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Heinz-Jürgen Voß: Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive

Rezension von Johannes Ungelenk; zuerst erschienen in „Rosige Zeiten“ (Nr. 129, September/Oktober 2010), hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Johannes Ungelenk und der Redaktion.

Die Ausgangslage ist spannend: hatte Thomas Laqueurs Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud die Geschichte der Konstitution ‚biologischen‘ Geschlechts erzählt, scheint Heinz-Jürgen Voß, als diplomierter Biologe, prädestiniert einen Beitrag zu diesem Projekt beizusteuern auf den viele Lese_rinnen Laqueurs sehnsüchtig warten dürften: eine Analyse der Konstitution von ‚biologischem‘ Geschlecht in kontemporären biologisch-medizinischen Theorien und Praktiken. Tatsächlich gipfelt Heinz-Jürgen Voß‘ Buch in einem dritten, abschließenden Kapitel zu Theorien der Geschlechtsdetermination in aktueller medizinisch-biologischer Forschung. In den beiden vorbereitenden Kapiteln wendet er sich, wie der Titel schon erwarten lässt, Thomas Laqueurs Projekt zu. Jedoch nicht mit dem Vorhaben, es zu referieren um lediglich ein Kapitel ergänzen zu können. Er wendet sich dem Projekt zu, um einen zweiten, ruhigeren und aufmerksameren Blick auf das zu werfen, was auch Laqueur für seine Geschichte zur Verfügung gestanden war – Theorien zu ‚biologischem‘ Geschlecht vom antiken Griechenland bis heute. Voß tut dies mit einer etwas anderen Perspektive und einem signifikant anderen Ziel: hatte Laqueur wie Foucault eine Geschichte der Brüche fabriziert, eine strategische Erzählung, deren Relevanz sich aus ihrer eigenen Performanz speist, legt Voß eine in chronologischer Reihenfolge geordnete, bunte Enzyklopädie vor, die die Theorien in knappen Skizzen möglichst getreu abzubilden versucht. Die dabei vorsichtig ausgemachten Trends erzählen keine progressive Geschichte, auch wenn die Betonung von „Wandel und Kontinuität“ ein lineares Geschichtsbild impliziert. Die Ideale dieses Vorgehens sind dementsprechend andere als die Laqueurs: während das Corpus Laqueurs aus dem besteht, was der Erzählung zuträglich ist, beansprucht eine Enzyklopädie größtmögliche Vollständigkeit und getreue Abbildung. Voß‘ Corpus ist folglich deutlich umfassender, kleinteiliger strukturiert, die Auswahl der Texte vermeidet die exklusive Fokussierung auf spezifische Bereiche wie Physiologie oder Anatomie, um auch Verschiebungen der betrachteten Merkmale aufzeigen zu können. Weiterlesen