„Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“

(von Heinz-Jürgen Voß, erschienen in „Rosige Zeiten“, Juni/Juli 2009)
Im März diesen Jahres hat das Berliner Abgeordnetenhaus eine weitreichende Initiative verabschiedet, die Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierungen beinhalten, die über bisherige weit hinausgehen (Drucksache 16/2291).

Bisherige Gesetze – Abschaffung unterschiedlicher Schutzaltergrenzen bei Homo- und Heterosexualität (1994), Eingetragene Lebenspartnerschaft (2001), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (2006) – waren dazu gedacht, Diskriminierungen in der Gesellschaft abzubauen und für Toleranz und Akzeptanz zu wirken. In der Folge dieser Gesetze wurden weitere Regelungen angeglichen, die bspw. bislang homosexuelle Paare, die in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft (ELP) leben gegenüber heterosexuellen Paaren in einer Ehe diskriminierten. Berlin hat hier vielfach eine Vorreiterinnenrolle in der Bundesrepublik Deutschland eingenommen, hat bspw. eine Landesstelle für Gleichbehandlung geschaffen, auf sexuelle Vielfalt verweisende Lehrpläne initiiert, die Gleichbehandlung von in ELP und in Ehe lebenden Paaren vorangetrieben.

Dennoch zieht das Berliner Abgeordnetenhaus in der großen Mehrheit – die CDU-Fraktion war bei der Abstimmung nicht zugegen – eine ernüchternde Bilanz: „Trotz dieses breiten Engagements hat sich bislang gezeigt, dass grundsätzliche Veränderungen in der Akzeptanz sexueller Vielfalt nicht nur eines langen und kontinuierlichen Wirkens bedürfen, sondern auch einer Erweiterung der bestehenden Antidiskriminierungsarbeit. Ohne einen Ausbau, der an den richtigen Stellen ansetzt, ist zu befürchten, dass die bisherigen Maßnahmen angesichts des Ausmaßes der Ablehnung und Gewalt gegenüber LSBTTI [Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle, Anm. der Autorin] den gesellschaftlichen Veränderungsprozess nicht lange genug und ausreichend stützen können.“ Das Berliner Abgeordnetenhaus stellt fest: „Akzeptanz lässt sich nicht anordnen.“

Die bisherigen Gesetze haben gezeigt, dass mit ihnen zwar formal eine Angleichung von Rechten von homo- und heterosexuellen Menschen verbunden sind. Auch werden teilweise Diskriminierung auf Grund geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und rassistische Diskriminierungen thematisiert. Aber das grundlegende gesellschaftliche Klima hat sich mit ihnen nicht geändert. Nach wie vor sind Kinder und Jugendliche im Elternhaus, in der Schule, in Freizeiteinrichtungen auf Grund von „Anderssein“ mit Diskriminierungen konfrontiert, homophobe, transphobe, rassistische verbale Angriffe und gewalttätige Übergriffe sind an der Tagesordnung.

Das Abgeordnetenhaus stellt fest, dass Lehrpläne hier nur bedingt helfen. Ebenso wichtig sei es, dass das Personal – Lehrerinnen und Lehrer, in anderen Einrichtungen anderes betreuendes Personal – für sexuelle Vielfalt sensibilisiert werden und in Aus- und Fortbildung die Möglichkeit erlangen, für sexuelle Vielfalt, Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Menschen zu werben, solche Themen entsprechend zu thematisieren.

Neben den gesetzlichen Regelungen will der Senat nun ganz praktisch aktiv werden, nicht nur bezüglich der Schule und Jugendeinrichtungen: Es sollen verlässliche empirische Daten über Diskriminierungen gewonnen werden, Lehrpläne sollen analysiert und fortentwickelt werden, die städtischen Institutionen, die Verwaltung gegen Diskriminierung geschult werden. Auch soll die Polizei für Diskriminierungen sensibilisiert und sollen konkrete vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen werden, die zu einer höheren Anzeigebereitschaft von Seiten von Übergriffen Betroffener führen.

Erfreulich dabei: Der rot-rote Senat und das Abgeordnetenhaus wollen sich breit gegenüber Diskriminierungen jeglicher Art aufstellen, so wegen Diskriminierung auf Grund des Alters, Geschlechts, sexueller Orientierung oder Identität, Behinderung, ethnischer Zugehörigkeit, Religion und Weltanschauung, sozialer Herkunft. Ziel solle es sein: „die gemeinsame Ablehnung aller Formen von Diskriminierung – seien es beispielsweise Rassismus, Homo- und Transphobie, Islamophobie oder Antisemitismus – und das gemeinsame Bekenntnis zu einer Wertschätzung von Vielfalt öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck zu bringen.“

Dabei werden weder Pflegeeinrichtungen vergessen, noch wird in Berlin Halt gemacht. So wird ausdrücklich deutlich gemacht, dass Berliner Repräsentantinnen auf nationaler und internationaler Ebene zu jeder sich bietenden Gelegenheit für Vielfalt werben sollen. Gleichzeitig wird der Senat aufgefordert, sich über die Bundesrat für den Abbau von Diskriminierungen von sexuellen Minderheiten einzusetzen. Ausdrücklich erwähnt werden hierbei die ELP, aber auch Initiativen, die auf eine Wiedergutmachung gesetzlichen Unrechts – bspw. Verurteilungen nach dem Paragrafen 175 – durch Rehabilitierung und Entschädigung einsetzen.

In jedem Fall: Die Initiative ist als Papier mit samt der Begründung lesenswert – und gibt Eckpfeiler für ähnliche Forderungen in anderen Bundesländern – Niedersachsen!! – und auch für einige unpolitisch gewordene CSDs. Praktisch steht einiges zu erwarten, und das Berliner Parlament hat für erste Berichte bereits ein konkretes Datum festgelegt: 31.12.2010. Ob bis dahin einiges klarer ist, konkrete Maßnahmen ausgearbeitet und erste eingeleitet sind, wird sich zeigen – Senat und Abgeordnetenhaus haben in jedem Fall eine fürs erste überzeugende und zudem äußerst praktisch orientierte Initiative gegen Diskriminierung und für Vielfalt gestartet.

Der Antrag online; hierauf beziehen sich auch die Zitate in diesem Artikel:
http://www.klauslederer.de/fileadmin/lederer/Initiative_sexuelle_Vielfalt_090309.pdf

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