Tag Archiv für Schwul

Statt deutscher schwuler Bevormundung – russische Lesben und Schwule müssen den Ton angeben

von Heinz-Jürgen Voß, zuerst veröffentlicht in Rosige Zeiten (Heft 150, S.28/29)

 

Schon vor den Weltkriegen wurde in deutschen Medien ein Bild Russlands als ‚aggressiv‘, ‚barbarisch‘, ‚unzivilisiert‘ und ‚unerschlossen‘ gezeichnet. In entsprechende Beschreibungen und Karikaturen waren ebenso antisemitische Stereotype und seit der Oktoberrevolution auch ‚Warnungen vor den Bolschewisten‘ eingeflochten. Das nationalistische und völkische Deutschland wollte seine Vormachtstellung in Europa und in der Welt behaupten. Vor diesem Hintergrund, der mit den Weltkriegen folgenden Geschichte, dem Rassenwahn, der Ermordung von Millionen von Menschen durch die Deutschen, erstaunt es schon sehr, wenn man heute in Texten und Abbildungen wieder auf das Bild Russlands als eines zu zivilisierenden Nachbarn stößt.

Damals wie heute beteiligen sich an diesen Zuschreibungen auch Männer, die auf Männer stehen. In den 1920er Jahren etwa bediente Adolf Brand in der schwulen Zeitschrift Der Eigene unverhohlen nationalistische Klischees und wandte sich gegen die ‚Weimarer Toleranz‘. Lieber als das von Magnus Hirschfeld gezeichnete Bild geschlechtlicher Zwischenstufen war ihm der ‚kernige‘, ‚arische‘ Mann. Heute sind es ebenso vielfach deutsche Schwule, die die plumpesten und dümmsten Vorurteile über Russland schüren – und dabei ebenso insbesondere deutsche Interessen verfolgen.

Denn würde es in den aktuellen Auseinandersetzungen um die Interessen russischer Schwuler und Lesben gehen, dann müssten einige Grundfesten gesetzt sein: Es wäre dann klar, dass sie den Ton und die Richtung des Streitens angeben müssten. Gesetze in Russland gegen Lesben und Schwule und dortige rechtsradikale Übergriffe treffen schließlich sie. Sie sind in Gefahr, während Vertreter des deutschen schwulen Establishments, die am Berliner Potsdamer Platz medienwirksam Fackeln anzünden, keinerlei Gefahr ausgesetzt sind, sondern nach der Aktion sich zu Hause auf ihr Sofa setzen. Letztere beteiligen sich mit solch plakativen Aktionen nur an der deutschen Großerzählung, dass Deutschland emanzipatorisch geworden sei und lenken ab von den rechtsradikalen Übergriffen in Deutschland und auch von den rassistischen und transphoben Übergriffen in der schwulen Szene selbst. Bei der „No Compact!“-Konferenz in Leipzig drückte es ein Vertreter russischer lesbisch-schwuler Selbstorganisationen deutlich aus: „Das Beste was ihr tun könnt, macht eure eigenen Hausaufgaben.“

Also: Russische Lesben und Schwule müssen die Richtung des Streitens angeben. Eine Unterstützung aus Deutschland muss sich davor hüten, dominant zu werden. Gleichzeitig gilt es, die postkolonialen Kritiken unter anderem von Gayatri Chakravorty Spivak zu verstehen: Sie macht an verschiedenen Beispielen deutlich, wie durch westliches Einmischen und westliche Zuschreibungen die Menschen, die eigentlich von bestimmten Restriktionen und Gewalt betroffen sind, zum Schweigen gebracht werden. Gerade durch das westliche Selbstverständnis eigener ‚Zivilisiertheit‘ und die entsprechenden Interventionen mit erhobenem Zeigefinger (wenn nicht gleich mit Panzern), und auch vor dem Hintergrund von Kolonialismus und Kriegen, bestärken diese Interventionen konservative Sichtweisen. In Russland wird die Berechtigung von Spivaks kritischer Sicht deutlich: Präsident Wladimir Putin setzte das Gesetz gegen die öffentliche Werbung für Homosexualität insbesondere mit solcher Argumentation durch, dass man sich vom Westen nichts vorschreiben lassen wolle und es gar nicht um die Interessen von Russ_innen gehe, sondern um solche – wie er sich ausdrückte – ‚westlicher Agenten‘. Hier sucht und findet er den Schulterschluss mit konservativen und nationalistischen Kräften in Russland.

In diesem Sinne trägt die Thematisierung und Instrumentalisierung von Homosexualität in Russland aber einen ähnlichen Charakter, wie man es auch andernorts feststellen kann. Es wird von inneren ökonomischen Schwierigkeiten (viele Menschen sind arm) abgelenkt und eine nationale Idee propagiert. Es ist interessant, wie die Thematisierung von Homosexualität auffällig oft parallel zu weitreichenden politischen Entscheidungen in Ländern geschieht. So wurde in Frankreich im vergangenen Jahr der Kriegseinsatz in Mali durchgesetzt, was aber in der öffentlichen Wahrnehmung unterging, weil alle sich über die Öffnung der Ehe und das Adoptionsrecht für Homosexuelle stritten. In Deutschland war es Ende der 1990er / Anfang der 2000er Jahre ebenso: Während intensiv über das neue Sondergesetz für Lesben und Schwule, die ‚Homo-Ehe‘, diskutiert wurde, konnte die Neubestimmung Deutschlands als militärische Weltmacht – unter anderem mit dem Krieg gegen Afghanistan – durchgesetzt werden.

Warum lassen sich Schwule so für nationale deutsche Interessen instrumentalisieren, wo es doch seit den Anfängen der so genannten Schwulenbewegung darum ging, sich gegen Herrschaft und Unterdrückung, gegen den repressiven deutschen Staat aufzulehnen? Ein Umdenken ist erforderlich. Konkret bedeutet dies für die Unterstützung russischer Lesben und Schwuler:

– Russische Lesben und Schwule müssen die Richtung und die Aktionsformen angeben; Deutsche müssen stets die eigene Position reflektieren und im Blick haben, wann eine Unterstützung umschlägt und nur noch der eigenen Selbsterhöhung dient.

– Medienbeiträge in Deutschland helfen erst einmal russischen Lesben und Schwulen nicht – sie dienen eben im Wesentlichen einer Selbsterhöhung der Deutschen (‚ach, wir sind ja so emanzipatorisch…‘). Wenn berichtet werden soll, ist stets der postkoloniale Hintergrund zu beleuchten und sollten Interviews (offen, nicht gerichtet) mit Russ_innen erfolgen

Beitrag „Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?“ – Alternativen zur Ehe

Da sicherlich für die_den eine_n oder andere_n interessant, möchte ich gern auf den Beitrag „Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?“ hinweisen. Er skizziert Antworten auf die Frage: Was kommt nach der (Homo-)Ehe? Wie kann Familienpolitik aussehen, die nicht kartiert und Menschen ihre Lebensweise vorschreibt, sondern die sich an den Lebensweisen der Menschen orientiert und in der Art eines ‚Baukastenmodells‘ individuelle Lösungen anbietet, um rechtsverbindliche Sicherheiten in diesen Modellen zu schaffen….

Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?
Abstract: Bei der medialen Aufmerksamkeit für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare bzw. der Schaffung der ,Homo-Ehe‘ als Sondergesetz sind die in den 1990er Jahren alternativ verhandelten Familienmodelle aus dem Blick geraten. Dabei fanden in der Bundesrepublik Deutschland intensive Diskussionen statt, und es war keineswegs ausgemacht, dass sich die ,Homo-Ehe‘ durchsetzen würde. Da auch in den aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichungen (vgl. Suck 2010; Raab 2011) kaum auf die alternativen Familienmodelle gesehen wird, werden diese hier fokussiert. Im Blickpunkt stehen das Wahlfamilien-Modell und der PACS als Alternativen zur gleichgeschlechtlichen Ehe.

Der Beitrag findet sich in der Zeitschrift PROKLA (Nr. 173; bestellbar auch als Einzelheft hier: http://www.dampfboot-verlag.de/form_proklaabo.php ).

Der erste Magnus-Hirschfeld-Kongress. Eine kritische Nachlese dieses Wissenschaftskongresses.

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst in „Rosige Zeiten“, Nr. 149 [Jan./Feb. 2014])

 

Vom 28. bis 30. November fand in Berlin der 1. Magnus-Hirschfeld-Kongress statt, der – so das Ansinnen der Veranstalter_innen – den Brückenschlag zwischen LGBTI-Communities und wissenschaftlicher Forschung einleiten sollte. Geht man die nachfolgende Berichterstattung auf Queer.de und in der TAZ durch, so erhält man den Eindruck, dass es ein weitgehend uninteressanter wissenschaftlicher Kongress war, ohne Debatten und auch ohne kritische Auseinandersetzung. Aber gerade diese würde man schon allein von einem wissenschaftlichen Kongress erwarten. Wenn dann noch Aktivist_innen mit verschiedenen Interessen anwesend sind, sollte etwas passieren und sollte es zu einem erfolgreichen Kongress werden, einem mit kritischer Auseinandersetzung, mit Positionsbestimmung und Diskussion über die weiteren Ziele.  Weiterlesen

Dienstag, 19.11., Berlin: Lesung „Pink Washing Germany? Über die Deutschwaschung der schwulen Szenen“

Eine sehr empfehlenswerte Veranstaltung am kommenden Dienstag in Berlin:

Pink Washing Germany? Über die Deutschwaschung der schwulen Szenen

– Lesung mit Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter
– Dienstag, 19. November 2013, 19 Uhr
– Ort: Mio’l (Muskauer Str. 15, Berlin Kreuzberg)

Ankündigungstext:
Vor kurzem gaben Duygu Gürsel, Zülfukar Çetin und Allmende e. V. bei der Edition Assemblage den Sammelband „Wer MACHT Demo_kratie?“ mit kritischen Beiträgen zu Migration und Machtverhältnissen heraus. Er enthält auch einen von Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter verfassten Text, der zuvor schon im Internet und durch eine gekürzte Zeitschriften-Veröffentlichung für Aufsehen gesorgt hatte: „Pink Washing Germany? Der deutsche Homonationalismus und die „jüdische Karte““. Die beiden Autoren beschäftigen sich darin mit einer „Taktik der nationalen Schwulenbewegung“ (Rüdiger Lautmann) in der Bundesrepublik Deutschland und ihren Folgen: Weil die anti-homosexuelle Verfolgung nach dem Ende des NS-Regimes im Westen unvermindert andauerte (der Paragraph 175 war hier bis 1969 in der Nazi-Fassung gültig), wurden „die Schwulen“ als Opferkollektiv dargestellt, das während des Nationalsozialismus (mindestens) ebenso gelitten hätte wie die Jüd_innen. Unter den Tisch fiel dabei einerseits, dass die meisten nicht-jüdischen deutschen Schwulen, wie der Rest ihrer Landsleute, zu den Tätern und Mitläufern des Regimes gehörten – andererseits wurden damit die zahlreichen von Deutschen ermordeten nicht geschlechtskonformen Jüd_innen, Rrom_nija, Kommunist_innen, Sozialist_innen und sogenannten „Asozialen“ unsichtbar gemacht. Doch die Taktik ging auf. Als nunmehr offiziell anerkannter Teil der „Volksgemeinschaft“ zählen weiße deutsche Schwule heute vielfach zu den Stichwortgebern rassistischer Ausgrenzung, und während man sich oberflächlich für das „homofreundliche Israel“ begeistert, wird der in der Szene weit verbreitete Antisemitismus totgeschwiegen. Yılmaz-Günay und Wolter werden ihren Essay vollständig vortragen und stehen danach für Diskussionen zur Verfügung.

Weitere Infos und Link zum Text: http://salihalexanderwolter.de/lesung-pink-washing-germany-ueber-die-deutschwaschung-der-schwulen-szenen/#more-2577

Männlichkeiten und Militarismus „Menschen leben lieber bunt als soldatisch“

Ralf Buchterkirchen hat Queer.de ein sehr lesenswertes Interview zu Queer als Widerstand gegen das Militärische, als Widerstand gegen die Bundeswehr gegeben und erläutert die Hintergründe für sein Buch  „‚… und wenn sie mich an die Wand stellen‘ – Desertion, Wehrkraftzersetzung und ‚Kriegsverrat‘ von Soldaten in und aus Hannover 1933-1945“. Hier ein kleiner Ausschnitt – das vollständige Interview findet sich hier.

Du bist in der Friedensbewegung aktiv. Gibt es einen Zusammenhang mit deinem queeren Engagement?

Auf jeden Fall. Nicht umsonst waren Schwule nie im Militär wirklich willkommen – und sind sie es heute nur aus Imagegründen und aus militärstrategischen Interessen. Die aktuellen Kriege werden vordergründig mit Homosexuellen- und Frauenrechten begründet, die anderen Interessen vernebelt, so dass es für die Armee als notwendig erscheint, „emanzipatorisch“ und „schwulenfreundlich“ zu wirken. Gleichzeitig gilt weiterhin, dass Schwulsein in gewisser Weise die normativen Männlichkeitsbilder angreift. Ohne das Selbstverständnis von Soldaten als heroische Kämpfer und den erwarteten Rollenvorstellungen könnte Militär nicht funktionieren.

[…]

buchterkirchen_militaer_desertion_wehrkraftzersetzung_hannoverSpielt queer in deinem Buch eine Rolle?

Ja. Es ist quasi ein Gegenstück zu den festgefügten Männlichkeitsnormen. Queer beinhaltet Offenheit, wendet sich gegen militärische und sonstige staatliche Gewalt gegen Menschen. Queer waren die Kämpfe in der New Yorker Christopher-Street – gegen die Polizeigewalt. Und zentraler Angelpunkt damals war, dass sich die gegen die Polizeigewalt zur Wehr setzenden auch deutlich gegen klare Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen aussprachen.

Queer bietet also den Ansatz zum Hinterfragen und Angreifen von Norm. Aus dieser Sicht wende ich mich dem Thema Desertion zu. Ich arbeite gerade die individuellen Motive der Menschen heraus, die sich dem Gehorsam verweigerten. Es waren nicht einfach alle „politische Widerstandskämpfer“, sondern einige hatten einfach den Krieg satt, wollten zu ihren Familien, konnten das Töten nicht mehr sehen. Solch individuellen Motive kamen bisher in der Forschung zu kurz – ich halte sie für bedeutsam, auch deshalb, weil das Leben, das bunte Leben von Menschen diametral soldatischer Ordnung, Kriegsinteressen und dem Töten von Menschen entgegensteht. Ein Deserteur schrieb in einem Abschiedsbrief an seine Familie: „Das Leben hat das Recht.“ So ist es.

zum vollständigen Interview

Schwule auf Abwegen

Nachdem sich bereits Olaf Alp – schwuler Medien-Guru: Verleger der schwulen Magazine blu, rik, gab, exit, hinnerk und leo sowie Betreiber des schwulen Radioprogramms blu.fm und von gayromeo.com – in der Debatte um die Teilnahme der rechtspopulistischen Partei Pro Köln am Kölner CSD als Rechtsaußen positioniert hatte (Queer.de, vom 23.5.2013), tut sich nun der Berliner Verlagsgründer Bruno Gmünder mit Wahlkampfspenden ausgerechnet an CDU (Stefan Kaufmann) und FDP (Michael Kauch) hervor (vgl. Rosige Zeiten, Nr. 147, S.34). Soviel Selbstverleugnung und Liebe zum eigenen Vermögen muss man erst einmal besitzen: Immerhin war es Konrad Adenauer (CDU), der die Nazi-Fassung des Paragrafen 175 bestehen ließ und hat die CDU und die FDP die letzten Jahre nichts selbst für Lesben und Schwule unternommen, sondern ließ sich in allem nur vom Bundesverfassungsgericht treiben (vgl. verqueert.de A und verqueert.de B). Auch Bündnis 90 / Die Grünen und SPD erhielten von Gmünder spenden, einzige Die Linke ging leer aus – wohl logisch aus kapitalistischer Unternehmersicht, nicht jedoch aus schwuler Sicht.

Buch NEU erschienen: “Queer und (Anti-)Kapitalismus”

voss_wolter_queer_anti_kapitalismusDas Buch “Queer und (Anti-) Kapitalismus” ist nun erschienen und kann ab sofort beim Verlag bestellt und bei jeder Buchhandlung bezogen werden!

Voß, Heinz-Jürgen / Wolter, Salih Alexander:
Queer und (Anti-)Kapitalismus
Schmetterling-Verlag
1. Auflage 2013 / 160 Seiten / 12,80 EUR
ISBN 3-89657-061-7

Klappentext:
Die ‹Erfolgsgeschichte› der bürgerlichen Homo-Emanzipation in den westlichen Industriestaaten während der letzten Jahrzehnte fällt mit der neoliberalen Transformation der Weltwirtschaft zusammen. Während vor allem weiße schwule Männer Freiheitsgewinne verbuchen, kommt es zu einem entsolidarisierenden Umbau der Gesellschaft, verbunden mit zunehmend rassistischen Politiken im Innern; zugleich dient der «Einsatz für Frauen- und Homorechte» als Begründung für militärische Interventionen im globalen Süden. Dabei waren es schon 1969 in der New Yorker Christopher Street «[S]chwarze und Drag Queens/Transgender of colour aus der Arbeiterklasse», die den Widerstand gegen heteronormative Ausgrenzung und Gewalt trugen und «sich in Abgrenzung zu weißen Mittelklasse-Schwulen und [-]Lesben ‹queer› nannten, lange bevor deren akademische Nachfahren sich diese Identität aneigneten» (Jin Haritaworn). Doch auch hierzulande sind es die queer People of Color, die aktivistisch wie theoretisch gesamtgesellschaftliche Perspektiven jenseits des gängigen Homonationalismus entwickeln.
Im Band betrachten wir die aktuell viel diskutierten Ansätze einer ‹queer-feministischen Ökonomiekritik› vor dem Hintergrund queerer Bewegungsgeschichte. Wir zeigen mögliche Verbindungen zum ‹westlichen Marxismus› Antonio Gramscis, zum postkolonialen Feminismus Gayatri Chakravorty Spivaks, zu den «Eine-Welt›»Konzepten von Immanuel Wallerstein und Samir Amin auf. Wegweisend ist für uns ein intersektionales Verständnis, wie es Schwarze Frauen und queere Migrant_innen in der Bundesrepublik bereits seit den 1980er Jahren erarbeitet haben. Uns interessiert in diesem Band, wie Geschlecht und Sexualität – stets verwoben mit Rassismus – im Kapitalismus bedeutsam sind, sogar dort erst aufkommen oder funktional werden. Theoretisch, historisch und immer mit Blick auf Praxis untersuchen wir die Veränderungen der Geschlechter- und sexuellen Verhältnisse der Menschen unter zeitlich konkreten kapitalistischen Bedingungen. Wem nützen die geschlechtlichen und sexuellen Zurichtungen der Menschen im Kapitalismus, und was lässt sich aus den historischen und aktuellen Kämpfen für queere Kapitalismuskritik lernen?

Bundestagswahl 2013: Die Wahlprogramme der Parteien zu Lesben, Schwulen, Trans* und Inters*

bundestagswahl_2013Ralf Buchterkirchen hat sich für die Rosigen Zeiten (September 2013) die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl genau angesehen und bietet nun schon vorab auf der Homepage verqueert.de einen guten Überblick und eine Hilfe für die Wahlentscheidung. Von welcher der Parteien ist was zu erwarten? Hier kannst du es lesen.

In einem vorangegangenen Beitrag hat sich Ralf Buchterkirchen bereits das angesehen, was in der vergangenen Legislatur geschehen ist. Auch das ist nachlesbar – hier.

„Wer MACHT Demo_kratie?“ – wichtige Anregungen für lesbische, schwule, queere Perspektiven

kritik_praxis-band1_COVER_V1.inddDuygu Gürsel, Zülfukar Çetin & Allmende e.V. (Hg.)
Wer Macht Demo_kratie? Kritische Beiträge zu Migration und Machtverhältnissen
edition assemblage, Infos zum Buch: Verlagsseite

Aufgrund furchtbarer Zustände in Asylbewerberheimen und die andauernde Abschiebepraxis der deutschen Behörden zogen Flüchtlinge von Würzburg nach Berlin. In München fand ein Hungerstreik statt, der unter Einsatz massiver Polizeigewalt aufgelöst und die Menschen vielfach in Abschiebeunterbringung inhaftiert wurden.

Mittlerweile wird immer deutlicher, wie die demokratischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland nicht für alle Menschen gelten. Bei Flüchtlingen wird das krass klar – hier wurde mit besonderem Druck aus der Bundesrepublik Deutschland die Drittstaatenregelung auf europäischer Ebene durchgesetzt und Frontex aufgebaut. Frontex verschuldete viele Tausend Todesfälle im Mittelmeer – und hört noch immer nicht auf.

Die rassistischen Verhältnisse in der Bundesrepublik und die Situation von Migrant_innen und geflüchteten Menschen rückt das neue Buch „Wer MACHT Demo_kratie?“ in den Blick. Dabei wird auch die Verstrickung der „weißen schwulen Community“ in die rassistischen Zustände thematisiert. Etwa in dem Hamburger Stadtteil St. Georg stehen weiße Mittelklasse-Schwule vielfach auf der falschen Seite und wirken daran mit, dass es zu einer vermeintlichen „Aufwertung“ des Stadtteils kommt und viele Menschen dort somit nicht mehr leben können: Arme, Migrant_innen. Also auch viele Schwule – arme, migrantische – sind von der ausgrenzenden Städtebaupolitik betroffen. Im Band „Wer MACHT Demo_kratie?“ erläutert Vassilis S. Tsianos sehr sehr gut diese Städtebaupolitiken in St. Georg.

Solidarisch sein, ein Miteinander entwickeln – dafür liefert das Buch „Wer MACHT Demo_kratie?“ viele gute Beiträge. Es bricht aber auch das leichtfertige Denken auf, in denen Schwulen und Lesben der Mehrheitsgesellschaft immer eine „Opferrolle“ beanspruchten. Auch sie sind häufig zu Täter_innen geworden, gerade in Bezug auf Rassismus und als sie im Streit um ein Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen sich deutlich gegen Jüd_innen positionierten (hierzu ausführlich Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter im Band). Der Band liefert so wichtiges Material, das hoffentlich auch eine Debatte unter Schwulen und Lesben der Mehrheitsgesellschaft um eigenen Rassismus und Antisemitismus anstößt.

Biologie & Homosexualität: Deutschlandradio Kultur zum Buch aus dem Unrast-Verlag

Cover des Buches Biologie und HomosexualitätDer Band Biologie & Homosexualität: Theorie und Anwendung im gesellschaftlichen Kontext, der hier bereits vorgestellt wurde, wird mittlerweile breit zur Kenntnis genommen.

So argumentierte Susanne Billig auf Deutschlandradio Kultur: „Präzise fühlt der Autor auch den jüngsten biologischen Begründungen auf den Zahn. Weder die Hirnforschung (Region INAH3 im Hypothalamus) noch die molekulare Genetik (das „Schwulen-Gen“ Xq28) vermögen ihn zu überzeugen. Zu vage ist die Datenlage, zu gewollt die Interpretation. Für naiv hält Heinz-Jürgen Voß allerdings auch die Hoffnung der Szene, mit dem Verweis auf die biologische Natürlichkeit homosexuellen Verhaltens die Diskriminierung einzudämmen. […] Heinz-Jürgen Voß ist keiner, der populärwissenschaftlich auf die Pauke haut. Auch sein neues Buch führt er nah an fachwissenschaftlichen Gepflogenheiten. […] und seine spannenden Recherche-Früchte präsentiert der Autor auf schmalen 88 Seiten.“ (vollständig lesen

Die Wiener Politikwissenschaftlerin Gudrun Hauer renzensierte das Buch in den Lambda-Nachrichten. Sie beschließt die Rezension folgendermaßen: „Erfrischend zu lesen, gerade wenn man den unsäglichen soziobiologischen Schrott vergleicht, der etwa postuliert, dass ‹die Gene› Männer zu Vergewaltigern und wahllosen Herumvöglern und Frauen zu konstitutionell Schwächeren und zu logischem Denken Unfähigen machten. Eine ausgezeichnete Einführung in ein nicht einfaches Thema – wobei sich die Rezensentin vom Autor eine viel längere Abhandlung erhofft.“ (Lambda-Nachrichten, Heft 3 (2013), S.45, hier online).

Ein Blick in das Buch könnte also lohnen 🙂