(Rezension von Salih Alexander Wolter, vorab aus „red & queer“, Nr.19 [2011]; die Rezension ist online bei „Leipziger Kritiken“ – , Veröffentlichung mit freundlicher Zustimmung der Redaktion und von Salih Alexander Wolter)
Vorweg: Unvoreingenommen kann ich dieses Buch nicht besprechen. Ich bin mit seinem Autor seit langem eng befreundet, habe ihn darin bestärkt, es zu schreiben, und selbst gern das Lektorat übernommen – honorarfrei, versteht sich. Denn ich hoffe, dass es zu einer fruchtbaren Diskussion über das Verhältnis von Queer Theory und Marxismus beitragen wird. Mögliche Anschlüsse bietet eine Einsicht, die Robert Steigerwald bereits 1987 im „Blauen Heft“ formulierte, das auf www.dkp-queer.de verfügbar ist: „Im Menschen wirkt kein Dualismus von biologisch angeborenen Verhaltensweisen einerseits und gesellschaftlichen andererseits, sondern Gesellschaftlichkeit wurde zu unserer Natur und bestimmt sämtliche unserer Verhaltensweisen.“
Heinz-Jürgen Voß, eben 31 geworden, gebürtiger Sachse und in der queer-politischen Szene seit Jahren als quirliger linker Aktivist bundesweit bekannt, ist Diplom-Biologe und promovierte im vorletzten Dezember „summa cum laude“ bei dem Sexualwissenschaftler Rüdiger Lautmann in Bremen. Diese Dissertation – unter dem Titel „Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive“ vor Jahresfrist veröffentlicht – wird seither ungewöhnlich breit und kontrovers rezipiert und geht demnächst in die dritte Auflage. „Geschlecht – Wider die Natürlichkeit“ stellt einerseits eine auch für Nicht-Fachleute gut verständliche Zusammenfassung der Studie dar und nimmt andererseits die laufende Debatte auf, in der sich Voß gegen die verbreitete Tendenz stellt, „subversives“ queeres Denken mit der kapitalistischen Ordnung zu versöhnen. Dabei ist seine inzwischen deutlich marxistische Positionierung seinem wissenschaftlichen Anspruch geschuldet: Statt sich mit den gängigen „Eindeutschungen angloamerikanischer Herrschaftskritiken, die zu praxisfreien Denkmodellen umgemodelt wurden“, zu begnügen, zeigt er – wie ein Fach-Rezensent des Erstlings lobte – „klar und deutlich, wie Wege der Erkenntnis in Zukunft zu beschreiten sind: nicht vereinfachend, sondern komplex, multikausale Ursachen erwägen, materielle Aspekte nicht vergessen, stets die Frage `Cui bono?´“. Weiterlesen