Genetische Faktoren werden seit Ende des 19. Jh. für eigentlich alles verantwortlich gemacht. So wurde ihnen eine Rolle bei Alkoholismus und Gewalttaten zugeschrieben; für Geschlecht und Sexualität gilt ihr Einfluss als ausgemacht. Streifrage ist lediglich, wie hoch ihr Einfluss ist. Seit Ende des 19. Jh. / Anfang des 20. Jh. werden sie für Missgeburten verantwortlich gemacht und führte der Glaube an den „Niedergang der Menschheit“ durch „Degeneration“ zu eugenischen Maßnahmen, die bspw. homosexuellen und anderen behinderten Menschen eine Fortpflanzung verweigern sollte. Letztlich wurden Gene und Vererbung von Merkmalen als Ausrede genutzt, um im Nationalsozialismus Juden (nach der Rassenideologie des Nationalsozialismus), Behinderte, Homosexuelle zu verfolgen und zu ermorden.
Die eugenischen Ansätze, Menschen auf Grund bestimmter Merkmale, die medizinisch als pathologisch geschaffen werden, das Leben zu verwehren, setzen sich bis heute fort. Abgesehen von der Unmenschlichkeit dieses Denkens, verden Zweifel immer lauter, die Genen eine Hauptverantwortung bei der Ausprägung von Merkmalen zubilligen. Einige Anregungen:
Mann und Frau – und die Anderen.
Geschlecht wird beim Menschen zunächst durch die Geschlechtschromosomen festgelegt – XX charakterisiert „weibliche“, XY „männliche“ Wesen. Die Einteilung erfolgt dabei durch Biologie, Medizin und Gesellschaft, schließlich existieren auch die Genkombinationen X0, XX0, XXX, XXY, die häufig als „krankhaft“ dargestellt werden. Diese sind nicht zwangsläufig mit einem Krankheitsbild verbunden. Und auch hier ist zu erwähnen, dass „Krankheit“ lediglich durch MedizinerInnen geschaffen wurde. Häufig werden „nicht krankhafte“ Erscheinungen, die lediglich von dem „normalen Mittelwert“ abweichen, untersucht und behandelt. Dies ist bspw. bei Menschen der Fall, die nicht eindeutig einem „der zwei Geschlechter“ zugeordnet werden können (die Zuordnung erfolgt ganz wesentlich über die Penislänge bei der Geburt (< 1,5 cm = Mädchen)). Menschen, die nicht eindeutig einem „der zwei Geschlechter“ entsprechen, werden häufig kurz nach der Geburt einsetzend und über das ganze Leben andauernd operativ und hormonell behandelt. Diese Eingriffe sind sehr schmerzhaft – und dauern, wie gesagt, das ganze Leben an.
Aber weiter im Text – entwicklungsphysiologisch: In der Embryonalentwicklung wird – ganz gleich welche Geschlechtschromosomen vorliegen – zunächst eine bisexuelle Anlage (Wolf´scher- und Müller´scher- Gang) ausgebildet, aus der dann das weibliche Geschlecht oder, bedingt durch Faktoren auf dem Y-Chromosom, das männliche Geschlecht ausgebildet wird. Bei der Entwicklung zu weiblichen Individuen wird der s.g. Müller´ sche Gang ausdifferenziert und der Wolf´sche Gang reduziert. Durch das Y-Chromosom wird die Anlage auf männlich umgeschaltet: weibliche Anlagen (der Müller´sche Gang) wird reduziert und männliche Anlagen (Wolf´ scher Gang) ausdifferenziert. Bei der Ausdifferenzierung der Geschlechtsmerkmale spielen Hormone (TDF, Testosteron, MIS) eine wesentliche Rolle; d.h. dass bspw. auch bei fehlenden Testosteron-Rezeptoren trotz XY eine weibliche Entwicklung erfolgt.
Gibt es ein schwules Gen?
Diese Frage wird von verschiedenen Seiten immer wieder aufgegriffen, um Homosexualität entweder als „normal“ oder als „unnormal“ und krankhaft abzustempeln. So zeigten sich verschiedene schwule und lesbische Verbände in den USA erfreut, als ein vermeintlich „schwules Gen“ entdeckt wurde, da dadurch die Hoffnung aufkeimte doch „normal“ zu sein. Ebenso beglückt zeigten sich aber auch Gegner von Homosexuellen, da sie sich endlich bestätigt sahen, dass Homosexualität eine Erbkrankheit ist – und vielleicht irgendwann mit Hilfe der Gentechnik geheilt werden kann.
1993 sorgte eine Studie von HAMER für Aufregung, die einen Abschnitt auf dem X-Chromosom für die Ausprägung von Homosexualität bei Männern verantwortlich machte. Der Gen-Abschnitt wird als Gen Xq 28 bezeichnet. Tatsächlich stimmten 33 von den 40 untersuchten Brüderpaaren in diesem Genabschnitt, bestehend aus 5 Markern, überein, 7 allerdings nicht. Kritiker werfen Hamer allerdings vor, dass die Studienpopulation mit voller Absicht so gewählt wurde, dass die Chancen für ein positives Ergebnis möglichst optimal waren; er hatte in Anzeigen nach Schwulen Brüderpaaren gesucht, bei denen in der Verwandtschaft mütterlicherseits weitere Schwule auftraten, väterlicherseits aber nicht. In Untersuchungen des gleichen Genabschnittes durch MACKE et al (1993) konnte keinerlei Einfluss auf die Sexuelle Ausrichtung festgestellt werden.
Anhaltspunkte für genetische Faktoren gibt die Zwillingsforschung. Zwillingsuntersuchungen zeigten, dass bei männlichen Homosexuellen Adoptivgeschwister zu 11%, zweieiige Zwillinge zu 22% und eineiige Zwillinge zu 52% beide schwul waren. Ähnliche Zahlenverhältnisse ergaben sich auch bei Mädchen: die Wahrscheinlichkeit, dass von einem lesbischen Kind auch die Schwester lesbisch war, lag bei eineiige Zwillingen im Vergleich zu zweieiigen Zwillingen und nicht-zwillings Geschwistern auch deutlich höher. Als Ursache werden genetische Einflüsse vermutet, können aber auch soziale Komponenten (also das soziale Umfeld) eine Rolle spielen oder gar entscheidend sein. Festzuhalten – und das wird häufig nicht gemacht – ist, dass auch bei eineiige Zwillingen, die zusammen aufwachsen nicht beide schwul oder lesbisch sein müssen, sondern sich unterschiedliche sexuelle Ausrichtungen ausprägen können.
Können Gene bei komplexen Verhaltensweisen soviel Einfluss haben?
Ich denke, dass die Rolle der Gene weit überschätzt wird. Seit der Entschlüsselung der Basenabfolge im menschlichen Genom ist nun auch einiges klar geworden: So leicht, wie mensch sich das bisher alles vorgestellt hatte, ist das alles nicht. Der Mensch hat mit rund 40000 Genen vermutlich nur rund 1/3 Gene mehr als der etwas unansehnliche Fadenwurm. Bisher wurde aber genau diesen Genen ein wesentlicher Einfluss bei der embryonalen Entwicklung und bei der Herausbildung körperlicher und psychischer Merkmale und auch bei Verhaltensmerkmalen zugeschrieben. So leicht ist dies nun nicht, neben Faktoren der Genregulation scheinen auch Umwelt- und soziale Faktoren eine viel komplexere Rolle einzunehmen, als bisher gedacht…
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Einstiegs-Literatur:
Evelyn Fox Keller, „Liebe, Macht und Erkenntnis“: Eine wohl sehr prominente Wissenschaftlerin und Autorin auf diesem Gebiet und als theoretische Biologin forschend. In diesem Buch beschreibt sie die Entwicklung der Naturwissenschaften – und ihre männliche Verwurzelung – seit der Antike. Sie beschreibt wie und warum Ausschlüsse produziert werden und wie vielleicht Alternativen aussehen können… | |
Evelyn Fox Keller, „Das Jahrhundert des Gens“: In diesem Buch räumt Keller mit dem Glauben auf, dass Gene komplexe Eigenschaften und Verhaltensweisen vollkommen steuern können. Die Entschlüsselung der Basenabfolge des menschlichen Genoms und lange zuvor die Wissenschaftlerin Barbara McClintock haben die Gene von ihrem Thron gestoßen und machen den Weg frei für Erklärungsversuche, die der Komplexität von Eigenschaften und Verhaltensweisen Rechnung tragen. Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch, wenn Keller auch selber eher biologischen Erklärungsversuchen verhaftet bleibt – und mensch insofern auf jeden Fall weitergehende dekonstruktivistische geisteswissenschaftliche Literatur (Butler, Derrida, Foucault) hinzuziehen sollte. | |
Joan Roughgarden, „Evolution’s rainbow – diversity, gender and sexuality in nature and people“: Ein 2004 erschienenes Buch und von mir Dank der Aufteilung in „animal rainbows“, „human rainbows“ und „cultural rainbows“ mit Vorschusslorbeeren bedacht… Diese Einschätzung musste ich revidieren, weil Roughgarden auch im Kapitel zur menschlichen Vielfalt auch immer wieder Argumente von anderen Arten anbringt, um menschliches Verhalten bzw. menschliche Eigenschaften in Bezug auf Geschlecht zu rechtfertigen. Alles in allem ein Buch, dass – wie Keller – monokausalen Erklärungen widerspricht – aber aus meiner Sicht in der Argumentation noch weit biologistischer verhaftet bleibt. Trotzdem würde ich sagen, ist dieses Buch lesenswert und bringt auch einige spannende Halbsätze und Abschnitte mit sich, die die eigene Argumentation weiterbringen können… | |
Robin Baker, „Krieg der Spermien“: Zu diesem Buch ist nicht soviel zu sagen. Dieses Buch ist schlecht – aber, wer sich mit den Argumentationsweisen von vielen durchaus anerkannten BiologInnen und MedizinerInnen auseinander setzen möchte, die den Menschen und dessen Verhalten allein am Fortpflanzungswillen ausrichten, sollte eines der Bücher lesen… Wohl am bekanntesten und in großer Auflage verkauft, ist „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ (Pease et all, 2000). Diese Buch ist auf keinen Fall besser… |
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