Tag Archiv für pluralität

Ambiguität – bedeutsam für die Geschlechterforschung. Rezension von: Thomas Bauer, „Die Kultur der Ambiguität – Eine andere Geschichte des Islams“.

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst und vollständig hier bei querelles-net.de (13 (1)).

Abstract: Die umfassende Arbeit des Arabisten und Islamwissenschaftlers Thomas Bauer bietet eine exzellente Ausgangsbasis, um in der Geschlechterforschung weiterzudenken. Einerseits können nun die sich mit der ‚Moderne‘ etablierenden Gegensatzpaare Homosexualität vs. Heterosexualität und Frau vs. Mann (im Sinne eindeutiger und ‚wahrer‘ Zweigeschlechtlichkeit) als Modernisierungsphänomene vertiefend erforscht werden. Andererseits wird die Bedeutung von Ambiguität gründlich erschlossen: Mit der ‚Moderne‘ habe sich – so führt Bauer plastisch aus – die zuvor bereits in abendländischem Denken vorhandene Tendenz, nach Eindeutigkeit und Wahrheit zu suchen, weiter verstärkt. Widersprüchlichkeiten galten nun als Problem und wurden nach Möglichkeit beseitigt. Im arabischen Raum habe man sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts und mit Bezug auf europäische Quellen der Tilgung von Ambiguität angeschlossen. weiter bei querelles-net.de

Menschen leben lieber bunt als soldatisch: „Viele Freiwillige kündigen ihren Dienst schon nach wenigen Tagen“ (HAZ, 21.7.2011)

von Heinz-Jürgen Voß

 

Menschen leben lieber bunt als soldatischNachdem die Bundeswehr in den vergangenen Wochen ihre Werbebemühungen verstärkt hatte und mit bunten Plakaten, Techniktrucks und lächelnden Gesichtern versucht hatte junge Leute für das Militär zu gewinnen, schlagen diese Bemühungen fehl. Selbst diejenigen, die sich anfänglich vorstellen konnten, ‚im Ernstfall‘ Menschen zu töten bzw. dabei behilflich zu sein, kehren der Bundeswehr in Scharen den Rücken. So haben bei der 1. Panzerdivision in Hannover, die insbesondere in Afghanistan aktiv ist, bereits innerhalb der erste drei Wochen nach Dienstantritt 14 Prozent der Rekruten und Rekrutinnen gekündigt. Dies berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) auf der Titelseite ihrer aktuellen Ausgabe vom 21. Juli 2011. Die HAZ problematisiert: „Viele Freiwillige kündigen ihren Dienst schon nach wenigen Tagen“ – und weiter: „Viele junge Männer und Frauen, die sich zum freiwilligen Dienst in der Armee entschlossen haben, nutzen ihre sechsmonatige Probezeit und kehren der Truppe Knall auf Fall den Rücken.“ Es gab „auffällig häufig Kündigungen aus persönlichen Gründen: Rekruten fühlten sich überfordert und mochten sich nicht an das Leben in der Kaserne und die soldatische Ordnung gewöhnen. Andere erhielten doch noch einen Studienplatz oder eine Zusage für eine Ausbildung in einem zivilen Beruf.“ Weiterlesen

Weder Gott noch Gen. Heinz-Jürgen Voß´ „Geschlecht – Wider die Natürlichkeit“

(Rezension von Salih Alexander Wolter, vorab aus „red & queer“, Nr.19 [2011]; die Rezension ist online bei „Leipziger Kritiken“ – , Veröffentlichung mit freundlicher Zustimmung der Redaktion und von Salih Alexander Wolter)

Geschlecht: Wider die NatuerlichkeitVorweg: Unvoreingenommen kann ich dieses Buch nicht besprechen. Ich bin mit seinem Autor seit langem eng befreundet, habe ihn darin bestärkt, es zu schreiben, und selbst gern das Lektorat übernommen – honorarfrei, versteht sich. Denn ich hoffe, dass es zu einer fruchtbaren Diskussion über das Verhältnis von Queer Theory und Marxismus beitragen wird. Mögliche Anschlüsse bietet eine Einsicht, die Robert Steigerwald bereits 1987 im „Blauen Heft“ formulierte, das auf www.dkp-queer.de verfügbar ist: „Im Menschen wirkt kein Dualismus von biologisch angeborenen Verhaltensweisen einerseits und gesellschaftlichen andererseits, sondern Gesellschaftlichkeit wurde zu unserer Natur und bestimmt sämtliche unserer Verhaltensweisen.“
Heinz-Jürgen Voß, eben 31 geworden, gebürtiger Sachse und in der queer-politischen Szene seit Jahren als quirliger linker Aktivist bundesweit bekannt, ist Diplom-Biologe und promovierte im vorletzten Dezember „summa cum laude“ bei dem Sexualwissenschaftler Rüdiger Lautmann in Bremen. Diese Dissertation – unter dem Titel „Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive“ vor Jahresfrist veröffentlicht – wird seither ungewöhnlich breit und kontrovers rezipiert und geht demnächst in die dritte Auflage. „Geschlecht – Wider die Natürlichkeit“ stellt einerseits eine auch für Nicht-Fachleute gut verständliche Zusammenfassung der Studie dar und nimmt andererseits die laufende Debatte auf, in der sich Voß gegen die verbreitete Tendenz stellt, „subversives“ queeres Denken mit der kapitalistischen Ordnung zu versöhnen. Dabei ist seine inzwischen deutlich marxistische Positionierung seinem wissenschaftlichen Anspruch geschuldet: Statt sich mit den gängigen „Eindeutschungen angloamerikanischer Herrschaftskritiken, die zu praxisfreien Denkmodellen umgemodelt wurden“, zu begnügen, zeigt er – wie ein Fach-Rezensent des Erstlings lobte – „klar und deutlich, wie Wege der Erkenntnis in Zukunft zu beschreiten sind: nicht vereinfachend, sondern komplex, multikausale Ursachen erwägen, materielle Aspekte nicht vergessen, stets die Frage `Cui bono?´“. Weiterlesen

Heinz-Jürgen Voß: Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive

Rezension von Johannes Ungelenk; zuerst erschienen in „Rosige Zeiten“ (Nr. 129, September/Oktober 2010), hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Johannes Ungelenk und der Redaktion.

Die Ausgangslage ist spannend: hatte Thomas Laqueurs Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud die Geschichte der Konstitution ‚biologischen‘ Geschlechts erzählt, scheint Heinz-Jürgen Voß, als diplomierter Biologe, prädestiniert einen Beitrag zu diesem Projekt beizusteuern auf den viele Lese_rinnen Laqueurs sehnsüchtig warten dürften: eine Analyse der Konstitution von ‚biologischem‘ Geschlecht in kontemporären biologisch-medizinischen Theorien und Praktiken. Tatsächlich gipfelt Heinz-Jürgen Voß‘ Buch in einem dritten, abschließenden Kapitel zu Theorien der Geschlechtsdetermination in aktueller medizinisch-biologischer Forschung. In den beiden vorbereitenden Kapiteln wendet er sich, wie der Titel schon erwarten lässt, Thomas Laqueurs Projekt zu. Jedoch nicht mit dem Vorhaben, es zu referieren um lediglich ein Kapitel ergänzen zu können. Er wendet sich dem Projekt zu, um einen zweiten, ruhigeren und aufmerksameren Blick auf das zu werfen, was auch Laqueur für seine Geschichte zur Verfügung gestanden war – Theorien zu ‚biologischem‘ Geschlecht vom antiken Griechenland bis heute. Voß tut dies mit einer etwas anderen Perspektive und einem signifikant anderen Ziel: hatte Laqueur wie Foucault eine Geschichte der Brüche fabriziert, eine strategische Erzählung, deren Relevanz sich aus ihrer eigenen Performanz speist, legt Voß eine in chronologischer Reihenfolge geordnete, bunte Enzyklopädie vor, die die Theorien in knappen Skizzen möglichst getreu abzubilden versucht. Die dabei vorsichtig ausgemachten Trends erzählen keine progressive Geschichte, auch wenn die Betonung von „Wandel und Kontinuität“ ein lineares Geschichtsbild impliziert. Die Ideale dieses Vorgehens sind dementsprechend andere als die Laqueurs: während das Corpus Laqueurs aus dem besteht, was der Erzählung zuträglich ist, beansprucht eine Enzyklopädie größtmögliche Vollständigkeit und getreue Abbildung. Voß‘ Corpus ist folglich deutlich umfassender, kleinteiliger strukturiert, die Auswahl der Texte vermeidet die exklusive Fokussierung auf spezifische Bereiche wie Physiologie oder Anatomie, um auch Verschiebungen der betrachteten Merkmale aufzeigen zu können. Weiterlesen