Tag Archiv für geschlecht

Fest für ein Deserteursdenkmal in Hamburg – 1. bis 4. Mai

Das aus 22 Gruppen bestehende “Bündnis für ein Hamburger Deserteursdenkmal” lädt wie jedes Jahr zum Klotzfest. Rings um den sogenannten Kriegsklotz in der Nähe des Bahnhofs Dammtor werden vom 1.5. bis zum 4.5. Künstler_innen, Autor_innen und Aktive sich dem Thema Desertion widmen. Es lohnt auf jeden Fall vorbeizuschauen: Auf www.feindbeguenstigung.de findet sich ein umfangreiches Programm.

„Die Sache mit dem Geschlecht – Der Biologe Heinz-Jürgen Voss über das Begehren der Geschlechter“

An dieser Stelle sei kurz auf ein Interview im „fluter – Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung“ verwiesen, in dem die Gesellschaftlichkeit von Geschlecht und Begehren verdeutlicht wird. Hier gehts zum Interview.

Darüber hinaus zwei thematische Buchhinweise:

1 – Heinz-Jürgen Voß: „Geschlecht“

2 – Heinz-Jürgen Voß: „Making Sex Revisited“

 

„Geschlecht: Wider die Natürlichkeit“ und „Making Sex Revisited“

Geschlecht: Wider die NatuerlichkeitDer renommierte Sexualwissenschaftler Prof. Dr. Rüdiger Lautmann rezensierte für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift für Sexualforschung (2/2012) die beiden Bücher „Geschlecht: Wider die Natürlichkeit“ und „Making: Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive“, zu denen sich auch bereits Besprechungen hier auf schwule-seite.de finden (hier und hier). In der umfangreichen Besprechung hält er unter anderem fest:

„Die beiden Bücher attackieren die verbreitete Grundüberzeugung, dass Menschen von Natur aus ein Geschlecht „haben“ und dass dieses Merkmal nach weiblich / männlich strikt zweigeteilt sei. […] Voß trägt seine Attacke nicht – wie sonst so viele – als bloßes Postulat vor, sondern entwickelt sie denkgeschichtlich, und zwar derart materialreich, dass der Kritik irgendwann die Puste ausgehen muss. […] In einer sehr umfangreichen Recherche wird die Forschungsliteratur ausgewertet (bei den historischen Partien sekundäranalytisch). Seitdem man von einer Biologie als Wissenschaft sprechen kann, werden die einschlägigen Texte präsentiert (Primäranalyse). Einige Annahmen, die durchaus als Hypothesen im geläufigen wissenschaftstheoretischen Sinne gelten können, lauten: Die biologischen Aussagen zur Geschlechtlichkeit seien nie eindeutig und ausschließlich auf die Zweierstruktur ausgerichtet gewesen; die allgemein akzeptierte Behauptung von Thomas Laqueur zum Umbruch des Geschlechtsdenkens um 1800 stimme nicht und müsse modifiziert werden; Vorstellungen über mehr als zwei Geschlechter laufen seit dem Altertum im Denkrepertoire mit. Die Biologie muss sich vorhalten lassen, ihre Erkenntnisse seien durch Vorannahmen zum Frauen- und Männerbild programmiert. […] Voß‘ Studien enthalten einen beträchtlichen Mehrwert an Erkenntnis. Man wird zukünftig nicht von der kulturellen Selbstverständlichkeit ausgehen können, die Aufteilung in zwei Geschlechter (zuzüglich einiger quantitativ seltener Besonderheiten wie Transgender und Intersexe) sei ein eindeutiges Resultat der Biologie. Vielmehr wird man anerkennen müssen, dass auch die Biologie – ebenso wie seit einiger Zeit die kulturologische Genderforschung – immer schon mehrere Denkmodelle gepflegt hat.“

Informationen zu den Büchern gibt es hier (Geschlecht) und hier (Making Sex Revisited).
Eine Übersicht über die erschienenen Rezensionen findet sich hier und hier.

„Operationen zur Geschlechtsfestlegung bei intersexuellen Kindern stellen einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit dar und sollen zukünftig unterbunden werden.“ – aktuelle Pressemitteilung aus dem Bundestag zur Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (25.06.2012)

Die Pressemitteilung aus dem Deutschen Bundestag zur gestrigen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die sich mit der Stellungnahme „Intersexualität“ des Deutschen Ethikrates befasste ist eindeutig – und dort einhellig getroffen. Bereits der erste Absatz enthält die wichtigste Aussage: „Operationen zur Geschlechtsfestlegung bei intersexuellen Kindern stellen einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit dar und sollen zukünftig unterbunden werden. Dies war das einhellige Votum der öffentlichen Anhörung im Familienausschuss am Montagnachmittag.“ Etwas später heißt es: „Zu diesen Menschenrechte gehöre unzweifelhaft die körperliche Unversehrtheit. Ein fremdbestimmter körperlicher Eingriff diesen Ausmaßes sei deshalb nicht hinzunehmen. Lediglich wenn es um die Frage von Leben oder Tod gehe, sei dies statthaft. Erst wenn ein Kind sich in dieser Frage unzweifelhaft selbst äußern könne, dürfe eine Entscheidung gefällt werden. Und es müsse geprüft werden, dass die Entscheidung des Kindes für das eine oder andere Geschlecht ohne Beeinflussung von außen, etwa durch die Eltern, getroffen worden sei. Dies könne beispielsweise durch ein Familiengericht geschehen. Lucie Veith, Vorsitzende des Vereins Intersexuelle Menschen aus Neu-Wulmstorf, schloss sich diesem Plädoyer an: Weder Eltern, Ärzte, Psychologen noch ein Parlament hätten das Recht, das Geschlecht eines Menschen zwangsweise festlagen zu lassen. Jörg Woweries, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, führte an, dass es keinen medizinischen Beweis dafür gebe, dass eine Operation zur Geschlechtsfestlegung bei Kleinkindern ungefährlicher oder erfolgversprechender sei als bei einem Erwachsenen. In jedem Fall seien operative Eingriffe mit einem „hohen Risiko“ behaftet und stellten einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeit eines Menschen dar.“

Damit deutet sich an, dass tatsächlich die notwendige grundlegende Änderung möglich, die die gewaltvollen und traumatisierenden medizinischen Interventionen beendet.

Antifee – 15. und 16. Juni in Göttingen

Am kommenden Wochenende findet in Göttingen wieder das bereits weithin bekannte Antifee-Festival statt. Das antisexistische und antirassistische Festival trug bereits in den letzten Jahren dazu bei, dass Debatten unter linken, emanzipatorischen Menschen fundiert wurden. Auch in diesem Jahr ist es mit einem breiten Programm präsent. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall. Nähere Informationen finden sich hier, auf den Seiten des Antifee.

Geschlecht und Sexualität in Schulbüchern – weiterhin heteronormativ. Hier ein Auszug aus Biologie-Lehrbüchern:

Eine aktuelle Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (erarbeitet von Melanie Bittner, im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung) kommt zu einem äußerst ernüchternden Ergebnis zu den Betrachtungen von Geschlecht und Sexualität in deutschsprachigen Schulbüchern. Von den französischen Fortschritten ist man weit entfernt. Es ist kein Wunder, dass Homophobie, Transphobie und die Mythen „männliche Aktivität“ vs. „weibliche Passivität“ so weit verbreitet sind, wenn weiterhin ausschließlich das Eindringen des erigierten Penis in die Vagina als Sex beschrieben wird. Mädchen und Frauen werden speziell in den Biologie-Lehrbüchern als passive Beigabe erklärt, in die der Penis des Jungen bzw. Mannes einzudringen hat. Zu den Biologie-Lehrbüchern erarbeitet die Studie:

„Auch die üblichen Definitionen von Geschlechtsverkehr verdeutlichen Heteronormativität in Biologiebüchern [- dort heißt es unter anderem]: „Beim Geschlechtsverkehr wird das Glied durch Aufnahme von Blut in die Schwellkörper versteift und dann in die Scheide einer Frau eingeführt.“ „Geschlechtsverkehr: Sex, Liebe machen. Der steife Penis gleitet in die Scheide. Beim Geschlechtsverkehr gelangen Spermien des Mannes in die Scheide der Frau.“ „Beim Geschlechtsverkehr gleitet der Penis in die Scheide.“ Diese Definitionen sind nicht nur heteronormativ, sie schreiben außerdem Männern beim Geschlechtsverkehr grundsätzlich eine aktive Rolle zu und Frauen eine passive Rolle. Zum Teil wird die Vagina bzw. weibliche Erregung geradezu funktionalisiert, so dass sie nur der Penetration durch einen Penis zu dienen scheint. […Folgerung:] Wieder ist der Kritikpunkt nicht, dass diese Form von Sexualität erklärt wird, sondern dass sie als einzige Form von Sexualität dargestellt wird. Nur die vaginale Penetration durch einen Penis wird als Geschlechtsverkehr definiert, ist „richtiger“ Sex, was die Vielfalt heterosexueller, homosexueller und bisexueller Praktiken normativ einengt. Die Analyse zur Konstruktion von Heteronormativität und der Darstellung von Homo- und Bisexualität in 12 aktuellen Biologiebüchern legt einen dringenden Bedarf offen, Lösungsansätze zu finden, wie Sexualität altersgerecht thematisiert werden kann, ohne Heterosexualität zur Norm zu erklären.“

Das war nur ein kurzer Ausblick auf die Biologie-Bücher.

Ambiguität – bedeutsam für die Geschlechterforschung. Rezension von: Thomas Bauer, „Die Kultur der Ambiguität – Eine andere Geschichte des Islams“.

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst und vollständig hier bei querelles-net.de (13 (1)).

Abstract: Die umfassende Arbeit des Arabisten und Islamwissenschaftlers Thomas Bauer bietet eine exzellente Ausgangsbasis, um in der Geschlechterforschung weiterzudenken. Einerseits können nun die sich mit der ‚Moderne‘ etablierenden Gegensatzpaare Homosexualität vs. Heterosexualität und Frau vs. Mann (im Sinne eindeutiger und ‚wahrer‘ Zweigeschlechtlichkeit) als Modernisierungsphänomene vertiefend erforscht werden. Andererseits wird die Bedeutung von Ambiguität gründlich erschlossen: Mit der ‚Moderne‘ habe sich – so führt Bauer plastisch aus – die zuvor bereits in abendländischem Denken vorhandene Tendenz, nach Eindeutigkeit und Wahrheit zu suchen, weiter verstärkt. Widersprüchlichkeiten galten nun als Problem und wurden nach Möglichkeit beseitigt. Im arabischen Raum habe man sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts und mit Bezug auf europäische Quellen der Tilgung von Ambiguität angeschlossen. weiter bei querelles-net.de

Geschlecht und kapitalistische Produktionsweise, Queer und Antikapitalismus – Skizzen für neue Perspektiven

von Heinz-Jürgen Voß, Oktober 2011; zuerst auf dasendedessex.blogsport.de – Den Beitrag gibt es hier auch als pdf-Datei.

 

Um wirksame Konzepte für eine gerechte Gestaltung der Geschlechterordnung erarbeiten zu können, ist ein grundlegendes Verständnis der gesellschaftlichen Bedeutung von Geschlecht in der derzeitigen kapitalistischen, bzw. vielmehr spät-kapitalistischen, Wirtschaftsordnung erforderlich. Eines ist ganz offensichtlich: Die geschlechtliche Einordnung in Frau und Mann ist, bei allen Veränderungen der Art der Zuordnung und der geschlechtlichen Durchdringung der Gesellschaft, historisch hoch stabil. Wenn man bei wenigen gesellschaftlichen Bereichen von „Dispositiven“ im Sinne Michel Foucaults sprechen kann, so gilt das für „Geschlecht“, für „Frau und Mann“. Es handelt sich nicht nur um „Diskurse“, sondern um einen verfestigten gesellschaftlichen Bodensatz, der als quasi-natürlich erscheint, nicht befragt, geschweige denn intellektuell durchdrungen und verstanden wird. Weiterlesen

Weder Gott noch Gen. Heinz-Jürgen Voß´ „Geschlecht – Wider die Natürlichkeit“

(Rezension von Salih Alexander Wolter, vorab aus „red & queer“, Nr.19 [2011]; die Rezension ist online bei „Leipziger Kritiken“ – , Veröffentlichung mit freundlicher Zustimmung der Redaktion und von Salih Alexander Wolter)

Geschlecht: Wider die NatuerlichkeitVorweg: Unvoreingenommen kann ich dieses Buch nicht besprechen. Ich bin mit seinem Autor seit langem eng befreundet, habe ihn darin bestärkt, es zu schreiben, und selbst gern das Lektorat übernommen – honorarfrei, versteht sich. Denn ich hoffe, dass es zu einer fruchtbaren Diskussion über das Verhältnis von Queer Theory und Marxismus beitragen wird. Mögliche Anschlüsse bietet eine Einsicht, die Robert Steigerwald bereits 1987 im „Blauen Heft“ formulierte, das auf www.dkp-queer.de verfügbar ist: „Im Menschen wirkt kein Dualismus von biologisch angeborenen Verhaltensweisen einerseits und gesellschaftlichen andererseits, sondern Gesellschaftlichkeit wurde zu unserer Natur und bestimmt sämtliche unserer Verhaltensweisen.“
Heinz-Jürgen Voß, eben 31 geworden, gebürtiger Sachse und in der queer-politischen Szene seit Jahren als quirliger linker Aktivist bundesweit bekannt, ist Diplom-Biologe und promovierte im vorletzten Dezember „summa cum laude“ bei dem Sexualwissenschaftler Rüdiger Lautmann in Bremen. Diese Dissertation – unter dem Titel „Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive“ vor Jahresfrist veröffentlicht – wird seither ungewöhnlich breit und kontrovers rezipiert und geht demnächst in die dritte Auflage. „Geschlecht – Wider die Natürlichkeit“ stellt einerseits eine auch für Nicht-Fachleute gut verständliche Zusammenfassung der Studie dar und nimmt andererseits die laufende Debatte auf, in der sich Voß gegen die verbreitete Tendenz stellt, „subversives“ queeres Denken mit der kapitalistischen Ordnung zu versöhnen. Dabei ist seine inzwischen deutlich marxistische Positionierung seinem wissenschaftlichen Anspruch geschuldet: Statt sich mit den gängigen „Eindeutschungen angloamerikanischer Herrschaftskritiken, die zu praxisfreien Denkmodellen umgemodelt wurden“, zu begnügen, zeigt er – wie ein Fach-Rezensent des Erstlings lobte – „klar und deutlich, wie Wege der Erkenntnis in Zukunft zu beschreiten sind: nicht vereinfachend, sondern komplex, multikausale Ursachen erwägen, materielle Aspekte nicht vergessen, stets die Frage `Cui bono?´“. Weiterlesen

Heinz-Jürgen Voß: Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive

Rezension von Johannes Ungelenk; zuerst erschienen in „Rosige Zeiten“ (Nr. 129, September/Oktober 2010), hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Johannes Ungelenk und der Redaktion.

Die Ausgangslage ist spannend: hatte Thomas Laqueurs Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud die Geschichte der Konstitution ‚biologischen‘ Geschlechts erzählt, scheint Heinz-Jürgen Voß, als diplomierter Biologe, prädestiniert einen Beitrag zu diesem Projekt beizusteuern auf den viele Lese_rinnen Laqueurs sehnsüchtig warten dürften: eine Analyse der Konstitution von ‚biologischem‘ Geschlecht in kontemporären biologisch-medizinischen Theorien und Praktiken. Tatsächlich gipfelt Heinz-Jürgen Voß‘ Buch in einem dritten, abschließenden Kapitel zu Theorien der Geschlechtsdetermination in aktueller medizinisch-biologischer Forschung. In den beiden vorbereitenden Kapiteln wendet er sich, wie der Titel schon erwarten lässt, Thomas Laqueurs Projekt zu. Jedoch nicht mit dem Vorhaben, es zu referieren um lediglich ein Kapitel ergänzen zu können. Er wendet sich dem Projekt zu, um einen zweiten, ruhigeren und aufmerksameren Blick auf das zu werfen, was auch Laqueur für seine Geschichte zur Verfügung gestanden war – Theorien zu ‚biologischem‘ Geschlecht vom antiken Griechenland bis heute. Voß tut dies mit einer etwas anderen Perspektive und einem signifikant anderen Ziel: hatte Laqueur wie Foucault eine Geschichte der Brüche fabriziert, eine strategische Erzählung, deren Relevanz sich aus ihrer eigenen Performanz speist, legt Voß eine in chronologischer Reihenfolge geordnete, bunte Enzyklopädie vor, die die Theorien in knappen Skizzen möglichst getreu abzubilden versucht. Die dabei vorsichtig ausgemachten Trends erzählen keine progressive Geschichte, auch wenn die Betonung von „Wandel und Kontinuität“ ein lineares Geschichtsbild impliziert. Die Ideale dieses Vorgehens sind dementsprechend andere als die Laqueurs: während das Corpus Laqueurs aus dem besteht, was der Erzählung zuträglich ist, beansprucht eine Enzyklopädie größtmögliche Vollständigkeit und getreue Abbildung. Voß‘ Corpus ist folglich deutlich umfassender, kleinteiliger strukturiert, die Auswahl der Texte vermeidet die exklusive Fokussierung auf spezifische Bereiche wie Physiologie oder Anatomie, um auch Verschiebungen der betrachteten Merkmale aufzeigen zu können. Weiterlesen