Tag Archiv für homo-ehe

15 Jahre „Homo-Ehe“: Wovon nicht gesprochen wird…

Sieht man auf die Berichterstattung der vergangenen Tage zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft, so wird der Eindruck einer einzigen Erfolgsgeschichte vermittelt. Zunächst hätten sich einige Lesben und Schwule beim Standesamt angemeldet – und seien noch nicht vorgelassen worden. Ab 2001 sei die standesamtliche Eintragung gleichgeschlechtlicher Paare dann möglich gewesen und hätten die Partner_innen nach und nach immer mehr Rechte erhalten.

So die Erfolgsgeschichte, wie man sie bei Queer.de und im Tagesspiegel (Queerspiegel) nachlesen kann. Aber es handelt sich um eine bereinigte Geschichte – alle alternativen und emanzipatorischen Entwürfe, die es gab, sind daraus getilgt. Was war mit der „Schlampagne“, was mit der „Aktion Nein-Wort – wir scheißen auf euer Ja-Wort“, was mit den Vorschlägen des Lesbenrings und des Bundesverbands Homosexualität, was mit den Vorschlägen zu „Wahlfamilien“ der Partei PDS? Was war mit den Kämpfen in der Partei Bündnis 90/Die Grünen, in der sich die Männer um Volker Beck gegen die Feministinnen durchgesetzt haben? Jutta Oesterle-Schwerin von der größten Homosexuellen-Organisation dieser Zeit – dem Lesbenring – warnte ausdrücklich davor, dass nur einige Schwule und Lesben mit der Ehe in die Gesellschaft eingeschlossen würden, wohingegen andere – sie betonte gerade schwule – Lebensweisen zunehmend diskriminiert und stigmatisiert werden würden.

Anderes als die Homo-Ehe war schon in den 1990er Jahren möglich. So schrieben etwa größere Medien wie Der Spiegel schon 1996, dass in der Bundesregierung bereits Debatten über erste Regelungen im Gang seien, um das „trotz großer Reformversuche hoffnungslosveraltet[e]“ (ebd.: 78) Bürgerliche Gesetzbuch wieder auf den aktuellen Stand des Zusammenlebens der Menschen und ihrer Bedürfnisse zu bringen. Der Spiegel schrieb weiter: „Was eine Familie ist, entscheidet sich künftig danach, wer mit wem beim Frühstück sitzt – und nicht mehr nach Trauschein, gemeinsamem Namen oder Stammbuch. Nicht mehr die traditionelle Ehe, sondern alle ‚auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften‘ genießen den Schutz der Rechtsordnung – so jedenfalls steht es in der neuen Landesverfassung von Brandenburg. Ähnliche Verfassungsformulierungen finden sich auch in anderen neuen Ländern.“ (Der Spiegel 1996: 79)

Und auch schon zu der gleichen Zeit wurde in Frankreich der PACS, der Zivile Solidaritätspakt, verankert, der mittlerweile in Frankreich pro Jahr häufiger geschlossen wird als die Ehe. Hingegen gibt es in Deutschland erst 41.000 Eingetragene Lebenspartnerschaften – auch das ist ein Votum. Damit bleibt die Forderung erhalten: Wer heiraten will, soll heiraten – und das richtig! Kein Sondergesetz! Gleichzeitig müssen wir zu einer rechtlichen Form kommen, in der Menschen das rechtlich Notwendige miteinander absichern können, was ihnen wichtig ist: Mietvertrag, Zeugnisverweigerungsrecht, Krankenhausbesuchsrecht individuell, zu mehreren Personen. Wer weiterlesen will, gern hier: „Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?“

Beitrag „Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?“ – Alternativen zur Ehe

Da sicherlich für die_den eine_n oder andere_n interessant, möchte ich gern auf den Beitrag „Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?“ hinweisen. Er skizziert Antworten auf die Frage: Was kommt nach der (Homo-)Ehe? Wie kann Familienpolitik aussehen, die nicht kartiert und Menschen ihre Lebensweise vorschreibt, sondern die sich an den Lebensweisen der Menschen orientiert und in der Art eines ‚Baukastenmodells‘ individuelle Lösungen anbietet, um rechtsverbindliche Sicherheiten in diesen Modellen zu schaffen….

Homo-Ehe oder Solidaritätsvertrag?
Abstract: Bei der medialen Aufmerksamkeit für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare bzw. der Schaffung der ,Homo-Ehe‘ als Sondergesetz sind die in den 1990er Jahren alternativ verhandelten Familienmodelle aus dem Blick geraten. Dabei fanden in der Bundesrepublik Deutschland intensive Diskussionen statt, und es war keineswegs ausgemacht, dass sich die ,Homo-Ehe‘ durchsetzen würde. Da auch in den aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichungen (vgl. Suck 2010; Raab 2011) kaum auf die alternativen Familienmodelle gesehen wird, werden diese hier fokussiert. Im Blickpunkt stehen das Wahlfamilien-Modell und der PACS als Alternativen zur gleichgeschlechtlichen Ehe.

Der Beitrag findet sich in der Zeitschrift PROKLA (Nr. 173; bestellbar auch als Einzelheft hier: http://www.dampfboot-verlag.de/form_proklaabo.php ).

Ein Kommentar zu ‚Homo-Ehe‘ und Volker Beck – hin zu Wahlfamilien

Im Zusammenhang mit einem Beitrag bei Queer.de hier ein kurzer Kommentar:

Volker Beck hat uns überhaupt erst die Misere eingebrockt, dass man sich mit einem so schwachen Sondergesetz wie der ‚Homo-Ehe‘ rumschlagen muss.

Während schon die doch recht konservative Zeitschrift Der Spiegel sich 1996 für ein Wahlfamilienmodell aussprach (Zitat: „Was eine Familie ist, entscheidet sich künftig danach, wer mit wem beim Frühstück sitzt – und nicht mehr nach Trauschein, gemeinsamem Namen oder Stammbuch. Nicht mehr die traditionelle Ehe, sondern alle ‚auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften‘ genießen den Schutz der Rechtsordnung – so jedenfalls steht es in der neuen Landesverfassung von Brandenburg . Ähnliche Verfassungsformulierungen finden sich auch in anderen neuen Ländern.“ (Der Spiegel 1996: 79)), zielte Beck auf den Bürgerrechtsansatz, der nur wenige an Hetero-Privilegien teilhaben lassen sollte, die meisten schwulen Lebensweisen aber weiter und noch stärker diskriminierte.

Bereits 1991 schrieb die Vorsitzende des Lesbenrings zur Homo-Ehe, dass sie „einen Versuch [darstelle], schwules Leben zu domestizieren und es im Zeitalter von AIDS in geordnete Bahnen zu lenken“. Zukünftig würden nur die Schwulen, die mit Heirat „eine gewisse Stetigkeit“ versprächen toleriert, die anderen hingegen „als ‚besonders gefährlich‘ diskriminiert und verfolgt“. Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen war, sehen wir nun hier .

Insofern geht es doch endlich darum, weiterzudenken. Es ist doch spannend, dass der ‚zivile Solidaritätspakt‘ (PACS) in Frankreich, der seit 1999 allen Paaren offen steht, unabhängig von Lebensweise, Geschlecht, sexueller Orientierung schon im Jahr 2010 – also allein in diesem jahr – von 205.000 Paaren geschlossen wurde (bei 250.000 Ehen), während in der Bundesrepublik die Eingetragene Lebenspartnerschaft insgesamt (!) im Jahr 2011 nur 34.000 Mal bestand.

Wer heiraten will, soll dies tun und selbstverständlich muss dafür die Ehe offen sein. Aber es muss doch heute um ein hinreichendes Familienmodell gehen, in dem den konkreten Bedürfnissen von zwei oder mehr (!) Personen Rechnung getragen wird, bestimmte Rechte gegenseitig zuzugestehen. Dass das nötig ist – und eine ‚Ehe-Form‘ nicht ausreicht -, machten die Aids-Hilfen seit Anfang der 1990er Jahre klar und auch eine damalige Umfrage des Bundesministeriums für Justiz ergab weiterreichenden Handlungsbedarf. Das mit Volker Beck und Manfred Bruns dann Lesben und Schwulen ein Sondergesetz als ‚Homo-Ehe‘ übergeholfen wurde, ist wahrlich kein Grund zu feiern. Alternativen sind nötig: Und dafür lohnt es sich, auf den französischen PACS zu sehen, auf das Wahlfamilien-Modell der Linken und den ‚Familienvertrag‘ und den ‚Solidaritätsvertrag‘ wie er nun sogar von der Opposition in Bündnis 90 / Die Grünen vertreten wird.

Schritt 1: Steuerliche Gleichstellung –> Schritt 2: Endlich Abschaffung des (Homo-)Ehegattensplittings

Auf verqueert.de findet sich ein schöner Beitrag zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dort heißt es unter anderem:

„…Letztlich könnte die Entscheidung ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Abschaffung des antiquierten Einkommensplittings sein und endlich nicht mehr Menschen nach irgendwelchen Papieren auf Standesämtern, sondern nach Bedarf unterstützt werden. Immer noch werden nicht verlebenspartnerte oder verheiratete, alleinstehende oder Patchworkfamilien mit Kindern oder Pflegebedürftigen steuerlich und gesellschaftlich diskriminiert. Die Vielfalt der Familienformen wahrzunehmen und passend zu fördern wäre hier der richtige Ansatz. Familie ist da, wo Nähe ist.“

zum vollständigen Text

Wowi, Ole, Guido – Schwule Politiker auf dem Weg zur Normalität Zum neuen Buch von Andreas Heilmann: „Normalität auf Bewährung“.

(von Heinz-Jürgen Voß, erschienen in Rosige Zeiten, Nr. 132 [März/April 2011])

Andreas Heilmann - Normalität auf BewährungMittlerweile titeln Zeitschriften: „Politiker? Männlich? Schwul? Glückwunsch!“ (Stern, 25.08.2009) – Oder: „Deutsche haben nichts gegen schwule Politiker“ (Welt, 27.03.2010), wobei die Zeitschrift Welt sogleich das Bild einer liberalen westdeutschen Tradition anschloss: „Wird Guido Westerwelle deshalb so scharf kritisiert, weil er homosexuell ist? Die Geschichte schwuler Politiker in der Bundesrepublik gibt wenig Anlass zu dieser Vermutung. Denn das Land ist in dieser Frage verlässlich liberal – schon Adenauer war Homosexualität hauptsächlich ‚ejal‘.“
Alles ganz normal – oder? In jedem Fall lässt sich eine Normalisierung feststellen: Waren homosexuelle Frauen und Männer in „Deutschland“ lange Zeit Diskriminierungen ausgesetzt, wurden schwule Männer gar durch den § 175 lange Zeit verfolgt und mit Bezug auf diesen Paragraphen noch in den 1990er Jahren dutzende Männer wegen schwulem Sex verurteilt, so hat sich dieses Bild mittlerweile gewandelt. 1994 wurde der § 175 auch in den alten Bundesländern abgeschafft, 2001 die Eingetragene Lebenspartnerschaft eingeführt, die zumindest auf eine zunehmende Normalität von Homosexualität hinweist. Und zu Beginn des neuen Jahrtausends gab es eine Reihe von Politikeroutings – die eine breite mediale Resonanz erfuhren und zu einer steten Thematisierung von homosexueller Männlichkeit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit beigetragen haben. Weiterlesen