Tag Archiv für Queer

Per Olov Enquist: Gestürzter Engel

„An den Abenden konnte man sie in ihrem Bett sitzen sehen, der Deckel der Hutschachtel war abgenommen, aber sein Kopf immernoch in der Schachtel, sie unterhielt sich leise und aufrichtig mit ihm, doch manchmal erregte sie sich und überhäufte ihn mit Vorwürfen und Beschimpfungen; es gab Gelegenheiten, da fand sie sein Verhalten unentschuldbar und schlug den Deckel der Hutschachtel zu und stopfte die Schachtel ganz oben in den Kleiderschrank und drohte heftig fluchend damit, ihn nie mehr hervorzuholen.“

„Acht mal hatte er versucht, Selbstmord zu begehen, bevor es ihm glückte. Er hielt ihnen seine Selbstmordversuche gewissermaßen entgegen, nicht um gerettet zu werden, wie es üblich ist, sondern als ein Angebot. Alle Versuche sehr ungeschickt, fast komisch. Beim ersten Mal hatte er seine Armbanduhr genommen, das Armband benutzt, genauer gesagt den kleinen Stahlbolzen, den man in die Löcher steckt, und damit versucht, ein Loch in eine Ader zu stechen. Er hatte gegraben und gegraben und mit dem stupfen kleinen Bolzen ein Loch zustandegebracht, durch das nur wenig blut fließen konnte; ein lächerlicher Versuch.“ Weiterlesen

Wilchins, „Gender Theory- Eine Einführung“

Von Gender Theorie zu Gender Rechten!

Was haben Lesben- und Schwulenbewegung, Transgenderbewegung und die feministische Bewegung gemeinsam? Wenn mensch diese Frage hört, fallen erstmal Unterschiede und gegenseitige gelebte Abgrenzungen und Vorurteile ein. Eines haben alle gemeinsam. Ihnen widerfährt aufgrund der Abweichung von einer von außen definierten Rolle Ausgrenzung der „Normalität“. Die Normalität, das ist der weiße heterosexuelle männliche Mainstream. Die entscheidende Gemeinsamkeit, die alle zum zusammenarbeiten auffordert, ist der Gender-Aspekt. Schwule werden diskriminiert, weil sie nicht in die Heterosexualität passen. So sehr sich sich auch anzubiedern versuchen, stellen auch sie gar noch Geschlechterrollen in Frage, nämlich wenn sie sich nicht so kleiden, bewegen, verhalten wie die Gesellschaft das von Ihnen erwartet. Frauen werden allein aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt und diskriminiert, Lesben erleben doppelte Diskriminierung – auf Grund des Geschlechtes und ihrer Sexualität. Transgender wiederum scheinen nicht so richtig in eine der vorgefertigten Rollen zu passen. Weiterlesen

## Queer politics ## zwischen kritischer Theorie ## und praktischer (Un)Möglichkeit ##

Der nachfolgende Text ist veröffentlicht (in leicht veränderter Fassung) in: UTOPIE kreativ, 2005 (182): S. 1108-1114 (Download als pdf-Datei).

„Queer“ ist im Rahmen der queer theory und der daraus resultierenden bzw. zu Grunde liegenden Praxis nicht gleichbedeutend mit lesbisch oder schwul, wie es in Wörterbüchern häufig zu finden ist. Aus dem Englischsprachigen kommend (übersetzt heißt es soviel wie „merkwürdig“, „komisch“, „sonderbar“ und erhält im Sprachgebrauch eine mit „Arschficker oder „Schlampe“ vergleichbare Bedeutung) wurde der Begriff durch die Gruppe „Queer Nation“ selbstbewusst aufgegriffen und erfuhr eine Umdeutung zu einer übergreifenden Bezeichnung, die Menschen aller Identitäten und Lebensweisen einschließt.

Queer Nation, Lesbian Nation, Bitch Nation
Ende der 1980er Jahre entwickelte sich „Queer Nation“* in den USA als loser Zusammenschluss von Menschen, die aus der Gesellschaft ausgegrenzt und zu Außenseiterinnen gemacht wurden. Es entstand eine Sammelbewegung, die mit radikalen Aktionen und einer radikalen Sichtbarkeit den weißen mittelständischen heterosexuellen Mainstream angriff und Kritik an der ebenfalls diskriminierenden lesbischen und schwulen Community übte. Radikale Aktionen und Sichtbarkeit heißt das Eindringen in als vor Störungen sicher geglaubte weiß und heterosexuell normalisierte Räume, das Eindringen in die Konsumgesellschaft, das Eindringen und positive Besetzen des Mainstreams und das Aufgreifen patriotischer Aussagen und Symbole. Ein Haufen von 50 und mehr „Queers“ ging schrill gekleidet und laut shoppen, ging gemeinsam in sonst weiß und heterosexuell dominierte Lokale, veranstaltete sit-ins, die-ins und kiss-ins… Es wurde ein schwarzer und ein mit queer-T-Shirt bekleideter Bart Simpson kreiert und die US-amerikanische Nationalflagge verfremdet mit rosa Dreiecken von nur mit der Fahne bekleideten Menschen durch die Straßen getragen. Ziel war, öffentliche Räume psychologisch unsicher (im Sinne der Mehrheitsmoral) zu machen und damit Normierungen aufzubrechen; öffentlicher Raum sollte mit Sexualität und politischer Identität besetzt werden. Weiterlesen

Queer zwischen kritischer Theorie und Praxisrelevanz

Der nachfolgende Vortrag ist veröffentlicht in: H.-J. Voss (2004): Queer zwischen kritischer Theorie und Praxisrelevanz; in: H. Hertzfeldt, K. Schäfgen, S. Veth (Hrsg.): Geschlechter Verhältnisse – Analysen aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Dietz Verlag, Berlin.
„Sehr geehrte Damen und Herren“ ist ein Anfang, wie er bei nahezu jeder Rede und beinahe jedem Anschreiben gebraucht wird. Schon in dieser Begrüßungsformel wird deutlich, wie binär unser Alltagsleben aufgebaut ist, wie wenig Platz Menschen darin finden, die nicht dem gesellschaftskonformen Schema entsprechen. Nur zu oft greifen auch Menschen darauf zurück, die es eigentlich besser wissen müssten, Menschen, die schon seit langem in gender oder queeren Zusammenhängen aktiv sind. Ich möchte Dich mit diesem Text zu einem queeren Diskurs einladen, zu einer radikalen Kritik der normativen Zweigeschlechtlichkeit, wie sie die queer-Theorie offen darlegt (1. Abschnitt), und darüber hinaus zu einer kritischen Betrachtung theoretischer queer-Konzepte in Bezug auf ihre Praxisrelevanz (2. Abschnitt). Schließen möchte ich mit einer Vision einer verqueeren Gesellschaft. (1) Weiterlesen

Eine queere EU gestalten – Vorurteile und Diskriminierung abbauen. Forderungen der BAG queer der PDS

In den vergangenen Jahren hat sich einiges in der Europäischen Union getan. Erstmals wurden mit dem Amsterdamer Vertrag 1997 ein Diskriminierungsverbot als Ziel europäischer Politik festgeschrieben. In Artikel 13 heißt es: „ Unbeschadet sonstiger Bestimmungen kann der Rat […] einstimmig geeignet Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen[…] der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“. Mit der Grundrechtscharta der EU wurde im Jahre 2000 dieser Weg weiter beschritten. Artikel 21 verbietet erstmals explizit die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.
Eine konkrete Umsetzung gab es mit der EU-Richtlinie „Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG)“, die zwingend in nationales Recht aller Mitgliedsländer umgesetzt werden muss. Das Verbot von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist auch Bestandteil des Entwurfes der EU-Verfassung. Die Europäische Union erweist sich damit als Vorreiter, die mit ihren Beschlüssen zumeist über das hinausgeht, was in den meisten europäischen Staaten Grundlage der Rechtssprechung ist.
Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch hier noch erheblichen Handlungsbedarf gibt und neue Benachteiligungen, beispielsweise durch eine rigide Abschottungspolitik, nach außen produziert werden.
In vielen Ländern der EU und denen die im Mai 2004 neu aufgenommen werden sollen, existieren immer noch deutliche Defizite bei der Gleichbehandlung von Menschen aller Identitäten oder sexuellen Orientierungen. Weiterlesen