(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst in Rosige Zeiten, Nr. 141 [September/Oktober 2012])
Nicht einmal in den 1980er Jahren war eine Zwangstestung auf HIV und Hepatitis möglich. Wurde sie von rechter und konservativer Seite auch gefordert, so konnte sie – auf Grund massiven Widerstands – von den Regierenden nicht durchgesetzt werden. Doch mittlerweile hält die Möglichkeit der Zwangstestung nach und nach durch Hintertüren immer mehr Einzug und gefährdet die Persönlichkeitsrechte von Menschen sowie ihre Rechte, medizinische Eingriffe abzulehnen. Das niedersächsische Gesetz aus dem Jahr 2007 droht nun ähnlich auch in Sachsen-Anhalt umgesetzt zu werden!
Bereits 2007 wurde in Niedersachsen eine Änderung des Niedersächsisches Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds.SOG) durchgesetzt. Diese Änderung beinhaltet nicht nur, dass eine Zwangstestung von Menschen gerichtlich angeordnet werden kann, sondern ermöglicht sogar eine „Eilanordnung“ durch die Polizei. Die Regelung ist damit ein Freibrief für Polizistinnen und Polizisten nicht mehr auf eigene Sorgfalt zu achten, sondern im Zweifel die Rechte eines Menschen einzuschränken.
Gegen die Gesetzesänderung im Jahr 2007 gab es massiven Widerstand von Aids-Hilfen, etwa der Niedersächsischen Aids-Hilfe. Sie hielt fest, dass eine solche Zwangstestung, etwa auf HIV und Hepatitis, einerseits für die betroffene Person weitgehende Eingriffe in ihre Persönlichkeitsrechte mit sich bringe, etwa das Recht auf Nicht-Wissen einer Diagnose. Andererseits helfe eine solche Testung Polizist_innen und Rettungskräften nicht: Wenn in einer Situation eine Ansteckungsgefahr bestanden hat, kann ohnehin das Ergebnis der Testung nicht abgewartet, sondern muss sofort mit einer Therapie begonnen werden. Hierzu die Niedersächsische Aids-Hilfe in einer Pressemitteilung:
„Besteht der Verdacht einer Hepatitis A oder B Infektion, z.B. bei einem Vergewaltigungsopfer, kann der behandelnde Arzt / Ärztin sofort und schadlos mit einer aktiven und passiven HBV-Impfung beginnen. Um […] das Personal z.B. bei der Polizei oder im Vollzug zu schützen, ist die effizienteste Maßnahme und der einzig wirksame Schutz gegen die Verbreitung von Hepatitis B die vorsorgende statt der nachträglichen Impfung von Personal und Inhaftierten. Gegen Hepatitis C gibt es keinen vorbeugenden Impfschutz, es bleibt nur die Kontrolluntersuchung und im Weiteren die frühzeitige medizinische Behandlung. Einer HIV-Infektion kann mit einer Postexpositionsprophylaxe (PEP) vorgebeugt werden.“ (Pressemitteilung vom 2. Mai 2007)
Während es also gerade für Hepatitis A und B wirksamen Impfschutz gibt und es grob fahrlässig von öffentlichen Behörden wäre, wenn Polizist_innen und Rettungskräfte nicht entsprechend geimpft wären, hilft bei HIV bei einer möglichen Ansteckung die PEP, die so genannte „Pille danach“. Hingegen hilft es Polizist_innen und Rettungskräften eben nicht weiter, wenn Menschen zwangsgetestet werden. Ein Ergebnis läge zu spät vor, als dass es helfen könnte – eine Therapie muss vorsorglich ohnehin sofort eingeleitet werden.
Bedenkt man gerade, welche Auswirkungen mittlerweile mit der Kenntnis einer Infektionskrankheit verbunden sein können – etwa versicherungsrechtliche und juristische Fragen sowie Stigmatisierungen – ist es schon aus dieser Perspektive nicht verantwortbar, in den weiteren Lebenslauf von Menschen mit einem Zwangstest so weitreichend einzugreifen. Wichtiger ist noch, dass jeder Mensch mit einem möglichen positiven Befund einer nicht heilbaren Erkrankung unterschiedlich umgeht und dass es daher der persönlichen Entscheidung eines jeden Menschen obliegen muss, sich testen zu lassen oder nicht!
Insofern liegt es in der Verantwortung einer sich in Niedersachsen hoffentlich bei der nächsten Wahl ändernden Landesregierung, die entsprechende Bestimmung zur Zwangstestung rückgängig zu machen. Gleichzeitig muss die Opposition jetzt schon darauf achten, dass keine Ansteckung mit ähnlichen Gesetzen in anderen Bundesländern erfolgt – hier haben die niedersächsische SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke Verantwortung. Und es gilt aktuell gegen die entsprechende Änderung in Sachsen-Anhalt zu mobilisieren und zu verhindern, dass Blutabnahmen erfolgen dürfen, selbst ohne richterliche Anordnung. (Auch aus anderen Perspektiven ist die geplante Gesetzesänderung in Sachsen-Anhalt problematisch. So sollen maßgebliche Einschränkungen von Bürgerrechten durchgesetzt werden, u.a. die Möglichkeit für die Komplettabschaltung von Mobilfunknetzen und – „zur Abwehr abstrakter Gefahren“, wie es heißt – die Möglichkeit für ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit… Die Beschränkung von Bürgerrechten bestimmt immer mehr die derzeitige Politik und es ist nötig, etwas grundlegend dagegen zu unternehmen.)
Stellungnahme der niedersächsischen Aids-Hilfe (nicht mehr online)
[…] Obwohl diese Information schon ein paar Tage bekannt ist (berichtet bereits im September hier ausführlicher) schlägt es jetzt endlich Wellen. Aus “Sicherheitsgründen” sollen mal wieder […]