(veröffentlicht: in „Rosige Zeiten“, 2007)
Viele von uns sind es gewohnt ganz selbstverständlich banal, binär zu denken. Wir unterscheiden gut und böse, schwarz und weiß, Natur und Kultur, Mann und Frau. Erst im nächstem Atemzug und auf Ansprache sind wir in der Lage unsere Unterteilungen an Hand ausgewählter Merkmale zu begründen und ggf. auch Schattierungen und Abweichungen aufzuzeigen. Wenden wir uns hier der Dichotomie ‚Männer’ und ‚Frauen’ etwas genauer zu.
Die erste Frage nach der Geburt, die wir uns stellen und die immer wieder gestellt wird: ‚Ist es ein Junge oder ein Mädchen?’ Können die Eltern darauf keine Antwort geben, so herrscht betretenes Schweigen, wird das Thema gewechselt, nehmen wir ‚Abnormalität’ war. Das Kind beginnt erst so richtig in unserer Gesellschaft zu existieren, wenn es mit einem von zwei Geschlechtern aufwarten kann – ein Zustand nachdem Justiz, Medizin und ‚gesellschaftliche Moral’ einem jeden Menschen trachten.
Selbstverständlich nehmen wir für uns auch in Anspruch, Menschen sicher nach dem Geschlecht einstufen zu können. Dies machen wir an Hand der Kleidung, auf Grund beruflicher Qualifikationen (der Chef ist niemals eine Frau), seltener durch einen Blick auf die kulturell so aufgeladenen Genitalien. Bart, übrige Körperbehaarung, Hüfte, Brustumfang sind da schon legitimer als deutlich zugewiesene Merkmale, nach denen wir gelernt haben, einen Menschen nach ‚Mann’ und ‚Frau’ sicher einzuordnen. Vieles wird geschlechtlich aufgeladen: wir sind in einer Zeit „des sprechenden Geschlechts“ (Vgl. Foucault, 2003 (1976) S.138).
Aber sind wir dabei tatsächlich so sicher oder ist dies nur eine Annahme? Da ist Ines-Paul Baumann(1). Einen Vornamen, den er sich selbst gewählt hat. Noch bis vor zehn Jahren vielleicht, hätten wir ihn deutlich als junge Frau auf der Straße ausmachen können. Heute käme nie der Gedanke auf, dass er vielleicht eine Frau sein könnte. Wir betrachten ihn sicher als jungen Mann und kommen erst durch seine Ausführungen dazu, dass er sich eigentlich gar nicht so klar in eines dieser Geschlechter einordnen möchte, sondern dass Ines-Paul lieber mit Mehrdeutigkeiten und Verwirrung spielt und auch selbst mit Mehrdeutigkeiten lebt.
Ines-Paul berichtet von Erfahrungen in schwulen Räumen. Und das ganz ohne Schwanz, dafür mit Bartansatz, viel Testosteron und einer mitreißenden Offenheit und Ansprache. Natürlichkeit und Künstlichkeit geben den Anstoß zu einer Debatte über Vielgestaltigkeiten von Geschlecht. So war es einer Biologie über viele Jahrzehnte (bis Heute) nicht möglich, eindeutige geschlechtliche Merkmale, in einer eindeutigen Kaskade aneinanderzureihen. Stattdaessen spricht die Biologie vom chromosomalen Geschlecht (XX-/XY-Chromosomen), dem genetischen Geschlecht, dem Geschlecht der Keimdrüsen, dem hormonellen Geschlecht, dem Geschlecht der inneren und äußeren Genitalien und schließlich dem Erziehungs- und Erfahrungsgeschlecht und verweist explizit darauf, dass auch ein als typisch männlich betrachteter Chromosomensatz als weiblich betrachtete innere und äußere Genitalien zur Folge haben kann. Menschliches biologisches Geschlecht ist individuell, vielgestaltig. Künstlich ist es ohnehin möglich, viele körperliche Merkmale den eigenen Wünschen nach zu verändern und sich im Sinne einer Technoscience dem vielgeschlechtlichen Zukunftsmenschen zuzuwenden.
Ganz so einfach ist es aber doch noch nicht, da das viel beachtete Recht im Wege steht. Eine Einführung in die rechtliche Situation gab bei der Veranstaltung Katrin Behrmann. So müssen in der Bundesrepublik Deutschland derzeit Transsexuelle für eine ‚kleine Lösung’ (Änderung des Vornamens) zwei GutachterInnen aufsuchen und eine gefestigte, ihrer bisherigen Einordnung ‚gegengeschlechtliche’, Identität belegen. Dann darf der Vorname geändert werden. Für eine ‚große Lösung’ (Personenstandsänderung; dafür erforderlich ist eine Angleichung von Geschlechtsmerkmalen und Sterilisierung) sind weitere GutachterInnen und Jahre erforderlich. Immerhin die gesetzgebende Gewalt zeichnet einen klaren Weg von der Geschlechterkategorie Mann zur Geschlechterkategorie Frau und umgekehrt ab. Was sie bei dem Beschluss dieses Transsexuellengesetzes (1980) offenbar nicht bedachte, dass Menschen offenbar die ‚kleine Lösung’ ausreichen könnte und sie gar keine operativen Eingriffe wünschen. So haben wir den verwirrenden, wunderschönen Zustand, dass es da Katharinas mit auch äußeren als männlich klassifizierten Genitalien und Martins mit auch äußeren als weiblich klassifizierten Genitalien gibt.
Das war nicht im Sinne der Gesetzgebenden, die doch geschlechtseindeutige Vornahmen vorsahen – und so steht eine Änderung ins Haus. Ok, das ist eine böse Zunge die in Jura Konservativismus verortet. Da wären auch die geforderten Operationen und die vorgeschriebene Sterilisation für die ‚große Lösung’ des Transsexuellengesetzes, die gegen das ‚Recht auf körperliche Unversehrtheit’ im Grundgesetz und das grundsätzliche Sterilisationsverbot(2) im Bürgerlichen Gesetzbuch verstoßen. Die Judikative und Legislative erkennen nun auch, dass derzeitige Gesetze zu ‚Geschlechtswechseln’ nicht den Lebenswirklichkeiten von Menschen gerecht werden. So erklärte auch der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof in einer Stellungnahme, in der es darum ging, ob die Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207 auch auf Transsexuelle anwendbar ist: „Es ist erforderlich, die traditionellen Klassifizierungen zu verlassen und wahrzunehmen, dass es zusätzlich zur Dichotomie Mann / Frau eine so erhebliche Bandbreite an Eigenschaften, Verhaltensweisen und Rollen gibt, die von Männern oder Frauen gelebt werden, so dass Geschlecht selbst zutreffender als eine Art Kontinuum verstanden werden sollte.“ (Vgl. Tolmein, 2005 S.132)
Es bleibt zu hoffen und darauf hinzuwirken, dass neue gesetzliche Regelungen Mehrdeutigkeiten gerecht werden, keine so starre Trennung zweier binärer Geschlechter mehr festschreiben und die Wege für einen rechtlichen, selbstbestimmten(3) Kategoriewechsel erleichtern – und nicht auf eine weitere Befestigung der rechtlichen Kategorien ‚Mann’ und ‚Frau’ abzielen. Gleichwohl ist gesetzlichen Regelungen nach wie vor vorzuwerfen, dass sie normalisierend wirken, Kategorien und (positive und negative) Diskriminierungen für lange Zeit festschreiben. In unserem alltäglichen Leben können wir aber darauf hinwirken, dass Individualität, Vielfalt, Mehrdeutigkeit mehr Raum erhält, bspw. indem wir binäre Scheren in unseren Köpfen, auf die wir immer wieder stoßen werden, wahrnehmen und befragen: „ach, da ist ja noch mehr!“
heinzi
* Für die ansprechende Veranstaltung „Transgender oder 3. Geschlecht – ein Leben zwischen den Geschlechtern“ sei gedankt: der ausrichtenden ‚Stiftung Leben und Umwelt’, insbesondere Renate Steinhoff, und Ulrike Kümel. Anmerkungen: (1) Ines-Paul ist bekannt aus dem auch bei der Veranstaltung gezeigten Dokumentarfilm „Ines und Paul – ein Leben zwischen den Geschlechtern“. (2) Ausnahmen sind in engen Grenzen zugelassen, eine gesetzliche Voraussetzung einer Sterilisation ist aber diesbezüglich höchst problematisch. (3) ‚Selbstbestimmt’ sei daher hervorgehoben, weil bei festgestellter Mehrdeutigkeit von ‚Geschlechtsmerkmalen’ (Intersexualität) rechtlich merkwürdigerweise nicht die hohen Hürden für operative Maßnahmen gesetzt sind, sondern nach relativ kurzer, oft unvollständiger Aufklärung der Eltern durch MedizinerInnen operative Maßnahmen zur Geschlechtszuweisung meist im frühen Kindesalter durchgeführt werden. Auch problematisch im Sinne GG §2 (körperliche Unversehrtheit), BGB §1631c, §1904-1906 (enge Grenzen zur Einwilligung in Sterilisation) und StGB §90 Abs. 3 (Nicht-Einwilligungsfähigkeit in die Verletzung der Genitalien). Zur internationalen Debatte zu dieser in vielen westlichen Ländern verbreiteten Praxis vgl. Kessler, S.J. (1998): Lessons from the Intersexed. / Dreger, D. (1999): Intersex in the Age of Ethics. Zur Vertiefung seien empfohlen: polymorph (Hrsg., 2002): (K)ein Geschlecht oder viele? Transgender in politischer Perspektive. / Tolmein, O. (2005): Recht und Geschlecht – ein Plädoyer für die Anerkennung von Hermaphroditen. In: 1-0-1 [one ‚o one] intersex – Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, S.168-185. / Berger, N.J. (2000): Queering Demokratie. Sexuelle Politiken. / ggf. Foucault, M. (2003 (1976)): Das Abendland und die Wahrheit des Sexes. In: Foucault, M. (2003): Schriften in vier Bänden – Dits et Ecrits. Band III, 1976-1979. Suhrkamp, Frankfurt / Main, S.135-140.
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