Die „Homo-Karte“ in der Politik

(Heinz-Jürgen Voß, zuerst in: Rosige Zeiten, Nr. 145, S.26-27)

Die Rechte von Lesben und Schwulen sind mittlerweile in aller Munde. Sie gelten Regierungen als emanzipatorische Aushängeschilder, die gesamtgesellschaftlich relativ wenige Menschen direkt betreffen, aber eine „moralische Vorherrschaft“ symbolisieren sollen. Insbesondere in außenpolitischen Fragen bilden sie ein wichtiges Argument, mit dem sich auch Kriege begründen lassen.. Diese Indienstnahme emanzipatorischer Forderungen ist bislang in der lesbischen und schwulen Community kaum reflektiert. Hingegen wird etwa in der Friedensforschung seit längerem thematisiert, wie ehemals emanzipatorische Forderungen feministischen Streitens in den Dienst hegemonialer Machtansprüche und ihrer kriegerischen Durchsetzung gestellt werden. Diese Indienstnahme von Feminismus zur Durchsetzung imperialistischer Machtansprüche benannte Krista Hunt als „embedded feminism“ – analog zur Bezeichnung der vom Militär abhängigen Journalist_innen („embedded journalism“) (vgl. Hunt 2006: 53; Engels/Gayer 2011: 18, 29). Bezogen auf schwule (und lesbische) Emanzipation haben diesen Zusammenhang sehr gut Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter in ihrem Beitrag „Pink Washing Germany?“ herausgestellt. Sie thematisieren dabei auch, wie insbesondere Schwule versuchen, sich als stets verfolgte Opfergruppe zu stilisieren – und damit auch der Auseinandersetzung mit eigener Täterschaft zu entziehen (vgl. Yılmaz-Günay/Wolter 2012).

Die Indienstnahme von feministischen/lesbischen und schwulen Forderungen durch hegemoniale Politik zeigt sich insbesondere bei der Rechtfertigung militärischer Einsätze. Selbst der CSU-Chef Seehofer problematisierte etwa die Homosexuellen- und Frauenrechte in Afghanistan, wogegen er in der Bundesrepublik alles daran setzt, dass Frauen im Haus bleiben (zuletzt: „Herdprämie“) und Lesben und Schwule nicht offen und gleichgestellt mit Heteras und Heteros leben können. Neben dieser direkten Indienstnahme ist aber auch auffallend, wann Debatten um Homo-Rechte aufkommen. In der Bundesrepublik war das einerseits Anfang der 1990er Jahre der Fall, und schließlich um das Jahr 2000 herum, mit den Debatten um die Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft.

Erst seit den frühen 199er Jahren sind Frauen nennenswert im Bundestag vertreten – bis 1987 lag der Frauenanteil immer im einstelligen Prozentbereich, meist bei knapp 7 Prozent. 1994 wurde der Paragraph 175 abgeschafft und entspannen sich vermehrte Debatten um die Gleichstellung von Lesben und Schwulen mit großer medialer Aufmerksamkeit. Während hier „Emanzipation“ vorangetrieben wurde und sich Politiker_innen anschließend gern als „Wahrer_innen“ von Menschenrechten und Emanzipation darstellten, waren ihnen diese Menschenrechte keineswegs überall wichtig. So verschlechterten sich in der gleichen Zeit massiv die Bedingungen migrierter Menschen in der Bundesrepublik, wurde gar das Recht auf Asyl mit der Drittstaatenregelung faktisch abgeschafft, wie Simone Fischer im zentralen Überblicksband zur Lesbenbewegung „In Bewegung bleiben: 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben“ (Querverlag, 2007) festhält (S.311f). Wurde hier also die Verschlechterung der Lebensbedingungen für migrierte Menschen mit Zugeständnissen an Frauen/Lesben und Schwule ohne Migrationshintergrund erkauft oder zumindest vernebelt?

Ähnliche Situationen mit zwei divergierenden Seiten ergeben sich auch an anderer Stelle: Während Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre vehement um die Eingetragene Lebenspartnerschaft gerungen wurde, wurde von der damaligen rot-grünen Bundesregierung eine grundlegende Veränderung des Auftrags der Bundeswehr beschlossen. Nach den Erfahrungen in der Nazi-Zeit war sie explizit mit dem Auftrag zur Landesverteidigung konzipiert wurden, nun wurde und wird sie zur internationalen Interventionsarmee umgerüstet. Wer würde schlechtes dabei vermuten, wo doch im Inland an einigen Stellen „Emanzipation“ umgesetzt wird, wenn auch nur in einem solchen Rahmen, der niemandem in der patriarchal organisierten Gesellschaft weh tut. Was einmal funktionierte, klappt auch nochmal: So ist es ebenso auffallend, dass der französische Staatspräsident François Hollande zeitgleich mit dem – umstrittenen –Marschbefehl französischer Truppen Richtung Mali im Inland auch eine Debatte um die „Homo-Ehe“ in Gang setzte. Nötig wäre diese Debatte zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt gewesen, weil mit dem französischen PACS schon jetzt auch gleichgeschlechtlichen Paaren in Frankreich viel weitreichendere Möglichkeiten offenstehen, als es in der Bundesrepublik mit der Eingetragenen Partnerschaft der Fall ist. Neben dem Versprechen der „Emanzipation“ waren aber auch das mediale Interesse und die aufgebrachten Proteste kalkulierbar. Sie lenken von außen- und innenpolitischen Themen ab.

Aber die gleiche Indienstnahme von „Homosexuellen“ gibt es nicht nur auf staatlicher Ebene, sondern auch als Provinzposse: Nachdem die Regierung des Bundeslandes Sachsen-Anhalt für eine gesetzliche Neuregelung, die die Möglichkeit der Zwangstestung von in Gewahrsam genommenen Menschen auf HIV und Hepatitis vorsah (vgl. ROZ Nr. 141; auch: Stellungnahme 2012) und die mittlerweile auch verabschiedet ist, in die Kritik geraten war, verfuhr sie ähnlich. Während von den Landtagsfraktionen Bündnis 90 / Die Grünen und Die.Linke weitreichend gegen die Zwangstestung argumentiert und Verfassungsbeschwerde angekündigt wurde, wurde in der medialen Berichterstattung insbesondere „Schwulenfeindlichkeit“ skandalisiert. Diesem Vorwurf entgeht der Landesinnenminister nun mit einem Vorstoß, Regelungen ändern zu wollen, die auch Schwulen erlauben sollen, Blut zu spenden. Selbst in den schwulen Medien – wie Queer.de – wurde dieser (zudem praktisch folgenlose) Vorschlag sogleich aufgegriffen. Taktisch klug hat der Landesinnenminister Holger Stahlknecht so von der Diskussion um die Zwangstestung abgelenkt. Signalisiert wird, dass auch Schwule, die sich moralkonform verhalten und nicht auf eine Polizeiwache kommen, mit Heteras und Heteros gleichgestellt sein sollen. Hingegen haben Obdachlose oder Schwule, die auf eine Polizeiwache kommen und damit in Sachsen-Anhalt offenbar schon für schuldig gelten, offenbar ihr Anrecht auf eine solche wertschätzende oder auch nur rechtstaatliche Behandlung verwirkt. Dass man auf einer Polizeiwache in Sachsen-Anhalt gleich als schuldig gilt wurde in der Anhörung des Landtages aus den Redebeiträgen der CDU-Fraktion und der Polizeigewerkschaft deutlich, in denen stets nur von „Tätern“ gesprochen wurde. In anderen Landesteilen gelten einige der bzgl. der Zwangstestung thematisierten Menschen als (blutende) Opfer von bspw. rechtsradikalen Übergriffen bzw. müssen selbst bei angenommener Täter_innenschaft Gerichte über die Schuld urteilen – in Sachsen-Anhalt steht das mit der gesetzlichen Neuregelung und den Debattenäußerungen der CDU und der Gewerkschaft der Polizei in Frage (vgl. exemplarisch GDP 2012). Aber von all diesem Problematischen ließ sich bin dem kleinen „Gimmick“ am Rande – dem Vorstoß zur Blutspende Schwuler – ablenken.

Klar wird: Mit leichten Zugeständnissen auf „Homo-Seite“ und mit der Instrumentalisierung von „Homo-Rechten“ lässt sich Politik machen. Das wird Lesben und Schwulen irgendwann auf die Füße fallen: Zumindest dort wo problematische innenpolitische und außenpolitische Fragen direkt mit „Homosexuellen-Emanzipation“ gerechtfertigt werden, werden „Homosexuellen-Rechte“ auch nur in Verbindung mit diesen gedacht.  Eine Emanzipation auf den Rücken anderer ist keine.

 

Literatur:

Engels, Bettina / Gayer, Corinna (Hg., 2011): Geschlechterverhältnisse, Frieden und Konflikt: Feministische Denkanstöße für die Friedens- und Konfliktforschung. Baden-Baden: Nomos.

Hunt, Krista (2006): ‹Embedded Feminism› and the War on Terror. In: Hunt, Krista / Rygiel, Kim (Hg.): (En)gendering the War on Terror: War Stories And Camouflaged Politics (Gender in a Global/Local World). Hampshire etc.: Ashgate. S.51-72.

Yılmaz-Günay, Koray /Wolter, Salih Alexander (2012): Pink Washing Germany? Der deutsche Homonationalismus und die „jüdische Karte“. Online.

GDP 2012: „NOVELIERUNG DES SOG LSA – Anhörung im Landtag“, online.

Stellungnahme 2012: http://www.heinzjuergenvoss.de/Stellungnahme_Sachsen_Anhalt_Drucksache_6_1253.pdf

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