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Kapitalismuskritische Perspektiven im Anschluss an Volkmar Sigusch

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst veröffentlicht bei www.kritisch-lesen.de (Direktlink); Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.)

 

Volkmar Siguschs 1984 erschienenes Buch „Die Mystifikation des Sexuellen“ bietet gute Anknüpfungspunkte, um die Eingebundenheit der Kategorien „Geschlecht“ und „Sexualität“ in die kapitalistische Produktionsweise verstehen und Ableitungen für emanzipatorisches Streiten treffen zu können. Zusammen mit weiteren – auch neueren – Arbeiten Siguschs ergeben sich Anschlussmöglichkeiten für die kapitalismuskritische und antikapitalistische Fortentwicklung feministischer und queer-feministischer Ansätze.

Nach dem Zusammenbruch „des Ostblocks“ seit dem Ende der 1980er Jahre setzte sich zunächst eine breite Enttäuschung und Lethargie bezüglich gesellschaftlicher Alternativen durch. Eine Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftssystem erschien vielen als quasi unmöglich. Gleichzeitig brachen auch „im Westblock“ – insbesondere in den „alten Bundesländern“ der dann um die „neuen Bundesländer“ vergrößerten Bundesrepublik Deutschland – große Teile der linken, sozialistischen Infrastruktur weg, die zuvor über Unterstützung aus dem Lager sozialistischer Staaten mitfinanziert worden war. Ergebnis auch dieser beiden Entwicklungen war es, dass es um kapitalismuskritische oder gar antikapitalistische Ansätze zunächst still wurde. Waren in den 1980er Jahren in der DDR und der BRD Alternativen zum kapitalistischen Wirtschaftssystem auch feministisch (und teilweise schwul) erdacht wurden, die auf Gleichberechtigung von Frauen und Männern zielten und sich gegen eine staatliche Reglementierung von Sexualität wandten, so kamen nun feministische Ansätze diesbezüglich zahnlos daher, fand lediglich noch eine Beschreibung des Lebens von Frauen und Männern auf Basis der derzeitigen Wirtschaftsordnung statt. Diese Entwicklung betraf auch die einsetzenden queer-feministischen Überlegungen, die sich gegen die Grundannahme binärer Geschlechtlichkeit wandten (und die die Kritiken an heterosexuellen Normen und Zwängen befeuerten). Ist zwar schon in dem Begriff der „Performativität“ im Anschluss an die „Queer-Ikone“ Judith Butler deutlich angelegt, wie das stete Aufgreifen von Zeichen und Symbolen durch die Menschen selbst erst zur steten Herstellung von Geschlecht führt und wie den Menschen dieser Zusammenhang aber nicht klar wird, weil ihnen der Zusammenhang ihrer eigenen Tätigkeit und ihres eigenen Zusammenleben als „vom Wollen und Laufen der Menschen unabhängige, ja dies Wollen und Laufen erst dirigierende“ (Karl Marx, „Die deutsche Ideologie“) Erscheinung vorkommt, so gelingt es vielen Rezipient_innen von Butlers Theorien nicht, an diesen kapitalismuskritischen Fingerzeig anzuschließen. Geschlecht ist – und das macht Butler in „Gender trouble“ („Das Unbehagen der Geschlechter“) klar – eben nicht einfach da, sondern ist gesellschaftlich eingebunden und entsteht erst durch das stete und ständige Tun der Menschen. Weiterlesen