(von Ralf Buchterkirchen, vorab aus „Rosige Zeiten“, Juni/Juli 2009)
Vor 3 Jahren, am 27.03.2007 veröffentlichten international anerkannte MenschenrechtlerInnen im indonesischen Yogyakarta die sogenannten Yogyakarta Principles. In 29 Prinzipien wandten sie die Menschenrechte in bezug auf sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität an. Ziel war und ist es, auf internationaler und nationaler Ebene Richtlinien zum diskriminierungsfreien Umgang zu schaffen.
Neben dem Verbot von Folter, Todesstrafe sowie staatlicher Diskriminierung finden sich auch, das Recht auf Schutz der Gesundheit und das Recht eine Familie zu gründen.
In Deutschland sind die Prinzipien – ganz im Gegensatz zu Debatten in anderen Ländern – noch weitgehend unbekannt. Eine erste inoffizielle Übersetzung liegt seit Sommer 2008 vor. Die Bundesregierung betrachtet die Yogyakarta-Prinzipien „als wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft“ (Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Linke“ Bundestags-Drucksache 16/7658). Interessant an dieser Stelle ist, was die Umsetzung dieser Richtlinien für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten würde. Anhand einiger Beispiele soll dies hier skizziert werden:
Mit dem Recht auf Anerkennung vor dem Gesetz (Prinzip 3) wäre das Transsexuellengesetz (TSG) obsolet, denn danach darf niemand für die Anerkennung einer geschlechtlichen Identität gezwungen werden, sich medizinischen Behandlungen – sprich Geschlechtsanpassungen, Hormonbehandlung und Sterilisation – zu unterwerfen. Auch darf eine vorhandene Ehe kein Grund zur Nichtanerkennung einer frei gewählten geschlechtlichen Identität sein. Beides ist derzeit im hoffnungslos überalterten TSG noch vorgeschrieben und führt zu einem diskriminierenden jahrelangen Weg über Ämter und ärztliche Gutachter, um eine Personenstandänderung erreichen zu können. Prinzip 17, in dem das Recht auf ein höchstmögliches Maß an Gesundheit formuliert wird, schreibt zudem vor: „Personen, die im Rahmen von Geschlechtsanpassungen Veränderungen an ihrem Körper anstreben, den Zugang zu kompetenter nichtdiskriminierender Behandlung, Versorgung und Betreuung (zu) ermöglichen.“
Mit dem Recht auf Arbeit (Prinzip 12) müsste das Antidiskriminierungsgesetz geändert werden, schafft es doch zahlreiche Ausnahmetatbestände, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ermöglichen. Das Prinzip 12 stellt klar, dass alle möglichen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Diskriminierung im Arbeitsleben zu beseitigen. Jedoch dürfen nach heutiger Regelungen MitarbeiterInnen beispielsweise in kirchlichen (im Allgemeinen staatlich finanziert) Kindergärten oder Krankenhäusern gekündigt werden, sobald sie eine Lebenspartnerschaft eingehen. Dass bei der Gelegenheit auch gleich die offensichtlich wirkungslose Beweislastverschiebung zu einer echten Beweislastumkehr geändert werden muss, versteht sich fast von selbst. Mit Prinzip 15, dem Recht auf angemessenen Wohnraum, müsste zudem die Ausnahmeregelung fallen, die es allen nicht im Massengeschäft tätigen VermieterInnen (PrivatvermieterInnen) erlaubt, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Wohnung zu verweigern.
In die sozialen Sicherungssysteme eingreifen würde Prinzip 13, dass das Recht auf soziale Sicherheit und andere soziale Schutzmaßnahmen ausführt. Hier wird klargestellt, das sämtliche Leistungen, beispielsweise der Familienförderung und der Rente( auch der der Hinterbliebenen), nicht aufgrund der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität verweigert werden dürfen, wie es derzeit Realität ist.
Eine von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – aber nichtsdestotrotz – besonders schwerwiegende Diskriminierung betrifft Intersexuelle. Noch immer werden Kinder kurz nach ihrer Geburt eindeutig und teilweise willkürlich einem Geschlecht zugeordnet. Gelingt das nicht eindeutig können geschlechtsangleichende Operationen die Folge sein. Prinzip 17 (das Recht auf höchstmögliches Maß an Gesundheit) und 18 (Recht auf Schutz vor medizinischer Misshandlung) machen mit dieser gängigen Menschenrechtsverletzung Schluss. Dort wird gefordert, „ Alle[…] Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass am Körper eines Kindes durch medizinische Verfahren bei dem Versuch, diesem eine geschlechtliche Identität aufzuzwingen, irreversible Änderungen vorgenommen werden[…]“.
Das wohl gravierendste und gesellschaftlich am heftigsten zu diskutierende Prinzip, ist Prinzip 24, das Recht auf Gründung einer Familie. Dort heißt es: „Jeder Mensch hat unabhängig von seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität das Recht, eine Familie zu gründen. Es gibt unterschiedliche Formen von Familien. Keine Familie darf aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität eines ihrer Mitglieder diskriminiert werden.“. Dann wird es konkret. Gefordert wird das Recht auf Adoption und medizinisch unterstützte Fortpflanzung (einschließlich Samenspende). Beides Dinge, von denen in der Bundesrepublik Deutschland lesbische und schwule Paare ausgeschlossen sind. Zudem wird für eingetragene Lebenspartnerschaften gefordert, dass sie die gleichen Rechte und Pflichten wie heterosexuelle Ehen haben müssen. Analog müssen auch die Rechte, die für nicht-verheiratete heterosexuelle Paare auch für nicht-verlebenspartnerte lesbische oder schwule Paare gelten. Gefordert wird demnach die rechtliche Gleichstellung, unabhängig von der sexuellen Orientierung.
Alles Utopie oder was? Nein, die Yogyakarta-Prinzipien stellen ein internationales anerkennungsfähiges Werkzeug dar, offensichtliche und nicht so offensichtliche Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität abzubauen. Sie können ein Handlungsrahmen für die weltweite Gleichstellung aller Lebensweisen sein, auf jeden Fall bieten sie konkrete Ziele, die es politisch umzusetzen gilt.
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