Freitag, 27.07.12 – 20.30h: „Eine gerechte Gesellschaft gestalten: Queer & Antikapitalismus“

Ein Blick zurück: Stonewall was a riot
Seit es 28.06.1969 in der Szene-Bar “Stonewall Inn” in New York zum ersten bekannt gewordenen Aufstand “sexueller Minderheiten” gegen Polizeiwillkür und Diskrimierung kam, ist der “Christopher Street Day” ein Fest-, Gedenk- und Protesttag von LGBT’s (lesbian gay bisexuel transgender) in aller Welt.
Als sich bei den Stonewall-Revolten die Wut über Polizeigewalt, Kriminalisierung und Rassismus entlud, bildete sich der Bezugspunkt für die folgenden Jahrzehnte der lgbt*-Bewegung (lesbian, bi, gay, transgender). Die Forderungen nach (bürgerlichen) Rechten und Gleichberechtigung, die Auseinandersetzungen innerhalb der community um Rassismus und Ausgrenzung, die Act Up-Bewegung (AIDS Coalition to Unleash Power) und die damit einhergehende Politisierung der homophob besetzten Thematisierung von „Aids“ finden alle ihre Tradition in den Tagen des Aufstands in der Christopher Street.
In den Kämpfen der lgbt-Bewegungen sehen wir, wie gesellschaftliche Widersprüche sichtbar und angreifbar werden und sich radikale Gesellschaftskritik audrücken kann! Daran wollen wir anknüpfen, frech und widerständige queerFeministische Praxen gestalten, in denen für uns stets auch die Vision einer anderen Gesellschaft skizziert wird!

Ein Blick ins Jetzt:
Homophobe und trans*phobe Gewalt sind nicht von der Bildfläche verschwunden, „schwul“ gilt weiterhin vielerorts als Schimpfwort, Transsexualität wird immer noch als psychische Krankheit klassifiziert, es finden weiterhin chirurgische „Genitalkorrekturen“ bei intergeschlechtlich geborenen Kindern statt und die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ wartet im Übrigen noch immer auf die rechtliche Gleichstellung mit der heterosexuellen Ehe. Weiterlesen

Demokratie und Selbstbestimmung immer weiter eingeschränkt: Sachsen-Anhalt plant HIV-Zwangstests

Nur noch krass. Damit Polizisten ihr Opfer besser schlagen und vergewaltigen können – einen anderen Grund kann es nicht geben, wie sollten Polizisten sonst direkt mit Blut der Opfer in Kontakt kommen – soll in Sachsen-Anhanlt ein Zwangstest für HIV und Hepatitis eingeführt werden. Ein solches Vorgehen spricht gegen jede Selbstbestimmung von Menschen – wir kommen damit wieder in der Bundesrespublik der 1970er Jahre an, in der Homosexuelle zu „freiwilligen“ Operationen, bei denen Hinrbereiche zerstört wurden, genötigt wurden…

Hier der Bericht von queer.de: Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat am Freitag in erster Lesung einen Gesetzentwurf beraten, der der Polizei und anderen Behörden mehr Rechte bringen soll. Unter anderem soll es mit der Änderung des „Gesetzes zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ künftig möglich sein, Personen ohne deren Einwilligung auf HIV und Hepatitis zu testen. Weiter bei Queer.de.