Tag Archiv für sexualität

Studie zur Sexualität ostdeutscher Jugendlicher: Ostdeutsche Jugendliche tolerant, informiert, ‚probierfreudig‘

Eine aktuelle umfassende Studie zur Sexualität ostdeutscher Jugendlicher ist äußerst interessant. Sie wurde von der Hochschule Merseburg und dem dortigen Studiengang Angewandte Sexualwissenschaft durchgeführt. Befragt wurden Jugendliche in städtischen und ländlichen Regionen Sachsens und Sachsen-Anhalts.
Die Studie wartet mit einigen beachtenswerten Ergebnissen auf, die auch vor dem Hintergrund der Debatten in Baden-Württemberg sowie um die aktuelle Diskussion um die ,Pille danach‘ beachtenswert sind. Eine ausführliche Übersicht über die Ergebnisse findet sich im Anhang. Unter anderem stellt das Autor_innenteam um Prof. Dr. Konrad Weller fest:

Homosexualität — mehr Toleranz, mehr Vielfalt:
Das Reflexions-und Toleranzniveau gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe hat sich in den letzten 20 Jahren gravierend positiv verändert: Waren es 1990 lediglich 29% der Jungen, die sich eine Freundschaft zu einem Schwulen vorstellen konnten, so sind es jetzt 62%, bei den Mädchen stieg der Anteil von 56% auf 91% (Grafik 10). Gleichzeitig verringerte sich der Anteil der diesbezüglich unreflektierten Jugendlichen deutlich.
Charakterisierten sich 1990 noch 73% aller jungen Frauen als ausschließlich heterosexuell, so sind es gegenwärtig nurmehr 58%. (Der Anteil der ausschließlich auf das andere Geschlecht orientierten Jungen liegt historisch konstant bei 85%). Dieser Wandel im Fühlen wird auch stärker in die Tat umgesetzt: Hatten in früheren Studien lediglich 7% der jungen Frauen homosexuelle Pettingerfahrung, sind es jetzt 24%.

Etabliert – Pille davor und Pille danach:
Mädchen beginnen heutzutage im Mittel fast anderthalb Jahre früher mit der Anwendung hormoneller Verhütungsmittel (1990: 16,7 Jahre, 2013: 15,3 Jahre). Die ungebrochen hohe Bedeutung der Pille zeigt sich auch in der aktuellen Nutzung. 57% der befragten Mädchen nahmen zum Zeitpunkt der Befragung die Pille (1990: 53%). Weitere 4% verwendeten ein anderes Hormonpräparat. Die Akzeptanz der Pille danach hat sich enorm gesteigert. Waren es 1990 noch 26%, die angaben die Pille danach nicht abzulehnen, sind es 2013 66%.
Große Akzeptanz sicherer Verhütungsmittel: Pille und Kondom genießen mit Abstand den größten Zuspruch. Insbesondere das Kondom hat weiter an Akzeptanz gewonnen (1980 waren 35% dafür, 1990: 82%, 2013: 92%). Für alle weiteren Methoden zeichnet sich im historischen Vergleich ein Zuwachs an Akzeptanz ab, sie spielen aber für das Verhütungsverhalten Jugendlicher eine untergeordnete Rolle.

Weitere Ergebnisse und Kontakt zur Studie:
http://www.ifas-home.de/downloads/PARTNER4_Handout_06%2006.pdf

Homepage der Hochschule: http://www.hs-merseburg.de
Homepage des Studiengangs: http://ifas-home.de

Ambiguität – bedeutsam für die Geschlechterforschung. Rezension von: Thomas Bauer, „Die Kultur der Ambiguität – Eine andere Geschichte des Islams“.

(von Heinz-Jürgen Voß, zuerst und vollständig hier bei querelles-net.de (13 (1)).

Abstract: Die umfassende Arbeit des Arabisten und Islamwissenschaftlers Thomas Bauer bietet eine exzellente Ausgangsbasis, um in der Geschlechterforschung weiterzudenken. Einerseits können nun die sich mit der ‚Moderne‘ etablierenden Gegensatzpaare Homosexualität vs. Heterosexualität und Frau vs. Mann (im Sinne eindeutiger und ‚wahrer‘ Zweigeschlechtlichkeit) als Modernisierungsphänomene vertiefend erforscht werden. Andererseits wird die Bedeutung von Ambiguität gründlich erschlossen: Mit der ‚Moderne‘ habe sich – so führt Bauer plastisch aus – die zuvor bereits in abendländischem Denken vorhandene Tendenz, nach Eindeutigkeit und Wahrheit zu suchen, weiter verstärkt. Widersprüchlichkeiten galten nun als Problem und wurden nach Möglichkeit beseitigt. Im arabischen Raum habe man sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts und mit Bezug auf europäische Quellen der Tilgung von Ambiguität angeschlossen. weiter bei querelles-net.de

Geschlecht und kapitalistische Produktionsweise, Queer und Antikapitalismus – Skizzen für neue Perspektiven

von Heinz-Jürgen Voß, Oktober 2011; zuerst auf dasendedessex.blogsport.de – Den Beitrag gibt es hier auch als pdf-Datei.

 

Um wirksame Konzepte für eine gerechte Gestaltung der Geschlechterordnung erarbeiten zu können, ist ein grundlegendes Verständnis der gesellschaftlichen Bedeutung von Geschlecht in der derzeitigen kapitalistischen, bzw. vielmehr spät-kapitalistischen, Wirtschaftsordnung erforderlich. Eines ist ganz offensichtlich: Die geschlechtliche Einordnung in Frau und Mann ist, bei allen Veränderungen der Art der Zuordnung und der geschlechtlichen Durchdringung der Gesellschaft, historisch hoch stabil. Wenn man bei wenigen gesellschaftlichen Bereichen von „Dispositiven“ im Sinne Michel Foucaults sprechen kann, so gilt das für „Geschlecht“, für „Frau und Mann“. Es handelt sich nicht nur um „Diskurse“, sondern um einen verfestigten gesellschaftlichen Bodensatz, der als quasi-natürlich erscheint, nicht befragt, geschweige denn intellektuell durchdrungen und verstanden wird. Weiterlesen

Dass Tiere Sex nur zu Zwecken der Fortpflanzung betrieben, sei kompletter Unsinn. Es „ist wohl eindeutig, dass all das hier viel mit Spaß zu tun hat.“

Immer wieder kommt die Frage nach „Homosexualität“ bei den verschiedenen Tierarten auf. Wenn es auch nicht geht, den Begriff „Homosexualität“ auf andere Tierarten als den Menschen anzuwenden (sie verweist auf eine Identitätsform, die sich seit dem 19. Jahrhundert etablierte), so konnte doch bereits bei vielen Tierarten gleichgeschlechtliches Verhalten gezeigt werden, dass auch nicht einfach auf Sex reduziert werden kann. 2007 gab es hierzu im Naturhistorischen Museum der Universität Oslo eine interessante Ausstellung, die auch touren soll – vielleicht ist sie auch einmal in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen.


Delphine bei der Penetration des Atemloches, Quelle.

Interessant ist sie allemal: So gaben die Organisator_innen in Interviews an, die auch in der deutschsprachigen Presse weite Verbreitung fanden, dass bspw. 80% der Zwergschimpansen „bisexuell“ seien, dass 20% der Möwen „homosexuell“ seien und dass bei 40% der Zwergkakadus „homosexuell“ seien. Insgesamt konnte bislang bei 1500 Tierarten gleichgeschlechtlicher Sex gezeigt werden. Interessant ist dies allemal, wird doch damit die verbreitete These widerlegt, dass Tiere nur Sex zu zwecken der Fortpflanzung hätten. «Wir wissen ja nicht, was sie denken. Aber es ist wohl eindeutig, dass all das hier viel mit Spaß zu tun hat.», so Petter Bøckman. Weiterlesen

„The Yogyakarta Principles“ – Umsetzung in der Bundesrepublik – eine Gedankenskizze

(von Ralf Buchterkirchen, vorab aus „Rosige Zeiten“, Juni/Juli 2009)

 

Vor 3 Jahren, am 27.03.2007 veröffentlichten international anerkannte MenschenrechtlerInnen im indonesischen Yogyakarta die sogenannten Yogyakarta Principles. In 29 Prinzipien wandten sie die Menschenrechte in bezug auf sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität an. Ziel war und ist es, auf internationaler und nationaler Ebene Richtlinien zum diskriminierungsfreien Umgang zu schaffen.

Neben dem Verbot von Folter, Todesstrafe sowie staatlicher Diskriminierung finden sich auch, das Recht auf Schutz der Gesundheit und das Recht eine Familie zu gründen.

In Deutschland sind die Prinzipien – ganz im Gegensatz zu Debatten in anderen Ländern – noch weitgehend unbekannt. Eine erste inoffizielle Übersetzung liegt seit Sommer 2008 vor. Die Bundesregierung betrachtet die Yogyakarta-Prinzipien „als wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft“ (Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Linke“ Bundestags-Drucksache 16/7658). Interessant an dieser Stelle ist, was die Umsetzung dieser Richtlinien für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten würde. Anhand einiger Beispiele soll dies hier skizziert werden: Weiterlesen

Sexualität ist nichts unanständiges – Leben mit Behinderung und Sexualität:

Thesen der BAG queer der PDS zum gemeinsamen Bundestreffen mit der AG Selbstbestimmte Behindertenpolitik. Autorinnen: Ralf Buchterkirchen, Heinz-Jürgen Voß

 

1. Sexualität stellt einen wichtigen Lebensbestandteil dar. Hier ist es besonders einfach Normalitäten, Hierarchien, Abhängigkeits- und Machtverhältnisse zu erzeugen. Heterosexualität und insbesondere die partnerschaftlich auf Ehe ausgerichtete Heterosexualität stellen Normen in der Gesellschaft dar, von denen „nicht abgewichen“ werden darf. „Schwul“, „lesbisch“, „behindert“, „degeneriert“ wird im Sprachgebrauch häufig abwertend für von der Norm abweichende Lebensweisen gebraucht.

2. Im Zusammenhang dieser Kategorisierung kommt es zu einer hierarchischen Anordnung von Individuen, bei denen man sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Innerhalb einer lesbisch-schwulen Community werden Menschen diskriminiert, die von einem schematischen Schönheitsmuster abweichen. Menschen mit Behinderung sind davon besonders betroffen. Innerhalb einer Community behinderter Menschen kommt es zur Ausgrenzung von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen. Behinderte Lesben und Schwule unterliegen damit einer doppelten Diskriminierung. Weiterlesen