Tag Archiv für gay

Vorhautbeschneidung bei Jungen: Weg von Vorannahmen, hin zu fundierter Diskussion.

(von Heinz-Jürgen Voß; als pdf-Datei)

Ich habe in den vergangenen Wochen intensiv die Debatten um die Vorhautbeschneidung bei Jungen verfolgt. Ich hätte mir gewünscht, dass ein ähnlich intensives Streiten bzgl. der medizinischen Gewalt gegen Intersexe stattgefunden hätte. Im Gegensatz zur Vorhautbeschneidung bei Jungen kämpfen hier seit Jahrzehnten Menschen gegen die als grauenvoll empfundenen Behandlungen und ihre Folgen.

Bzgl. der Vorhautbeschneidungen bei Jungen gibt es im deutschsprachigen Raum dieses Streiten von selbst betroffenen Menschen hingegen nicht. Aber statt das als Hinweis zu nehmen, dass hier kein solches Streiten erforderlich ist oder dass es etwa nicht so dringlich ist, wurde argumentiert, ‚die beschnittenen Männer wüssten ja nicht, was ihnen bzgl. Sensitivität entgehe‘. Das eigene Empfinden und die eigene Vorannahme wurde auf andere Menschen übertragen – ein Vorgehen, dass nicht zuletzt durch Sexualwissenschaft, Gender und Queer studies und Intersektionalitätsforschung als inakzeptabel erwiesen ist.

Die Debatte ist aufgeladen, gerade weil vom Kölner Landgericht ein Urteil gefällt wurde, was gut in den strukturellen Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland passt. Aber das sollte nicht zu voreiligen Kurzschlüssen verleiten, sondern gerade als Forderung an Wissenschaftler_innen und gut informierte Interessierte verstanden werden, genau nachzuschauen, nachzufragen und zu analysieren.

Zur Kenntnis zu nehmen ist dabei: Weiterlesen

Jäcki und die Heere der Unempfindlichkeit. Zum 25. Todestag von Hubert Fichte

(von Salih Alexander Wolter; erschienen in Rosige Zeiten, Nr. 132 [März/April 2011])

Hubert Fichte - Portrait„Geilheit des Aufbruchs damals/ Traurigkeit heute“, notiert Hubert Fichte im März 1985 in Paris. Der Hamburger Schriftsteller, Ethnograph und Journalist hat dort mit seiner Lebensgefährtin, der Fotografin Leonore Mau, seinen 50. Geburtstag gefeiert und will jetzt allein weiter nach Marokko. 15 Jahre zuvor, in seinem Radiofeature über das Treiben auf der Djemma el Fna, dem legendären „Platz der Gehenkten“, ließ er noch weg, was ihn nach Marrakech gezogen hatte – in der Bundesrepublik war der Schandparagraph eben erst gelockert worden. „Die Drohung mit dem KZ bis zum zehnten Lebensjahr, weil ich Halbjude war./ Die Drohung mit dem Zuchthaus, weil ich schwul war“: So hat er einmal zusammengefasst, wie er – der „Detlev“ seines ersten Romans Das Waisenhaus (1965) – die Kontinuität des Rechtsstaats erlebte. Zwar begann, seit er 1968 einem breiteren Publikum mit dem „Pop-Roman“ Die Palette bekannt wurde, nach Detlev der „Jäcki“ Gestalt anzunehmen, der – an seiner Seite „Irma“ mit ihrer Kamera – in Fichtes auf 19 Bände geplanter Geschichte der Empfindlichkeit nach St. Pauli noch andere Tropen erforschen will. Er hatte in den frühen 1960er Jahren in einer Pariser Sauna die Erfahrung gemacht, der er sein ganz eigenes Verständnis von „bi“ verdankte und auf die in seinem neuen Buch eine der „Ricardtanten“ anspielen wird („Ich sah Marcel Proust im Dampf“): Oral befriedigt von einem „alten Franzosen“ und gleichzeitig – zum ersten Mal – anal genommen von einem „jungen Araber“, genoss er „die Bewegung des Hin und Her, das Oszillieren zwischen den Polen“.  So jedenfalls interpretiert Peter Braun in seiner Reise durch das Werk von Hubert Fichte den Dreier und leitet daraus „eine Denkfigur für einen Raum dazwischen“ ab, in dem der Autor später auch seine „Darstellung der afroamerikanischen Religionen angesiedelt“ habe. Doch seinen wohl berühmtesten Satz sagte Jäcki – „von der Erfahrung der Djemma el Fna … beflügelt“, wie Braun annimmt – erst 1971, in Detlevs Imitationen „Grünspan“:  „Ich kann mir die Freiheit, wenn ich ehrlich bin, nur als eine gigantische, weltweite Verschwulung vorstellen…“ Weiterlesen

Hans Peter Hauschild (Hrsg.): Fluchtversuche. Das Leben des Miro Sabanovic zwischen Familienterror, Bahnhof Zoo und Ausländerbehörde.

rezensiert von Heinz-Jürgen Voß, für „Rosige Zeiten“, Nr. 119)

Ein kleines bisschen Unrecht wird Miro Sabanovic schon wieder getan: Eine „Frechheit auf zwei Beinen“, wie es im Nachwort des Herausgebers Hans Peter Hauschild (mittlerweile verstorben) heißt, ist er gewiss nicht. Dies wird nach der Lektüre von Miros Tagebuchaufzeichnungen deutlich. Problematisch ist es, dass im ausführlichen Nachwort Kinderprostitution und die Hierarchie zwischen Freiern und Kindern bei dieser nicht problematisiert werden…

Miro Sabanovic hat eine unglaubliche ganz große Lebensgeschichte an Hand seiner Tagebuchaufzeichnungen zu erzählen, die ich nicht erlebt haben möchte. Kurz vorangestellt sei: die Geschichte ist lesenswert. Sie offenbart Gedanken eines Menschen, der in seinem Leben wahnsinnige Qualen über sich ergehen lässt, und dennoch ein kreischendes, aufbegehrendes, wütendes, freudiges, liebevolles Wesen hat. Er sorgt für Anstoß, stiehlt – auch weil er von seinen Eltern schon von früh an dazu genötigt wurde –, erleidet schwerste Verbrennungen, mutwillig verursacht von seinen Eltern, weil er weggelaufen war… oder er wird mit einer Kette gefesselt und so lange auf seinen Schädel eingeschlagen, bis Miro blutig und ohnmächtig ist… Im zerfallenden Jugoslawien wird er mehrfach von der Polizei festgenommen und schwer misshandelt, dann wieder zu den Eltern gelassen. Seit 1992 hat er Asyl in der Bundesrepublik Deutschland, er muss wieder stehlen, flieht, wird immer wieder gefunden, flieht in ein Heim, in dem er sich sicher glaubt… aber als eine Sozialarbeiterin bei einem seiner Wutanfälle droht, die Familie zu informieren, flieht Miro wieder. Miro macht mit Gefängnissen Bekanntschaft – wegen Diebstahls; sein Bruder der seine Frau erstochen hat, bekommt ein Jahr auf Bewährung. In der ersten Gefängnishaft ergänzt er seine bereits gute deutsche Aussprache auch durch die Kenntnis des Lesens und Schreibens – eine Sozialarbeiterin, die er zunächst nicht mag und dann liebgewinnt und die auch weiterhin zu Unterrichtsstunden zu ihm kommt und einfach zuhört, obgleich er aus ihrem Bereich verlegt wurde, hat daran großen Anteil. Über einige Polizist_innen in der BRD lacht Miro, weil sie ihn immer wieder freilassen und nett behandeln – andere treten und schlagen ihn brutal zusammen, auch in der BRD. Ab einem Alter von zwölf Jahren geht Miro anschaffen, in der schwulen Szene von Berlins Motzstraße. Er geht ins „Datscha“, „Pinocchio“, ins „Tabasco“ oder „Eldorado“, später lieber ins „Filou“, in dem er besser verdient und in dem er immer wieder hofft, auch Benn zu treffen, einen elfjährigen Freund, den er lieb gewonnen hat und der dort ebenfalls anschafft. Er verdient dort nicht schlecht, lernt nette Freier kennen, die gut bezahlen und ihm etwas Geborgenheit und Liebe geben. Einige halten länger zu ihm, ersetzen ihm den liebevollen Vater… Als er das erste Mal einen Freier hat, erschrickt er sich, über die länge des Schwanzes – und als etwas weißes herausspritzt, dass er an sich noch nie so erlebt hat. Das erste Mal gefickt werden, mit Rolf, empfindet Miro als sehr angenehm – dabei bekommt er auch einen Ständer… Miro kommt auf Dope, auf Heroin, kommt mehrfach davon los und wird dann wieder rückfällig, er heult, mag sehr gern seinen kleinen Bruder – für den er auch sein Leben geben würde, wie er schreibt –, liebt Robert – der viel für ihn tut, und Miros Ungerechtigkeiten aushält und wohl auch Heute noch für Miro da ist, wo ihre Liebe an all den Zumutungen zerbrochen ist und Miro Sabanovic nach Bosnien abgeschoben wurde… Weiterlesen

Michal Witkowski: Lubiewo

(übersetzt aus dem Polnischen von Hauptmeier; die Rezension ist erschienen in „Rosige Zeiten – das regionale Magazin aus Oldenburg für Lesben und Schwule“, 116, Juni/Juli 2008, online unter: http://www.rosige-zeiten.net)
„Also gut, Herr Journalist, der Park wird Klappe oder Boulevard genannt. Wenn man dort herumstreunt, dann heißt das Durch-die-Büsche-Ziehen. Die Klappe dient zur Anmache. Das heißt: zum Aufreißen. Zwecks Blasen. Das heißt: Lutschen. Diese Parks hat es immer gegeben, seit ich lebe und Schwänze lutsche, also seit vor dem Krieg. Früher zog sich die Klappe durch die ganze Stadt, und genau so sollte dein Roman über uns beginnen. ‚Die Gräfin verließ das Haus um halb zehn‘ und ging in den Park, denn zehn Uhr abends ist die beste Zeit für einen kleinen Schwengel.“ (S.19) Patrycja und Lukrecia klären Michal so liebevoll auf, obgleich sie wissen, dass er es gar nicht nötig hat. Michal kennt sich bestens in der Szene aus, Michal, der nun einen Roman schreibt, in dem sie endlich im Mittelpunkt stehen dürfen und dies sichtlich genießen. „Lubiewo“ heißt der Roman, benannt nach dem Badestrand an der polnischen Ostseeküste. In Krakau in Polnisch veröffentlicht und dort nun mittlerweile in der 7. Auflage erschienen, liegt nun eine deutsche Übersetzung vor, die sich aufmacht ebenso gut verkauft, das deutsche Bild von polnischen Schwulen umzukrempeln: polnische Schwule sind nicht diese leidvollen Gestalten, die stets und von allen unterdrückt nach deutscher Unterstützung lechzen. Sie haben Freude, sie haben Sex, sie benutzen die echten Hetero-Kerle, sie sorgen sich um das materielle Auskommen, sie gehen in die Kirche, sie geben Kontaktanzeigen auf, sie vergehen sich, sie verachten, sie werden auch mal ermordet. Das es gar kein solches „sie“ – „die“ polnischen Schwulen – gibt, dafür ist der Roman bestes Belegstück: das schwule Polen. Weiterlesen