Tag Archiv für politik

„The Yogyakarta Principles“ – oder Menschenrechte für alle Menschen

von Ralf Buchterkirchen, erschienen in „Rosige Zeiten“, April/Mai 2009)

 

1948 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie legte die Grundlage für universelle Menschenrechte. Auch wenn längst nicht in allen Staaten die Normen der erklärten Menschenrechte eingehalten werden (erinnert sei an das Verbot von Folter und Todesstrafe), so können sie doch als Erfolg gewertet werden. Die Allgemeinen Menschenrechte beinhalten jedoch nicht explizit den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen aufgrund der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung.

Wie nötig auch hier allgemeingültigen Richtlinien im Rahmen der Menschenrechte sind, zeigt ein Blick in die Politik nahezu jeden Staates dieser Erde. In einigen Ländern existiert noch die Todesstrafe für gelebte Homosexualität oder für gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen, bei manchen droht lange Haft oder Folter. Selbst das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung ist teilweise verboten. In vielen Ländern sind staatliche Behörden an Diskriminierungen direkt und indirekt beteiligt. Diskriminierungen finden aber auch an anderer Stelle statt. So werden Menschen gezwungen ein Geschlecht anzunehmen, werden intersexuelle Menschen zwangsweise operiert oder ergeben sich auf Grund der Lebensweise Nachteile im Beruf. Weiterlesen

Rassistische Polizeigewalt

(von Heinz-Jürgen Voß; erschienen in: „Rosige Zeiten“ Februar/März 2009)

 
Der Dezember 2008 gab ’schreiende‘ Anlässe, rassistisch motivierte Gewalt von Seiten der Polizei in den Blickpunkt zu rücken. Diese zwei ‚Vorfälle‘ werden hier noch einmal vorgestellt. Letztlich geht es nicht darum, Polizist_innen unter den Generalverdacht zu setzen, gewalttätige Übergriffe zu verüben. Aber es geht darum, ‚Vorfälle‘ in den Blick einer kritischen Öffentlichkeit zu rücken und auch Polizist_innen zu ermutigen, nicht wegzuschauen und nicht in einem falsch verstandenen Zusammengehörigkeitsgefühl, Straftaten zu decken.

Am 7. Januar 2005 kam Oury Jalloh, ein Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone, in der Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers ums Leben. Er verbrannte bei lebendigem Leibe. Auf einer Matratze liegend, gefesselt an Händen und Füßen sollte Jalloh sich selbst angezündet haben. Gleichwohl musste die Anklage gegen die angeklagten Polizisten fallengelassen werden, dies nicht weil sie eindeutig von einer Schuld freigesprochen werden konnten, sondern weil ein ganzes Polizeirevier mauerte. Entsprechend erklärte der Richter den Prozess für gescheitert, gescheitert an Schweigen und sich widersprechenden Aussagen. Diese hätten es unmöglich gemacht, den gesamten Vorfall zu erhellen. Nicht geklärt wurde, wie Jalloh, der durchsucht wurde, Streichhölzer mit in die Zelle habe nehmen können, wie er sich in gefesseltem Zustand selbst habe entzünden sollen und warum trotz Feueralarms und Hilfeschreien die über die Gegensprechanlage wahrnehmbar waren keine Polizist_innen ihm zu Hilfe eilten. Ein im Jahr 2006 für den Prozess erstelltes Gutachten stellte fest, dass sofern sofort Polizist_innen Jalloh zu Hilfe geeilt wären, er mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können. Nach 22 Monaten, 60 Verhandlungstagen endete der Prozess am 8. Dezember 2008. (1) Weiterlesen

Hans Peter Hauschild (Hrsg.): Fluchtversuche. Das Leben des Miro Sabanovic zwischen Familienterror, Bahnhof Zoo und Ausländerbehörde.

rezensiert von Heinz-Jürgen Voß, für „Rosige Zeiten“, Nr. 119)

Ein kleines bisschen Unrecht wird Miro Sabanovic schon wieder getan: Eine „Frechheit auf zwei Beinen“, wie es im Nachwort des Herausgebers Hans Peter Hauschild (mittlerweile verstorben) heißt, ist er gewiss nicht. Dies wird nach der Lektüre von Miros Tagebuchaufzeichnungen deutlich. Problematisch ist es, dass im ausführlichen Nachwort Kinderprostitution und die Hierarchie zwischen Freiern und Kindern bei dieser nicht problematisiert werden…

Miro Sabanovic hat eine unglaubliche ganz große Lebensgeschichte an Hand seiner Tagebuchaufzeichnungen zu erzählen, die ich nicht erlebt haben möchte. Kurz vorangestellt sei: die Geschichte ist lesenswert. Sie offenbart Gedanken eines Menschen, der in seinem Leben wahnsinnige Qualen über sich ergehen lässt, und dennoch ein kreischendes, aufbegehrendes, wütendes, freudiges, liebevolles Wesen hat. Er sorgt für Anstoß, stiehlt – auch weil er von seinen Eltern schon von früh an dazu genötigt wurde –, erleidet schwerste Verbrennungen, mutwillig verursacht von seinen Eltern, weil er weggelaufen war… oder er wird mit einer Kette gefesselt und so lange auf seinen Schädel eingeschlagen, bis Miro blutig und ohnmächtig ist… Im zerfallenden Jugoslawien wird er mehrfach von der Polizei festgenommen und schwer misshandelt, dann wieder zu den Eltern gelassen. Seit 1992 hat er Asyl in der Bundesrepublik Deutschland, er muss wieder stehlen, flieht, wird immer wieder gefunden, flieht in ein Heim, in dem er sich sicher glaubt… aber als eine Sozialarbeiterin bei einem seiner Wutanfälle droht, die Familie zu informieren, flieht Miro wieder. Miro macht mit Gefängnissen Bekanntschaft – wegen Diebstahls; sein Bruder der seine Frau erstochen hat, bekommt ein Jahr auf Bewährung. In der ersten Gefängnishaft ergänzt er seine bereits gute deutsche Aussprache auch durch die Kenntnis des Lesens und Schreibens – eine Sozialarbeiterin, die er zunächst nicht mag und dann liebgewinnt und die auch weiterhin zu Unterrichtsstunden zu ihm kommt und einfach zuhört, obgleich er aus ihrem Bereich verlegt wurde, hat daran großen Anteil. Über einige Polizist_innen in der BRD lacht Miro, weil sie ihn immer wieder freilassen und nett behandeln – andere treten und schlagen ihn brutal zusammen, auch in der BRD. Ab einem Alter von zwölf Jahren geht Miro anschaffen, in der schwulen Szene von Berlins Motzstraße. Er geht ins „Datscha“, „Pinocchio“, ins „Tabasco“ oder „Eldorado“, später lieber ins „Filou“, in dem er besser verdient und in dem er immer wieder hofft, auch Benn zu treffen, einen elfjährigen Freund, den er lieb gewonnen hat und der dort ebenfalls anschafft. Er verdient dort nicht schlecht, lernt nette Freier kennen, die gut bezahlen und ihm etwas Geborgenheit und Liebe geben. Einige halten länger zu ihm, ersetzen ihm den liebevollen Vater… Als er das erste Mal einen Freier hat, erschrickt er sich, über die länge des Schwanzes – und als etwas weißes herausspritzt, dass er an sich noch nie so erlebt hat. Das erste Mal gefickt werden, mit Rolf, empfindet Miro als sehr angenehm – dabei bekommt er auch einen Ständer… Miro kommt auf Dope, auf Heroin, kommt mehrfach davon los und wird dann wieder rückfällig, er heult, mag sehr gern seinen kleinen Bruder – für den er auch sein Leben geben würde, wie er schreibt –, liebt Robert – der viel für ihn tut, und Miros Ungerechtigkeiten aushält und wohl auch Heute noch für Miro da ist, wo ihre Liebe an all den Zumutungen zerbrochen ist und Miro Sabanovic nach Bosnien abgeschoben wurde… Weiterlesen

Hedwig Dohm: „Die Antifeministen“

(Erschienen: 1902; Reprint: 1976; Digitale Bibliothek: 2004)

 

„Die Frauenfrage in der Gegenwart ist eine akute geworden. Auf der einen Seite werden die Ansprüche immer radikaler, auf der anderen die Abwehr immer energischer. Letzteres ist erklärlich. Je dringender die Gefahr der Fraueninvasion in das Reich der Männer sich gestaltet, je geharnischter treten die Bedrohten entgegen.“ (S.3) Dohm war eine derjenigen, die sich aus wissenschaftlicher Perspektive zur „Frauenfrage“ um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jh. äußerten. Sie nahm vehement Stellung für die Sache der Frauen, die eigentlich die Sache aller Menschen sein sollte. Dohm stellte heraus, dass Frauen gerade durch den – gesellschaftlich erzwungenen – Nichtgebrauch des Gehirns versimpeln würden, und trat mit diesem Argument der These entgegen, dass die Frau „von Natur aus“ in ihren geistigen Fähigkeiten beschränkt sei. Diese These war in der damaligen Biologie und Medizin verbreitet: ein wirkliches weibliches Talent hielt bspw. P. J. Möbius (bekannt geworden durch seine antifeministische und bis ins 21. Jh. verbreitete Schrift: „Der physiologisches Schwachsinn des Weibes“, Erstveröffentlichung 1900) für einen Hermaphroditismus. Ein eigentlich männlicher Charakter trete bei der Frau auf (S.70). Dohm: „Nachdem der schöne alte Herr Möbius dem Weibe die lange Liste ihrer tierähnlichen Qualitäten entrollt hat, setzt er mit goldiger Naivität hinzu: ‚Sehen wir uns auch genötigt, das normale Weib für schwachsinnig zu erklären, so ist damit doch nichts zum Nachteil des Weibes gesagt.’ Kleiner Schäker!“ (S.67) Reich belesen, fachlich fundiert und dennoch mit reichlich Humor konterte Dohm auf frauenfeindliche Schriften u.a. des benannten Möbius aber auch von G. Ferrero / C. Lombroso, T. L. W. von Bischoff und L. Hanson (sie schrieb unter dem Pseudonym: L. Marholm). Weiterlesen

## Queer politics ## zwischen kritischer Theorie ## und praktischer (Un)Möglichkeit ##

Der nachfolgende Text ist veröffentlicht (in leicht veränderter Fassung) in: UTOPIE kreativ, 2005 (182): S. 1108-1114 (Download als pdf-Datei).

„Queer“ ist im Rahmen der queer theory und der daraus resultierenden bzw. zu Grunde liegenden Praxis nicht gleichbedeutend mit lesbisch oder schwul, wie es in Wörterbüchern häufig zu finden ist. Aus dem Englischsprachigen kommend (übersetzt heißt es soviel wie „merkwürdig“, „komisch“, „sonderbar“ und erhält im Sprachgebrauch eine mit „Arschficker oder „Schlampe“ vergleichbare Bedeutung) wurde der Begriff durch die Gruppe „Queer Nation“ selbstbewusst aufgegriffen und erfuhr eine Umdeutung zu einer übergreifenden Bezeichnung, die Menschen aller Identitäten und Lebensweisen einschließt.

Queer Nation, Lesbian Nation, Bitch Nation
Ende der 1980er Jahre entwickelte sich „Queer Nation“* in den USA als loser Zusammenschluss von Menschen, die aus der Gesellschaft ausgegrenzt und zu Außenseiterinnen gemacht wurden. Es entstand eine Sammelbewegung, die mit radikalen Aktionen und einer radikalen Sichtbarkeit den weißen mittelständischen heterosexuellen Mainstream angriff und Kritik an der ebenfalls diskriminierenden lesbischen und schwulen Community übte. Radikale Aktionen und Sichtbarkeit heißt das Eindringen in als vor Störungen sicher geglaubte weiß und heterosexuell normalisierte Räume, das Eindringen in die Konsumgesellschaft, das Eindringen und positive Besetzen des Mainstreams und das Aufgreifen patriotischer Aussagen und Symbole. Ein Haufen von 50 und mehr „Queers“ ging schrill gekleidet und laut shoppen, ging gemeinsam in sonst weiß und heterosexuell dominierte Lokale, veranstaltete sit-ins, die-ins und kiss-ins… Es wurde ein schwarzer und ein mit queer-T-Shirt bekleideter Bart Simpson kreiert und die US-amerikanische Nationalflagge verfremdet mit rosa Dreiecken von nur mit der Fahne bekleideten Menschen durch die Straßen getragen. Ziel war, öffentliche Räume psychologisch unsicher (im Sinne der Mehrheitsmoral) zu machen und damit Normierungen aufzubrechen; öffentlicher Raum sollte mit Sexualität und politischer Identität besetzt werden. Weiterlesen

Queer zwischen kritischer Theorie und Praxisrelevanz

Der nachfolgende Vortrag ist veröffentlicht in: H.-J. Voss (2004): Queer zwischen kritischer Theorie und Praxisrelevanz; in: H. Hertzfeldt, K. Schäfgen, S. Veth (Hrsg.): Geschlechter Verhältnisse – Analysen aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Dietz Verlag, Berlin.
„Sehr geehrte Damen und Herren“ ist ein Anfang, wie er bei nahezu jeder Rede und beinahe jedem Anschreiben gebraucht wird. Schon in dieser Begrüßungsformel wird deutlich, wie binär unser Alltagsleben aufgebaut ist, wie wenig Platz Menschen darin finden, die nicht dem gesellschaftskonformen Schema entsprechen. Nur zu oft greifen auch Menschen darauf zurück, die es eigentlich besser wissen müssten, Menschen, die schon seit langem in gender oder queeren Zusammenhängen aktiv sind. Ich möchte Dich mit diesem Text zu einem queeren Diskurs einladen, zu einer radikalen Kritik der normativen Zweigeschlechtlichkeit, wie sie die queer-Theorie offen darlegt (1. Abschnitt), und darüber hinaus zu einer kritischen Betrachtung theoretischer queer-Konzepte in Bezug auf ihre Praxisrelevanz (2. Abschnitt). Schließen möchte ich mit einer Vision einer verqueeren Gesellschaft. (1) Weiterlesen

Eine queere EU gestalten – Vorurteile und Diskriminierung abbauen. Forderungen der BAG queer der PDS

In den vergangenen Jahren hat sich einiges in der Europäischen Union getan. Erstmals wurden mit dem Amsterdamer Vertrag 1997 ein Diskriminierungsverbot als Ziel europäischer Politik festgeschrieben. In Artikel 13 heißt es: „ Unbeschadet sonstiger Bestimmungen kann der Rat […] einstimmig geeignet Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen[…] der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“. Mit der Grundrechtscharta der EU wurde im Jahre 2000 dieser Weg weiter beschritten. Artikel 21 verbietet erstmals explizit die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.
Eine konkrete Umsetzung gab es mit der EU-Richtlinie „Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG)“, die zwingend in nationales Recht aller Mitgliedsländer umgesetzt werden muss. Das Verbot von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist auch Bestandteil des Entwurfes der EU-Verfassung. Die Europäische Union erweist sich damit als Vorreiter, die mit ihren Beschlüssen zumeist über das hinausgeht, was in den meisten europäischen Staaten Grundlage der Rechtssprechung ist.
Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch hier noch erheblichen Handlungsbedarf gibt und neue Benachteiligungen, beispielsweise durch eine rigide Abschottungspolitik, nach außen produziert werden.
In vielen Ländern der EU und denen die im Mai 2004 neu aufgenommen werden sollen, existieren immer noch deutliche Defizite bei der Gleichbehandlung von Menschen aller Identitäten oder sexuellen Orientierungen. Weiterlesen

Diskriminierung und ein Antidiskriminierungsgesetz

Um zukünftig Benachteiligung zu verringern, hat die EU im Jahr 2000 die Richtlinie 2000/78/EWG erlassen, die bis Ende 2003 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Sie verbietet jede Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf und soll sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich gelten, d.h. Vereine genau so betreffen, wie private ArbeitgeberInnen, Gewerkschaften oder den öffentlichen Dienst.
Bereits in der letzten Legislatur wollte die rot-grüne Bundesregierung auch in der Bundesrepublik ein Antidiskriminierungsgesetz umsetzen; dafür blieb am Ende wohl doch keine Zeit… In diesem Jahr wird es nun einen neuen Entwurf geben, um Vertragsstrafen durch die EU noch rechtzeitig zu entgehen. Es geht also nicht mehr um das „ob“, sondern vielmehr um das „wie“.
Es geht nun also vorerst darum, beide EU-Richtlinien in nationales Recht umzusetzen und, wie 2002 von rotgrün noch vorgesehen, weitergehendere Regelungen Gesetzeskraft zu verleihen. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gesetze allein die Lebenswirklichkeit nicht verändern. Sie geben einen Rahmen, in dem Gleichberechtigung von Menschen und Initiativen gegen Diskriminierung ihren Platz finden können.