Schwulen-Emanzipation auf dem Rücken der Intersexuellen (Intersexe)? Eine lesenswerte Debatte um Magnus Hirschfeld

Zwischengeschlecht.org hat eine wichtige Debatte um die Bedeutung Magnus Hirschfelds erneut – und mit sehr guter Argumentationsführung – angestoßen. Es lohnt sich, diese zu lesen und daran weiterzudenken. Vor allem: Wie können heute Schwule und Lesben bewusst, engagiert und ehrlich die Forderungen der Intersex-Bewegung unterstützen?

Im Folgenden ist die offene Debatte zwischen Zwischengeschlecht.org und Rosa von Praunheim:

 

Zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!

 

O F F E N E     R Ü C K A N T W O R T

Magnus Hirschfeld, Zwitter-Genitalverstümmler für viel Geld
Darstellung nach Rosa von Praunheim: „Der Einstein des Sex“  >>> Quelle

 

Was bisher geschah:

Am vom 05.06.2012 mailte die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org eine Offene Anfrage an Rosa von Praunheim betreffend der berüchtigten Szene in Rosas Hirschfeld-Filmbiographie „Der Einstein des S*x„, worin Dr. Magnus Hirschfelds einem Zwitter auf Geheiss dessen Eltern (und gegen fürstliche Bezahlung) kurzerhand und blutig das Lustorgan amputiert (siehe Bild).

Noch am gleichen Tag erreichte uns eine kurze Antwort von Rosa von Praunheim. Darin bestätigte Rosa unsere Vermutung, dass er sich der Zusammenhänge gar nicht bewusst war und ist, welche sich in besagter Szene aus der Perspektive heutiger genitalverstümmelter Zwitter auftun.

Nachfolgend die Rückantwort von Zwischengeschlecht.org an Rosa von Praunheim – in der Hoffnung, dass es gelegentlich doch mal noch zu einer möglichst breiten, sachbezogenen Aufarbeitung kommen möge über die Folgen von Hirschfelds Werk und Vermächtnis für heutige, mittlerweile zu 90% im Kindesalter genitalverstümmelte „Inters*xuelle“:

Liebe Rosa von Praunheim

Vielen Dank für deine rasche Antwort!

Als Menschenrechtsgruppe haben wir große Achtung vor Hirschfelds Errungenschaften im Kampf für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transvestiten (wie er sie nannte). Es ist nicht unsere Absicht, diese Errungenschaften schmälern zu wollen.

Unsere Kritik richtet sich auch nicht gegen das, was du Hirschfelds „rein Biologistischen Ansatz“ nennst.

Unser Kritikpunkt ist, dass Hirschfeld (wie schon Ulrichs) die Zwitter dabei als Mittel zum Zweck benutzte, offensichtlich ohne sich zu überlegen, was das für diese für Auswirkungen haben könnte bis auf den heutigen Tag, und dass Hirschfeld sich dabei unkritisch mit einigen historischen Vorläufern der bis auf den heutigen Tag andauernden, systematischen Genitalverstümmelungen zusammentat sowie die meisten späteren Täter beeinflusste und in diesem Zusammenhang letztlich selbst zum Täter wurde, wie du das in deinem Film ja buchstäblich und drastisch in Szene setztest (ironischerweise ohne diese Zusammenhänge bewusst zu merken, wie wir deinem Mail entnehmen).

Weiter kritisieren wir, dass die Schwulenbewegung bis heute diese Zusammenhänge ausblendet. Und sehen dies als typisch für Menschen, die selber nie um die Unversehrtheit ihrer eigenen Genitalien fürchten mussten, und sich deshalb oft schwer tun, sich in die Lage derer zu versetzen, für die mit unverstümmelten Genitalien aufzuwachsen bis heute keine Selbstverständlichkeit ist – woran unserer Analyse nach Hirschfelds Werk und Wirkung wie erwähnt nicht unbeteiligt sind.

Wir können verstehen, dass du für deine eigenen Projekte lebst und wenig Zeit hast. Trotzdem möchten wir dich einladen, diesen Aspekten der Geschichte der Schwulenbewegung und von Hirschfelds Wirkung gelegentlich etwas mehr kritische Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Bestimmt wirst du dann schnell selbst bemerken, dass deine Klassifizierung von Hirschfelds zeitgebundenen politischen Ansichten aus heutiger Sicht als „lächerlich“ der Tragik insbesondere ihrer realen Auswirkungen bis heute keinesfalls gerecht wird.

Liebe Grüße

Im Namen von Zwischengeschlecht.org

 

Daniela Truffer

http://zwischengeschlecht.org

3 Kommentare

  1. Michel Reiter sagt:

    An Genitalverstümmelungen verbunden mit Chemikalien und einem lebensfeindlichen psychologischen Setting, wie etwa von Volkswagenstiftung initiiert, kann man sterben. Es gab den Film das verordnete Geschlecht und eine bestimmte Gruppe Schwuler freuten sich grandios über das dort möglich gewordene Sterben. Das ist abartig und wie auch so manche Sexualpraktik in diesen Kreisen.

    Es gibt ab Montag im Spiegel etwas über die Ichentwicklung zu lesen und es steht der begründete Verdacht im Raum, dass Menschen ohne Ichentwicklung sich bei Intersexuellen besonders wohl fühlen, also persona non grata. Der vielfach zitierte Umgang mit Intersexuellen stellt eine besondere Form der Perversion und wurde von George W. Bush mit Saddam Hussein gleichgesetzt. Es wird zumindest ideell durchaus die Todesstrafe dafür angesetzt.

    Aber damit nicht genug, war sich eine Ursula von der Leyen und der Militär im Arbeitsamt, Weise, auch nicht blöde genug, selbst für das Abwracken noch bezahlt zu werden, denn Hartz IV ist ein Abwracksatz, nicht ein Satz für die Entwicklung von Patenten und Innovationen, wovon Menschen leben können, wenn sie sie denn verkauft bekommen. Denn auch bei einer guten Idee ist das nicht gesichert.

    Am 25.06.2012 ist Termin im Bundestag zu Intersex und es soll wieder einmal über die Definition debattiert werden. Das ist für Leute, die von ihrer Hände Arbeit leben wollen, der blanke Hohn genauso wie die Berichterstattungen selten über ein Stricher- und Strichcodeniveau hinausgingen.

    Eltern, die ihr intersexuelles Kind nicht wollen, sollen es auf ebay versteigern, denn dieses Portal hat wenigstens eine Rechtsgrundlage, was bei Unileuten grundsätzlich nicht der Fall ist.

  2. Also den damaligen Stand der Wissenschaft mit dem heutigen zu vergleichen, finde ich nicht in Ordnung und Hirschfeld als „Schlächter“ zu präsentieren (siehe Bild)), ist gaynauso unpassend, denn Hirschfeld wollte einfach nur nach Lösungen suchten, um Menschen zu helfen. Sicher machte er auch Fehler, aber in erster Linie zählt doch sein Engagement, eine neue Schwulenbewegung in Gang gebracht zu haben, und das in einer Zeit, in der der 175er noch Menschen verurteilte und zu Gefängnisstrafen verbannte, nur weil sie gleichgeschlechtlich liebten.
    Hätte er das gewußt, was wir heute wissen, hätte er ganz bestimmt vieles ANDERS gemacht. Also liebe Leute: Einfach mal nur auf dem Teppich bleiben!

    Beste Grüße
    Rosa von Zehnle
    (männlich).

    Bundestags-Petition für 175er Opfer!
    Wir schulden es den 175ern, die dafür litten und starben oder Zeit ihres Lebens von der Gesellschaft geächtet wurden!
    BITTE unbedingt mitmachen unter:
    http://www.175er-opfer.de
    UND weiter erzählen!

  3. macudo sagt:

    Lieb* Rosa,
    ich finde auch, dass man Hirschfelds Wirken für Schwule anerkennen sollte. Gleichzeitig ist es auch wichtig, wahrzunehmen, wie auch er dazu beigetragen hat, dass sowohl über Schwule als auch eben über Intersexe die Medizin zur bestimmenden Instanz wurde. Und hier gilt es auszubrechen. Und hierfür liefert Zwischengeschlecht wichtige Anregungen. Ich möchte also gerade anregen: Weiterdenken und endlich der Medizin das Bestimmungsrecht über unser aller Lebensweisen nehmen! Und endlich auch die gewalttätigen und traumatisierenden Behandlungen abschaffen, die medizinisch noch immer gegen Säuglinge und Kleinkinder uneindeutigen Geschlechts durchgeführt werden!
    LG

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