Nachdem die Äußerungen von Friedrich, der sich in seiner Antrittsrede zum Bundesinnenminister mit Ausführungen dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre gegen den Bundespräsidenten Christian Wulff wandte, auf breite Gegenwehr stießen, schlug Seehofer am heutigen politischen Aschermittwoch in die gleich Kerbe wie Friedrich: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Er führte gar die Aufklärung auf eine christlich-jüdische Tradition zurück. Indessen ist interessant, dass sich gerade die aufgeklärt zeigenden EuropäerInnen um 1800 ausdrücklich auf den Islam beriefen. Johann Wolfgang von Goethe studierte intensiv den Islam, Bettine von Arnim widmete eine ihrer Schriften ausdrücklich dem „Geist des Islam“. Der bekannte, die Vernunft des Menschen betonende, Roman „Robinson Crusoe“ aus dem 18. Jahrhundert, war eine späte Entsprechung einer von Ibn Tufail im arabisch-islamischen Mittelalter veröffentlichten Schrift, die die Vernunft des Menschen zentral gesetzt hatte: „Hajj ibn Jaqzan der Naturmensch“.
Aber weithin bekannt ist, dass die meisten Zugänge, die das „moderne Europa“ zu antiken Schriften fand, über die Enzyklopädien arabischer Gelehrter gingen, die nicht nur antike Schriften erhielten und weitertrugen, sondern das Wissen weiterentwickelten, mit eigenen Beobachtungen ergänzten und schließlich umfassende Bücher beispielsweise zur Heilkunde vorlegten. Ar-Rāzīs (865-925) Schrift über Infektionskrankheiten wurde noch im 18. Jahrhundert genutzt, um die Möglichkeit von Pockenschutzimpfungen zu diskutieren, Ibn Sīnā (980-1037) hatte die Humoralbiologie von Galenos von Pergamon vollendet und prägte philosophisch das sich im 18. Jahrhundert aufklärende Europa, ebenso wie Ibn Rushd (1126-1198) für die europäische Aufklärung zur zentralen Figur wurde. Er hatte sich schon früh gegen Dogmen wie das der überdauernden Einzelseele (sie wird noch heute in christlichen Kirchen gepredigt) ausgesprochen und stattdessen eine „Gattungsseele“ betont und so eine wichtige Grundlage geliefert, zu einem aufgeklärten Monismus überzugehen, wie ihn Baruch de Spinoza ausarbeitete und wie er die aufgeklärten Schriften im 18. und 19. Jahrhundert prägte.
Inwieweit bei den dummen Ausführungen von Friedrich und Seehofer heute von „aufgeklärt“ gesprochen werden kann, ist zweifelhaft. Immerhin ihnen könnte mit einer vernünftigen Schulbildung, also jenseits religiöser Dogmen und abseits einer Leitkultur, geholfen werden. Bis es diese Schulbildung in Bayern gibt müssen sie aber wohl einfach auf kurze Einführungen zurückgreifen: „Das Vermächtnis des Islams“ (hrsg. von J. Schacht und C. E. Bosworth), „Arabisch-islamische Philosophie: Geschichte und Gegenwart“ (G. Hendrich), „Averroes und die arabische Moderne: Ansätze zu einer Neubegründung des Rationalismus im Islam“ (A. von Kügelgen) und „Goethe und die arabische Welt“ (K. Mommsen).
Im Übrigen ist es besonders absurd, dass nun gerade mit Rufen aus München eine jüdische Religion gegen den Islam in Stellung gebracht werden soll, ist doch diese Stadt und ist Deutschland insgesamt gerade dadurch geprägt, dass Juden verfolgt und ermordet wurden und dass heute noch immer Antisemitismus verbreitet ist. Gerade nach den Erfahrungen des deutschen Faschismus sollten sich auch Politiker der CSU nun endlich für Toleranz und Akzeptanz einsetzen, anstatt immer wieder neu zu zündeln.
[…] Warum dieses ganze Gerde von Intersektionalität, wenn man dann selbst von sonst emanzipiert Denkenden bei der ersten Frage, bei der es einmal tatsächlich wichtig ist, intersektional zu denken, auf ein „christlich abendländisches“ Verständnis „in der Sache“ verwiesen wird? Da war selbst der (rechte) Innenminsiter Friedrich weiter, der auf die jüdisch-christliche Tradition Europas verwies und nur bezüglich Muslim_innen in der Tradition Europas den Schulunterricht geschwänzt hatte. […]