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Weg mit dem Queer-Ding! Ansätze für eine queere Kapitalismuskritik

Debattenbeitrag im Anschluss an arranca Nr. 41 und red & queer Nr. 16 zu aktuellen deutschsprachigen Arbeiten „queerer Ökonomiekritik“; verfasst von Heinz-Jürgen Voß.

Eine Situationsbeschreibung
In der Ausgabe der lesbisch-schwulen Zeitschrift Siegessäule Juli/2008 wurde unter dem Titel „Queer gewinnt“ ein abschließendes plastisches Bild davon gezeichnet, wie „Queer“ nicht nur in Subkulturen verstanden, sondern wie es aktuell auch in der deutschsprachigen Rezeption der „Queer theory“ verhandelt wird. „Berlin ist total queer. Wir feiern das, wir sind mal so frei. Doch leider gibt’s immer noch genug Leute, die uns das vermasseln wollen“ – heißt es dort, womit punktgenau die Problemfelder benannt sind, die eine unbedingte Kritik an Queer und derzeit prominent verhandelten deutschsprachigen Arbeiten zu „Queerer Ökonomiekritik“ notwendig machen.
Queer muss an dieser Stelle nicht grundsätzlich erläutert werden; es sei nur zu den bislang verbreiteten Definitionen seines perversen, verstörenden, zu Normierungen und kollektiven Identitäten kritischen Charakters hinzugefügt, dass Queer einen Ursprung in radikalen politischen Bewegungen hat. Queer wurde nicht in abgeschlossenen Elfenbeintürmen als abstraktes Gedankengebäude erdacht, wie es derzeit mit den ausschließenden Verhandlungen an Universitäten und auf Konferenzen den Anschein macht, schon gar nicht wurde es von Männern und Frauen einer weißen bürgerlichen Mittelklasse entwickelt. Irgendwann war es nur sexy und einladend genug auch für diese – und im deutschsprachigen Raum kommt noch diese anziehende sprachliche Unverständlichkeit hinzu, die weniger Abwehr erwarten lässt, als wenn man sich als „Schwuchtel“ oder „Tunte“ bezeichnete. Weiterlesen

Queerfeministische Ökonomiekritik? Eine Randnotiz zum Ende des Kapitalismus

(von Salih Alexander Wolter, veröffentlicht in: „Rosige Zeiten“ (Oldenburg, www.rosige-zeiten.net), Nr. 128, Juni/Juli 2010)

Ein kleines Aufmerken verdient es doch, dass sie den Kapitalismus jetzt auch endlich – nein, nicht weggehauen, sondern dekonstruiert haben. Kathrin Ganz und Do. Gerbig nämlich, die so was natürlich am PC erledigen. Was sie in der arranca! 41 unter dem üppigen Titel Diverser leben, arbeiten und Widerstand leisten: Queerende Perspektiven auf ökonomische Praxen der Transformation veröffentlicht haben, nennen sie einen Beitrag zur „queerfeministischen Ökonomiekritik“. Aber in dem Aufsatz wird bloß Diversity-Lyrik, wie sie artiger nicht einmal deutsche Großbanken vorzutragen verstehen, mit dem „subversiven“ Gedankengut der Saison gestreckt – und unversehens hat der Kapitalismus fertig.
Dabei machen Ganz und Gerbig in der Einleitung noch in verbaler Street-Credibility : „Alles beginnt für uns damit, die Norm des Kapitalismus … anzugreifen.“ Klingt das nicht nach „Systemfrage stellen“? So lautete bündig die Überschrift einer Vorschau auf die zahlreichen Veranstaltungen, bei denen in diesem Jahr zum 8. März und noch Wochen danach überall in Deutschland junge Linke „Forderungen der ‚traditionellen‘ antikapitalistischen Frauenbewegung“ aufnehmen und erweitern wollten. Denn in den Horizont einer umfassenden Gesellschaftskritik gehören längst auch intersektionale Ansätze, wie sie hierzulande vor allem von Schwarzen Lesben und migrantischen Queer- Aktivist_innen aus ihren spezifischen Erfahrungen von Mehrfachdiskriminierung heraus erarbeitet werden. Entsprechend wandten sich die linken Frauen gegen „einen Feminismus, ‚der sich nicht mit der Verschränkung verschiedener Herrschaftsstrukturen wie Rassismus, Kapitalismus und Geschlechterverhältnissen auseinandersetzt und sich nur um die Belange einer weißen Mittelschicht bemüht‘“. Sie lehnten also ausdrücklich einen Mainstream ab, „der individualistisch oder sogar an traditionellen Vorstellungen orientiert sei“, und bezogen sich dazu teilweise gleichfalls auf queerfeministische Ökonomiekritik (Zitate aus junge welt vom 5. März 2010). Doch was Kathrin Ganz und Do. Gerbig unter diesem Stichwort abliefern, erscheint wie das Gegenprogramm, mit dem ein komplizierter gewordenes Leben gleichsam wieder zum Ponyhof verklärt wird. Die „Intersektionalitätsdebatte“ dient ihnen dabei lediglich als Vorwand, das Kapitalverhältnis nicht länger so wichtig nehmen zu müssen – und genau deshalb können sie auch nicht an emanzipatorische Traditionen anknüpfen oder diese gar fortentwickeln. Clara Zetkin und Simone de Beauvoir waren bereits viel weiter. Weiterlesen

Ohne Osten kein Westen – Zur Diskussion: drei aktuelle Bücher, drei Analysen von Wirtschaft und Demokratie

Buchbesprechung von Heinz-Jürgen Voß, vorab aus „Rosige Zeiten“ (Oktober, November 2009), www.rosige-zeiten.net; hier in leicht geänderter Fassung

Ihr Lieben, es wird wirtschaftspolitisch und politisch. Dennoch: Blättert nicht gleich weiter, es ist wichtig, es geht um grundlegende wirtschaftliche und demokratische Fragen in der aktuellen Gesellschaft – und hervorragende, auch gut lesbare analytische und wegweisende Beiträge zu diesen.
Vorweggenommen sei, dass wir die Autorinnen der drei Bücher kennen, als prominente Vertreterinnen bzw. Sympathisantinnen der Partei Die Linke. Allerdings grinsten sie uns nicht von den großen Stellwänden im Wahlkampf an, wie es Gregor Gysi und Oskar Lafontaine aller Orten taten. Es war offensichtlich noch nicht an der Zeit mit ihnen so intensiv zu werben. Bei einem Blick auf sie – Daniela Dahn, Sahra Wagenknecht, Katja Kipping – als Autorinnen wäre der Beschluss über ihre Werbewirksamkeit gewiss anders ausgefallen.

Daniela Dahn „Wehe dem Sieger! Ohne Osten kein Westen“ steht mit dem Buchtitel auch für den Titel dieser Besprechung Patin. Ihr Buch gibt einen Rahmen, mit dem sich alle drei Bücher sehr schön zusammenfügen: Ohne Osten ist der Westen aus den Fugen. Dahn wendet sich aus einer anderen als oftmals üblichen Perspektive der Wende 1989/1990 zu. Sie wählt eine nüchterne Perspektive, die auch Osten ernstnimmt. Bisher kamen hingegen Stimmen von ehemaligen DDR-Bürgerinnen oftmals in Debatten zu kurz, wurde ihnen eingeredet, doch froh sein zu dürfen, dass die ehemaligen BRD-Bürgerinnen sie überhaupt haben wollten. Etwas mehr Selbstbewusstsein wäre schön – und wichtig für die weitere gesellschaftliche Entwicklung. Weiterlesen