Der erste Magnus-Hirschfeld-Kongress. Eine kritische Nachlese dieses Wissenschaftskongresses.

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst in „Rosige Zeiten“, Nr. 149 [Jan./Feb. 2014])

 

Vom 28. bis 30. November fand in Berlin der 1. Magnus-Hirschfeld-Kongress statt, der – so das Ansinnen der Veranstalter_innen – den Brückenschlag zwischen LGBTI-Communities und wissenschaftlicher Forschung einleiten sollte. Geht man die nachfolgende Berichterstattung auf Queer.de und in der TAZ durch, so erhält man den Eindruck, dass es ein weitgehend uninteressanter wissenschaftlicher Kongress war, ohne Debatten und auch ohne kritische Auseinandersetzung. Aber gerade diese würde man schon allein von einem wissenschaftlichen Kongress erwarten. Wenn dann noch Aktivist_innen mit verschiedenen Interessen anwesend sind, sollte etwas passieren und sollte es zu einem erfolgreichen Kongress werden, einem mit kritischer Auseinandersetzung, mit Positionsbestimmung und Diskussion über die weiteren Ziele. 

Die Ausgangslage:

Aktivismus und Wissenschaft gingen in den letzten Jahrzehnten zumindest international auffällig viel zusammen. Betrachten wir die Situation in den USA, so haben sich direkt im Anschluss an neue soziale Bewegungen auch entsprechende Forschungsbereiche an Universitäten gebildet – so die Gay and Lesbian Studies und später die Queer Studies. Solche Aufnahme von LGBTI-Inhalten in den institutionellen Wissenschaftsbetrieb scheint zwar in der Bundesrepublik Deutschland weit schwieriger zu sein – bis heute sind selbst die Gender und Queer Studies an deutschen Universitäten kaum zu finden, als eigenständige Institute schon gar nicht. Dennoch gibt es zentrale Wissenschaftler_innen, die zumindest Homosexualität früh inhaltlich zum Thema auch an Universitäten in der BRD gemacht haben. Eine_r der Pionier_innen ist Rüdiger Lautmann. Er veröffentlicht seit den 1970er Jahren wichtige Beiträge zu Homosexualität.

Zur Ausgangslage gehört ebenso, dass Trans*- und Inters*-Inhalte derzeit insbesondere in den lesbischen und schwulen Zusammenhängen kaum reflektiert werden. Es zeigt sich von dort nur in geringem Maße eine Unterstützung für die Interessen von Trans* und Inters*. Häufiger wurde von Trans*-Verbänden skandalisiert, dass bei rechtsradikalen Übergriffen auf Trans*-Personen oft auch in den lesbischen und schwulen Medien einfach von Homophobie gesprochen wurde, nicht von Transphobie. Oder wenn doch kurz von einem transphoben Überfall die Rede war, so wurde spätestens ab dem zweiten Absatz dennoch nur noch von Homophobie geschrieben. Auch Inters*-Verbände haben massiv kritisiert, dass sich Organisationen und Veranstaltungen von Lesben und Schwulen gern mit dem offener klingenden LGBTIQ betiteln, aber das „I“ nur angehängt werde, ohne die von Inters* aufgestellten Forderungen adäquat zu benennen und zu unterstützen.

Aktuell gibt es in der Bundesrepublik Deutschland und vehement auch in Berlin Debatten um Rassismus und Antisemitismus, bei denen mehrheitsdeutsche Schwule, Lesben, teilweise auch Trans* Täter_innen sind. Auch die rassistischen Ausschlüsse von Universitäten werden kritisiert, weil dort nur weiße Personen, also Personen der Mehrheitsgesellschaft, bezahlte Positionen erhalten und „Karriere machen“ können. Es sind kritische Debatten in Gang, dass die Erzählungen von den Anfängen der „Schwulenbewegung“ der lesbisch-schwulen Geschichtsschreibung von allen Hinweisen gereinigt wurden, die auf diejenigen verweisen, die in der Christopher Street tatsächlich gekämpft haben. Das Stonewall Inn, der Ausgangspunkt der Rebellion, war gerade ein Treffpunkt derjenigen, die in die schwulen (schwul-lesbischen) Lokale nicht hineinkamen, in denen sich Mittelklasse-Schwule und -Lesben trafen. Auch die Kämpfe wurden so zentral von Schwarzen Menschen, der Arbeiterklasse, von den obdachlosen Jugendlichen des nahegelegenen Parks, insbesondere von gender-varianten Menschen geführt…

Schließlich wird seit Jahren massiv der Rassismus einiger zentraler Akteur_innen schwul-lesbischer Politik kritisiert, so der Rassismus des LSVD und der vermeintlichen „Opferberatung“ Maneo. Beide waren – in kolonialer Tradition – massiv an der Fortführung des Bildes beteiligt, dass gerade Menschen mit Migrationshintergrund homophob und übergriffig wären, obwohl selbst die eigene Datenbasis nicht für diese These sprach. Dass Menschen mit Migrationshintergrund selbst lesbisch, schwul, trans*, inter* sein können, dass sich Identitäten nicht spalten lassen und dass nach einem Übergriff oft gar nicht klar ist, ob es nun ein rassistischer oder transphober Überfall war, entgleitet Akteur_innen wie dem LSVD und Maneo. Bei Maneo ist der Hintergrund durchaus auch klar: Immerhin werden durch die selbst betriebenen Stigmatisierungen die eigenen bezahlten Stellen dauerhaft gesichert – und nun wohl auch weiter ausgebaut. Von den Gruppen LesMigras (Lesbische/bisexuelle Migrant_innen und Schwarze Lesben und Trans*Menschen) und GLadT (Gays und Lesbians aus der Türkei) wurden die rassistischen Ausschlüsse aus der schwul-lesbischen Szene verschiedentlich thematisiert, u.a. mit der Kampagne von LesMigras „Identität kennt kein Entweder-oder“.

Der Kongress:

Nennt sich ein Kongress 1. LSBTI*-Wissenschaftskongress, so sollte man erwarten dürfen, dass er sich auch gerade den aktuellen Debatten zuwendet. Immerhin könnte er dazu beitragen, dass Projekte in Gang kommen, die die Richtung der weiteren Kämpfe bestimmen und eben gerade nicht diskriminierend, ausschließend sind. Wie die Berichterstattung auf Queer.de und in der TAZ andeutet, hat er das nicht getan. Schon wenn man das Foyer des noblen Veranstaltungsortes betrat, waren die Menschen keineswegs mehr so vielfältig wie zuvor. Auf der Straße liefen Schwarze und weiße Menschen und hatte man den Eindruck einer pulsierenden, belebten, internationalen Metropole. Auf dem Kongress waren aber fast ausschließlich weiße Personen mit Mittelschichts-Habitus zu sehen. Es schien eher um die Präsentation von sich selbst zu gehen, denn um Austausch und Debatte.

Im Programm waren schließlich die Fragen um Rassismus und Antisemitismus auf einen kleinen begrenzten Rahmen verlegt. In diesem durften auch Menschen mit Migrationshintergrund als Referierende auftreten. An anderen Stellen waren die Referierenden hingegen weiß und schien bei ihrer Auswahl darauf Wert gelegt worden zu sein, dass sie einem Wissenschaftsklientel entstammen, nur in wenigen Fällen durften auch Menschen ohne akademischen Grad sprechen. Inhaltlich wäre aber gerade die Thematisierung von Rassismus und Antisemitismus notwendig gewesen. Etwa im Abschnitt „Historischer Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ wäre es nützlich gewesen, die neuerlichen Kritiken von Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter (ihr Aufsatz „Pink Washing Germany? Der deutsche Homonationalismus und die ‚jüdische Karte‘“, online verfügbar) aufzunehmen. Sie haben thematisiert, wie schwule Kämpfe in der Bundesrepublik Deutschland in Konkurrenz und teils offener Gegnerschaft zu Jüdinnen und Juden geführt wurden. Ebenso hätten hier und auch auf der übrigen Tagung postkoloniale Kritiken Platz finden müssen, da sie ebenfalls wichtige Erkenntnisse für aktuelles Streiten liefern. So kann man im Anschluss an die Theorien u.a. von Gayatri Chakravorty Spivak nachvollziehen, dass das stete deutsche Sprechen über Homosexuellenrechte in Russland und Uganda eher dazu führt, dass den in Russland bzw. Uganda konkret streitenden Lesben und Schwulen die Stimme genommen und teilweise sogar der Gegenseite zugearbeitet wird. In der Bundesrepublik führen diese Debatten hingegen zu einer Selbstüberhöhung. Man empfindet sich selbst als emanzipatorisch – im Vergleich zu „den Anderen“. Es geraten die strukturelle Homophobie, Transphobie, der Rassismus und Antisemitismus im eigenen Land aus dem Blick. So bekommt man nicht einmal mehr mit, wie die Homo-Ehe eigentlich zur Domestizierung lesbischer und schwuler Lebensweisen führte und jetzt nur noch gut-bürgerliche Schwule und Lesben, die monogam und nach heterosexuellen Vorstellungen leben, akzeptiert sind. Hingegen werden zum Beispiel arme Schwule, HIV-Positive, promiscue Personen immer stärker sanktioniert und richten sich immer mehr Paragrafen gegen sie.

Themen hätte es genug gegeben, die bei einem solchen Kongress hätten besprochen werden müssen. Bis auf einige Zwischendiskussionen, kurz, im Anschluss an einzelne Vorträge, tauchten sie aber nicht auf. Vielmehr versicherte sich die anwesende weiße lesbisch-schwule Mittelklasse darüber, dass sie nun auch zu Staat und Nation gehört, dass selbst eine Vertreter_in einer Minister_in nun einen solchen Kongress einführt. Man ist nun klar dabei, bei den hegemonialen Politiken Deutschlands – und das sollte die zentrale Erkenntnis für all die sein, die emanzipatorisch streiten wollen.

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