Tag Archiv für heteronormativität

Die Rückkehr der Geschlechterbinarität – und ein wirksames Gegengift: selber Denken.

(von Heinz-Jürgen Voß; erschienen in: „Rosige Zeiten“ August/September 2007; hier leicht geänderte Fassung)

„Es ist, als müßte um jeden Preis ein Fehltritt vermieden werden; am besten bewahrt uns vor einem solchen Fehltritt eine sexuelle Differenzierung, die auf den ersten Blick erkennen läßt, ob ein bestimmtes Individuum zu der Gruppe möglicher Sexualobjekte gehört oder nicht.“
(A. G. Düttmann, nach: Hirschauer, 1999 S.62)

Insbesondere die Frauenbewegungen aber auch Erkenntnisse anschließend an die Bisexualitäts-Theorie haben Geschlecht als kulturell konstruiert ausgewiesen und breit in biologische Forschungen und medizinische Behandlungen Eingang halten lassen. Jeder Mensch sei Mann und Frau, trage Eigenschaften von beiden Geschlechtern in sich, die sich später durch Sozialisationsprozesse mehr oder weniger eingeschlechtlich ausformen würden (Bisexualitäts-Theorie). Diese Vorannahme fand in medizinischen Programmen zur Behandlung von Menschen mit „uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen“ Umsetzung, wobei – wie bei allen Kindern – zunächst über Klitoris/Penislänge bestimmt wird, ob es sich um einen ‚Jungen‘ oder ein ‚Mädchen‘ handele. Das derzeit noch immer in der Anwendung befindliche Behandlungsprogramm der „frühen Geschlechtszuweisung“ wurde in den 1950er Jahren von John Money, Joan Hampson und John Hampson eingeführt. In diesem wird davon ausgegangen, dass ein Kind bei der Geburt geschlechtlich neutral sei und das sich insbesondere zwischen dem 18. und 48. Lebensmonat die Geschlechterrolle durch soziale Prozesse auspräge. Mit diesem Behandlungsprogramm waren und sind operative und hormonelle Maßnahmen verbunden, um insbesondere die äußeren Genitalien an das Erwartungsbild einer zweigeschlechtlich normierten Gesellschaft anzugleichen. Entsprechend führten auch John Money und Anke Ehrhardt zur Begründung des Behandlungsprogrammes in den 1970er Jahren aus: „Eltern warten neun Monate gespannt darauf, ob ihr Kind ein Mädchen oder ein Junge ist. Sie denken selten daran, daß sie damit auch auf ein entscheidendes Signal warten, wie sie sich dem Baby gegenüber verhalten sollen. Das Aussehen der äußeren Geschlechtsmerkmale und deren Einstufung als weiblich oder männlich setzt eine Reihe von Ereignissen in Gang. Mit dem Ausruf ‚es ist ein Mädchen’ oder ‚es ist ein Junge’ beginnt eine Kette geschlechtsabhängiger Reaktionen der Umwelt. Rosa bzw. blaue Babywäsche, weibliche bzw. männliche Vornamen und Personalpronomen usw. Alle Menschen, mit denen das Kind in Berührung kommt, werden es geschlechtstypisch behandeln, Tag für Tag, jahrein, jahraus, von der Geburt bis zum Tod.“ (Money, 1975 S.24/25) Weiterlesen