Sexualität und Homosexualität – Ein paar Definitionen aus neuester Geschichte

Sexualität

Geschlechtlichkeit; alle Formen sexueller Verhaltensweisen (aus: Biologie Heute 2G, Hg. Hoff/Jaenicke/Miram, Schroedel Schulbuchverlag GmbH, Hannover 1985)

…die, Geschlechtlichkeit, allg. der Eigenschaftskomplex, der zw. den beiden Gruppen der Organismen unterscheidet, die sich durch Verschmelzung von Geschlechtszellen (Eier und Samen) vermehren; speziell beim Menschen die Gesamtheit der Lebensäußerungen, die auf dem Geschlechtstrieb beruhen, d. h. auf dem Bestreben nach Herbeiführung einer geschlechtl. Beziehung und Befriedigung, oder die damit in Verbindung stehen. Bei höheren Tierarten und bes. beim Menschen spielt neben der hormonellen die Großhirnsteuerung des Sexualverhaltens, und damit das Lernen sexueller Praktiken, eine wichtige Rolle. Mit der Höhe der Entwicklungsstufe wird dabei die unmittelbare sinnl. Lust zunehmend wichtiger als das Ziel der Fortpflanzung. Der S. des Menschen liegt ein vielschichtiger Komplex biolog., psycholog. und soziolog. Faktoren zugrunde. Außer von individuellen Gefühlen, Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen, Vorstellungen und Erfahrungen wird sie wesentl. von kulturellen und gesellschaftl. Verhältnissen, Einrichtungen und Normen geprägt. (aus: Brockhaus 9.Band, Verlag: F.A. Brockhaus GmbH, Mannheim 2000)

Homosexualität

„Einige lieben auch Partner des gleichen Geschlechts und gehen sexuelle Beziehungen ein. Ein solches Verhalten nennt man Homosexualität. […] Empfindet ein Homosexueller sein Verhalten als krankhaft und bedrückend, kann er die Scheu vor dem anderen Geschlecht durch Beratung und seelische Behandlung überwinden.“ (aus: Biologie Heute 2G, Hg. Hoff/Jaenicke/Miram, Schroedel Schulbuchverlag GmbH, Hannover 1985)

Neigung und Wunsch nach einer sexuellen Beziehung mit einem gleichgeschlechtlichen Partner. Homosexuelle Männer werden als schwul, Frauen als lesbisch bezeichnet. Über die Ursachen der H. existieren verschiedene Theorien, die biogenetische oder psychische Anlagefaktoren, z.T. Umwelteinflüsse oder auch beide Aspekte zugrunde legen. Die Psychoanalyse geht davon aus, dass die Disposition zur H. durch Fehlentwicklungen in der frühen Mutter-Kind-Beziehung zustande kommt. Gemeinsam ist vielen Theorien, dass H. als nicht normal bzw. krankhaft eingestuft und versucht wird, die Betroffenen therapeutisch zu behandeln. Moderneren Einschätzungen zufolge ist H. dagegen eine Variante normaler Sexualität und eine Therapie kann darin bestehen, Hilfestellung zur Akzeptanz der eigenen Andersartigkeit zu geben. Obwohl H. in der Bundesrepublik Deutschland seit 1974 nicht mehr bestraft wird und sich eine zunehmende Akzeptanz in der Öffentlichkeit entwickelt, sind Homosexuelle heute weiterhin gesellschaftlich benachteiligt. Betroffene haben, wenn sie sich öffentlich zu ihrer Neigung bekennen, meist mit persönlichen Nachteilen zu rechnen. Nur in wenigen Ländern ist es ihnen heute möglich, eine offizielle, der Ehe ähnliche Beziehung einzugehen und sich sowie ihren Partner dadurch rechtlich abzusichern. In Deutschland dürfen Homosexuelle nicht heiraten, keine Kinder adoptieren und haben in Bezug auf ihren Lebenspartner nicht dieselben Rechte wie Verheiratete. In Kliniken kann ihnen z.B. die Auskunft über den gesundheitlichen Zustand ihres Partners von ärztlicher Seite verweigert werden. In bestimmten öffentlichen Institutionen wie Kirchen, Schulbehörden oder Bundeswehr ist eine Akzeptanz homosexueller Lebensformen noch immer nur sehr eingeschränkt vorhanden. (aus: Homosexualität. [BIFAB, Schüler Duden Sexualität, 1997, ISBN 3-411-05491-3, S.139])

Seit den 70er-Jahren haben sich, parallel zu amerikanischen „Gay-rights“-Bewegungen, größere Interessengruppen von Homosexuellen in Deutschland gebildet, die sich für die Anerkennung ihrer Lebensform in der Gesellschaft und gegen die Diskriminierung von Homosexuellen einsetzten. Seitdem haben vor allem jüngere Homosexuelle ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, bezeichnen sich offen als Schwule oder Lesben und kämpfen für den Abbau der Diskriminierung. Die in Großstädten entstandenen Selbsthilfeorganisationen (z.B. Rosa-Hilfe- Gruppen, Coming-out-Gruppen) und Einrichtungen homosexueller Subkultur (Kneipen, Saunas, Buchläden) bieten Homosexuellen die Möglichkeit, ihre Lebensform selbstbewusst zu vertreten. Daneben hat die seit den 70er-Jahren weltweit verbreitete Infektionskrankheit Aids die Situation von Homosexuellen entscheidend verändert. Da sie als eine besonders gefährdete Personengruppe gelten, hat dies zu einem Wiederaufleben gängiger Vorurteile in der Gesellschaft geführt. Gleichzeitig hat die intensive Auseinandersetzung mit Tod und Sterben dazu geführt, dass zusätzliche Einrichtungen entstanden wie Aids-Hilfen, spezielle Sterbehäuser und Safer- sex-Gruppen. (aus: Brockhaus Gesundheit, Verlag: F.A. Brockhaus GmbH, Mannheim 2000)

Und ein paar Auszüge aus älteren Definitionen:

Homosexualität

…, die geschlechtliche Hinneigung zu Personen des selben Geschlechts, meist auf Grundlage einer angeborenen perversen Empfindung, seltener als Folge von Ausschweifungen, so daß ungewöhnliche Reize zu Hilfe genommen werden um die entnervte Geschlechtsphäre zu erregen. Die männlichen Homosexualen, oft fein entwickelte, ästhetisch hoch kultivierte Personen, kommen in allen Gesellschaftskreisen vor, ihre Neigung zum gleichen Geschlecht ist oft eine ideale, und viele leben keusch. Sie betonen, daß sie wohl biologisch, aber nicht ethisch als minderwertig zu betrachten seien. … (aus: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 9.Band, Leipzig und Wien 1908)

Einen an H. leidenden Menschen nennt man homosexuell oder Uranist. Von Magnus Hirschfeld wurde für die Gesamtheit der Homosexuellen der Ausdruck Drittes Geschlecht geprägt. – Im Gegensatz zu der vielfach verbreiteten Meinung, die H. sei eine angeborene Anlage, dringt heute die Ansicht durch, daß die H. eine in früher Jugendzeit erfolgende Umwandlung der Richtung des Geschlechtstriebes darstellt. Die homosexuellen Neigungen sollen sich auf Grund einer gewissen affektiven (neurotischen) Veranlagung durch entsprechende Erlebnisse entwickeln. … (aus: der Große Brockhaus, 8.Band, Leipzig 1931)

…,widernatürliche Empfindung für Angehörige des eigenen Geschlechts, Umkehrung des Geschlechtstriebes […] Die Mehrzahl der männl. gleichgeschlechtlichen Gerichteten (Homosexuellen) bevorzugt Knaben oder Jünglinge. Gleichgeschlechtliche Neigungen und Gelegenheitsbetätigungen finden sich nicht selten auch bei sonst nicht Homosexuellen, bes. unter Einfluß von Alkohol. Manche Homosexuelle unterhalten neben ihrer widernatürl. Unzucht auch normale Geschlechtsbeziehungen und sind nicht selten verheiratet (sog. Bisexualität). Somit gibt es nicht nur unheilbare Unnatürlichkeit, sondern auch viele Übergangsstufen und Zwischenformen. … (aus: Meyers Lexikon, 8.Auflage, Leipzig 1938)

…die gleichgeschl. Unzucht; eine Fehlentwicklung der Sexualität, wobei sich der Trieb auf einen gleichgeschlechtlichen Partner richtet. H. entsteht 1) aus einer schicksalsmäß. Fehlsteuerung […) Oft liegt ein frühes, als „harmlos“ bewertetes Sexualerlebnis im Zusammensein mit anderen Jungen dieser Fehlentwicklung zu Grunde, welches die gesamte spätere homosexuelle Triebrichtung bestimmt. In der Verführung Jugendlicher durch homosexuelle Erwachsene liegt aber die große, verderbliche Gefahr der H. Bei der kleineren Zahl der Fälle entsteht H. 2) als eine angeborene, z.T. auf erbl. Grundlage beruhende Störung (sog. Invertierte). Hier findet man zuweilen Merkmale des anderen Geschlechts … (aus: Der Große Herder, 5.Auflage, Freiburg 1954)

Im Unterschied zur traditionellen Auffassung von dem polaren Gegensatz zw. H. und Heterosexualität hat sich in neuerer Zeit verstärkt die Ansicht durchgesetzt, daß alle Menschen mit einem offenen sexuellen Potential ausgestattet sind, das hetero- wie homosexuelle Orientierungen einschließt (Bisexualität). […] Über die Ursache der H. gibt es unterschiedliche Theorien. Zu den derzeit diskutierten Erklärungsansätzen zählen: 1) konstitutionsbiologisch orientierte Theorien, denen zu Folge H. auf angeborenen, biolog. (genet., anatom., endokrinen) „Anomalien“ beruht; 2) sexualwissenschaftlich orientierte Theorien, die davon ausgehen, daß die Übergänge zwischen H. und Heterosexualität fließend sind […]; 3) psychoanalytisch orientierte Theorien, denen zufolge die Disposition zur H. bereits in der frühen Kindheit angelegt wird und mit dem Aufbau einer spezifischen Persönlichkeitsstruktur einhergeht, die Selbstentdeckung als Homosexueller („coming out“) jedoch erst nach der Pubertät erfolgt, wenn sich das Verlangen auf einen gleichgeschl. Sexualpartner richtet. Neuere Therapieformen wollen den Homosexuellen dazu verhelfen, seine (sexuelle) Identität zu akzeptieren, ohne dabei den Versuch einer Umorientierung auf heterosexuelle Verhaltensweisen zu unternehmen. (Brockhaus Enzyklopädie, 19.Auflage, Mannheim 1989)

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