Tag Archiv für Homosexualität

Karl Heinrich Ulrichs „Der erste Schwule der Weltgeschichte“

(von Heinz-Jürgen Voß, in gekürzter Fassung erstveröffentlicht in „Die Lupe“ (Juni/Juli 2011), Zeitschrift von Die.Linke, Bezirksverband Berlin Tempelhof-Schöneberg. Die vollständige Ausgabe findet sich hier.)

 

Was uns heute als so offensichtlich erscheint, dass man entweder zu einem gewissen Zeitpunkt sein „Coming out“ als homosexuell oder bisexuell hat oder sich ansonsten quasi selbstverständlich als heterosexuell verortet, ist in der Geschichte noch nicht alt. Erst im 19. Jahrhundert (erste Indizien dafür gab es schon etwas früher) kamen solche Identitätsformen auf, mit denen Menschen bereits von Geburt an, oder auf Grund früher Erfahrungen, „schwul“, „lesbisch“ oder „einfach heterosexuell“ seien, weitere Merkmale sollten sich anschließen – so ein gewisser Lebensstil, bestimmte Charaktermerkmale und Verhaltensweisen. Kennzeichnend war für solche Betrachtungen, dass „Homosexuelle“ als „anders“ und „unnormal“, ja sogar als „krank“, neben vermeintlich „normal“-Begehrende gestellt wurden. (Vgl. Klauda 2008.) Erst 1992 wurde Homosexualität aus dem Katalog der Erkrankungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestrichen.
Zuvor war es gewiss auch nicht rosig – wegen gleichgeschlechtlichem Sex (und auch für andere „Delikte“ wie Sex mit Tieren) konnte man mit Verweis auf Sodomie-Paragrafen verurteilt werden, mit harten Strafen, bis hin zum Tod. Allerdings knüpfte sich eben keine starre Identität an den getätigten sexuellen Akt – „Der Sodomit war ein Gestrauchelter, der Homosexuelle ist eine Spezies.“ (Foucault nach: Klauda 2008: S.10f) Weiterlesen

Dass Tiere Sex nur zu Zwecken der Fortpflanzung betrieben, sei kompletter Unsinn. Es „ist wohl eindeutig, dass all das hier viel mit Spaß zu tun hat.“

Immer wieder kommt die Frage nach „Homosexualität“ bei den verschiedenen Tierarten auf. Wenn es auch nicht geht, den Begriff „Homosexualität“ auf andere Tierarten als den Menschen anzuwenden (sie verweist auf eine Identitätsform, die sich seit dem 19. Jahrhundert etablierte), so konnte doch bereits bei vielen Tierarten gleichgeschlechtliches Verhalten gezeigt werden, dass auch nicht einfach auf Sex reduziert werden kann. 2007 gab es hierzu im Naturhistorischen Museum der Universität Oslo eine interessante Ausstellung, die auch touren soll – vielleicht ist sie auch einmal in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen.


Delphine bei der Penetration des Atemloches, Quelle.

Interessant ist sie allemal: So gaben die Organisator_innen in Interviews an, die auch in der deutschsprachigen Presse weite Verbreitung fanden, dass bspw. 80% der Zwergschimpansen „bisexuell“ seien, dass 20% der Möwen „homosexuell“ seien und dass bei 40% der Zwergkakadus „homosexuell“ seien. Insgesamt konnte bislang bei 1500 Tierarten gleichgeschlechtlicher Sex gezeigt werden. Interessant ist dies allemal, wird doch damit die verbreitete These widerlegt, dass Tiere nur Sex zu zwecken der Fortpflanzung hätten. «Wir wissen ja nicht, was sie denken. Aber es ist wohl eindeutig, dass all das hier viel mit Spaß zu tun hat.», so Petter Bøckman. Weiterlesen

„Sein ganzer Traum von Männlichkeit“. Cem Yildiz sagt, wo es langgeht

(rezensiert von Salih Alexander Wolter, erscheint in „Rosige Zeiten“ (Nr. 128, April/Mai 2010, vorab online mit freundlicher Genehmigung der Redaktion)

Cem Yildiz ist in Berlin-Schöneberg zu Hause, wo Trends für den schwulen Mainstream der Bundesrepublik gesetzt werden – nur beruflich war er lange Zeit „vom Outfit her eher Neukölln“ (S. 24). Heute ist er 31 und absolviert eine Ausbildung zum Heilpraktiker. Er bekundet, selbst nie ein Problem damit gehabt zu haben, auch auf Männer zu stehen, und sagt, er raste aus, wenn er mitbekomme, dass „Homos zusammengeschlagen, bedroht und blöd angemacht“ werden (S. 39). Wenn es ungewollt geschieht, wäre hinzuzufügen. Denn mit seinem Bericht Fucking Germany. Das letzte Tabu oder Mein Leben als Escort bietet er eine gänzlich andere als die in den Medien gepflegte Perspektive auf das Thema „Schwule als Opfer“ bzw. „hypermaskuline Jugendliche nichtdeutscher Herkunft“ als Täter. Doch Yildiz kann auf zuverlässiges empirisches Material zurückgreifen: Über ein Jahrzehnt gab er – der „kein Akademikerkind“ ist, aber „auch nicht aus einer Problemfamilie“ stammt (S. 216) – auf Bestellung  „den ‚authentischen‘ knallharten Türkenmacker von der Straße“ (S. 13), in Berlin und auf Kurztrips auch andernorts im Land. Bezahlt wurde er dafür vor allem von homosexuellen Männern, und besonders gern buchten die ihn für die „Ghetto-Nummer“ (S. 24) – inszenierte Überfälle mit anschließender brutaler Vergewaltigung. Seine Erfahrung: „Je krasser die Filme und Klischees, die sie im Kopf haben, desto höher die Nachfrage nach dem wilden, gewalttätigen Ali.“ (S. 64) Weiterlesen

Sexualität und Homosexualität – Ein paar Definitionen aus neuester Geschichte

Sexualität

Geschlechtlichkeit; alle Formen sexueller Verhaltensweisen (aus: Biologie Heute 2G, Hg. Hoff/Jaenicke/Miram, Schroedel Schulbuchverlag GmbH, Hannover 1985)

…die, Geschlechtlichkeit, allg. der Eigenschaftskomplex, der zw. den beiden Gruppen der Organismen unterscheidet, die sich durch Verschmelzung von Geschlechtszellen (Eier und Samen) vermehren; speziell beim Menschen die Gesamtheit der Lebensäußerungen, die auf dem Geschlechtstrieb beruhen, d. h. auf dem Bestreben nach Herbeiführung einer geschlechtl. Beziehung und Befriedigung, oder die damit in Verbindung stehen. Bei höheren Tierarten und bes. beim Menschen spielt neben der hormonellen die Großhirnsteuerung des Sexualverhaltens, und damit das Lernen sexueller Praktiken, eine wichtige Rolle. Mit der Höhe der Entwicklungsstufe wird dabei die unmittelbare sinnl. Lust zunehmend wichtiger als das Ziel der Fortpflanzung. Der S. des Menschen liegt ein vielschichtiger Komplex biolog., psycholog. und soziolog. Faktoren zugrunde. Außer von individuellen Gefühlen, Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen, Vorstellungen und Erfahrungen wird sie wesentl. von kulturellen und gesellschaftl. Verhältnissen, Einrichtungen und Normen geprägt. (aus: Brockhaus 9.Band, Verlag: F.A. Brockhaus GmbH, Mannheim 2000) Weiterlesen

Warum wurde durch die Evolution Homosexualität nicht ausgelesen?

Da sich Homosexuelle in aller Regel nicht fortpflanzen, dürften unsere Gene auch nicht weitergegeben werden, was langfristig zum „Ausmerzen“ der Gene führen würde. Warum ist dies in der Evolution nicht geschehen? Welche Vorteile hat homosexuelles Verhalten gegenüber anderen und wie funktioniert die Weitergabe der Gene an die Nachkommen? Diese Diskussion bezieht sich natürlich darauf, wenn mensch eine genetische Komponente annimmt, die jedoch nicht nachgewiesen ist.

In der Diskussion sind derzeit einige Aussagen:

– Von einigen WissenschaftlerInnen wird angenommen, dass Homosexuelle sich häufig um den Nachwuchs von Verwandten mitkümmern und somit zum Erhalt ihrer eigenen Gene beitragen. Das dürfte aber in einer modernen, sozialen Gesellschaft keine direkte Rolle mehr spielen.
– Homosexuelles Verhalten könnte das Überleben der gesamten Gruppe sichern und somit zum Erhalt der Population beitragen. Gleiche Begründung könnte auch für nichtreproduktive Sexualitäten gelten.
– Vielleicht wird Homosexualität aber auch nur im homozygoten Zustand ausgeprägt?
– Bei niederen Tieren haben homosexuelle Verhaltensweisen auch andere Vorteile: Wenn bei Wanzen ein Männchen ein anderes Männchen mit Spermien beglückt, werden diese Spermien auf ein Weibchen übertragen, sobald der Vergewaltigte ein Weibchen besteigt.

## Sexuelle Ausrichtung – der Glaube an die Gene.

Genetische Faktoren werden seit Ende des 19. Jh. für eigentlich alles verantwortlich gemacht. So wurde ihnen eine Rolle bei Alkoholismus und Gewalttaten zugeschrieben; für Geschlecht und Sexualität gilt ihr Einfluss als ausgemacht. Streifrage ist lediglich, wie hoch ihr Einfluss ist. Seit Ende des 19. Jh. / Anfang des 20. Jh. werden sie für Missgeburten verantwortlich gemacht und führte der Glaube an den „Niedergang der Menschheit“ durch „Degeneration“ zu eugenischen Maßnahmen, die bspw. homosexuellen und anderen behinderten Menschen eine Fortpflanzung verweigern sollte. Letztlich wurden Gene und Vererbung von Merkmalen als Ausrede genutzt, um im Nationalsozialismus Juden (nach der Rassenideologie des Nationalsozialismus), Behinderte, Homosexuelle zu verfolgen und zu ermorden.

Die eugenischen Ansätze, Menschen auf Grund bestimmter Merkmale, die medizinisch als pathologisch geschaffen werden, das Leben zu verwehren, setzen sich bis heute fort. Abgesehen von der Unmenschlichkeit dieses Denkens, verden Zweifel immer lauter, die Genen eine Hauptverantwortung bei der Ausprägung von Merkmalen zubilligen. Einige Anregungen: Weiterlesen

Georg Klauda: „Die Vertreibung aus dem Serail. Europa und die Heteronornmalisierung der islamischen Welt“

(rezensiert von Salih Alexander Wolter; veröffentlich in „Rosige Zeiten“, Nr. 119)

 

„Ein Faktum, das dem Menschsein als solchem entspringt“
Georg Klaudas notwendige Kritik des schwulen Islam-Diskurses.

Diese Studie will politisch genommen werden, also doch wohl „persönlich“. Denn wo selbstbewusste deutsche Lesben und – um die geht es hier vor allem – Schwule vermeinen, sich mit „dem Islam“ auseinanderzusetzen, stößt Georg Klauda sie auf ihre „Unfähigkeit, die Heteronormierung der eigenen Gesellschaft überhaupt noch als solche wahrzunehmen“ (S. 123). Der 1974 geborene Diplom-Soziologe und Historiker – ehemals Schwulenreferent im AStA der FU Berlin und an den Anfängen der sexualemanzipatorischen Zeitschrift Gigi beteiligt – zeigt, dass „die Formierung einer `selbstbewussten´ homosexuellen Identität“ ebendiese Heteronormierung nicht nur zur Bedingung hat. Sie trägt, begriffen „als Teil eines von westlicher Seite voranzutreibenden Emanzipationsprozesses“, sogar noch zu deren Durchsetzung – gegebenenfalls mit militärischem Zwang – in aller Welt bei, indem sie „einer dubiosen Ethnisierung der Menschenrechte“ Vorschub leistet – „so als müsste man sich zu einer bestimmten Minderheit bekennen, um sexuelle Rechte überhaupt einklagen zu dürfen“ (S. 133). Weiterlesen

Das deutschsprachige Wikipedia (http://de.wikipedia.org) zu rosigen Themen

(veröffentlicht in Rosige Zeiten 2007)

 

Wikipedia ist ein umstrittenes Projekt. Die einen schätzen die Erleichterung des Zugangs zu Wissen, andere bemängeln, dass jede mitschreiben könne und damit keine zuverlässigen Angaben diesem Online-Lexikon der neuen Art zu entnehmen seien. So schlecht scheint Wikipedia indes nicht zu sein: In einer Analyse der Zeitschrift „Stern“ (50, Dezember 2007) schnitt Wikipedia beim Informationsgehalt und insbesondere bei der Aktualität der Mehrzahl der untersuchten Artikel besser ab als das herkömmliche Lexikon „Brockhaus“ in seiner stets aktualisierten Online-Ausgabe. Wesentlicher Unterschied: das Wissen der Wikipedia ist kostenlos für jeden Menschen (mit Internet-Zugangsmöglichkeit) zugänglich und der Inhalt ebenfalls für jede veränderbar, wogegen der „Brockhaus“, von einem kleinen Kreis von Autorinnen und „Expertinnen“ erstellt, kostenpflichtig ist. Andere der untersuchten Wikipedia-Artikel – insbesondere historische – waren hingegen qualitativ indiskutabel.

Für die ROZ habe ich mir mal einige Artikel der für unser Themenrepertoire besonders relevanten Artikel angeschaut: „lesbisch“, „schwul“, „queer“, „Transsexualität“, „Transgender“, „Homosexualität“, „Bisexualität“, „Lesben- und Schwulenbewegung“, „Intersexualität“, „Sexualität“, „Sexualität des Menschen“. Mit Bedauern musste ich feststellen, dass es einen Artikel „Rosige Zeiten“ noch nicht gibt – was allerdings jede von uns ändern kann 😉 Weiterlesen

Schwule DDR – Doppelrezension: Setz (2006): „Homosexualität in der DDR“, Lemke (1989): „Ganz normal anders“

„In diese Wohnung bin ich Anfang der fünfziger Jahre gezogen. Vor meinem Einzug ging der Abschnittsbevollmächtigte von Haushalt zu Haushalt, da wo junge Männer lebten, und informierte: Erster Hinterhof, Mitte, zwei Treppen, rechts, da zieht ab nächsten Ersten so einer ein. Vorsicht. Eine bessere Reklame konnte der für mich gar nicht machen. Es dauerte knapp zwei Wochen, da hörte ich das erste schüchterne Klopfen an meiner Tür…“ (Lemke, S.30/31, Setz, S.16)

Es ist nicht leicht, ein komplexes Bild einer ganzen Gesellschaft zu zeichnen. Man hat die Möglichkeit der Annäherung über rechtliche Grundlagen oder über persönliche Erfahrungen. Beide Sichtweisen lassen Lücken, werden notwendiger Komplexität nicht gerecht. Mut zur Lücke heißt aber auch, Freiräume zu lassen, für viele Erfahrungen, oder Interpretationen, kein Bild festzuzurren, dass es eindeutig wohl gar nicht gegeben hat, sondern bewegte Bilder zuzulassen die vielmehr surrealistisch, ständig verändernd neue Anforderungen an die Wahrnehmung formulieren. Zur DDR haben viele Menschen abgeschlossen. Entweder das Bild der verlorengegangenen sozialistischen ‚heilen Welt’ oder des fundamentalen, sämtliche individuellen Rechte beschneidendenden sozialistischen Ungetüms herrscht vor. Seien wir nicht so voreilig. Nehmen wir uns Zeit und entwerfen differenzierte Bilder der Vergangenheit, um daraus lernen und neue emanzipatorische Entwicklungen gewinnen zu können. Weiterlesen

Islam und Homosexualität

Zur mittlerweile sehr heftig dikutierten Thematik ‚Islam und Homosexualität‘ möchte ich als Einstieg die folgenden, aus meiner Sicht differenzierten, Bücher empfehlen. Darin wird mit einfachen Vorurteilen und Pauschalisierungen aufgeräumt, eine differenzierte Betrachtung für verschiedene Länder vorgenommen und die Situation in Deutschland noch einmal gesondert betrachtet. Die Bücher sind als Lektüre sehr empfehlenswert.

Weitere Informationen und Beratung erhält mensch auch bei GLADT e.V. (Gays & Lesbians aus der Türkei). Ausdrücklich erwähnt sei hier, dass ‚aus der Türkei stammend‘ nicht gleich islamisch heißt und sich Mitglieder des Vereins auch von einer solchen Gleichsetzung distanzieren. Aus diesem Verein haben sich lediglich Leute intensiv mit der Thematik beschäftigt und teilweise zu dem untenstehenden Band beigetragen, so dass GLADT e.V. als Ansprechpartnerin auch zu Islam und Homosexualität empfohlen sei. Auf der Page finden sich auch interessante Texte und weitere Links.

Ebenfalls differenziert und lesenswert ist ein Artikel „Homosexualität ist seit Jahrhunderten ein Bestandteil islamischer Kultur und bis heute trotz Verfolgung in manchen Ländern überall präsent“ von Alfred Hackensberger:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27781/1.html

Georg Klauda (2008): Die Vertreibung aus dem Serail. Europa und die Heteronormierung der islamischen Welt.
Männerschwarm Verlag, Hamburg, 2008.
Bochow, M., Marbach, R. (Hrsg., 2003): Islam und Homosexualität – Koran / Islamische Länder / Situation in Deutschland. MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg.