Tag Archiv für geschlecht

Caster Semenya: wie aus einem Menschen ein „Fall“ wird

von Heinz-Jürgen Voß; überarbeitete Version aus „Rosige Zeiten“, 124

In den letzten Wochen gingen zahlreiche Berichte durch die Medien, die von einem „Fall Semenya“ sprachen. Um es kurz zu machen: Caster Semenya, eine südafrikanische Sportlerin, errang bei der Leitathletik-Weltmeisterschaft 2009 in Berlin die Goldmedaille beim 800-Meter-Lauf der Frauen.
Von einer erfolgreichen Sportlerin Caster Semenya bis zum „Fall Semenya“ war es in der medialen Berichterstattung nur ein kurzer Schritt. Ins Spiel gebracht wurde eine flache Brust, die Semenya durch Konkurrentinnen und mediale Berichterstatterinnen diagnostiziert wurde. Ein Mensch mit einer flachen Brust könne keine Frau sein. Die International Association of Athlethic Federations (IAAF), der weltweite Dachverband der Leichtathletik-Verbände, folgte diesem Ansinnen und beauftragte ein interdisziplinäres „Expertinnen“-Team das Geschlecht von Caster Semenya zu bestimmen – die Aussagen von Semenya, ihrer Eltern, von südafrikanischen Sportverbänden reichten hierfür offenbar nicht aus.
Auch folgte die IAAF nicht den Zweifeln, die das Olympische Komitee dazu veranlassten bei den Olympischen Spielen 2000 und 2004 auf eine weitgehende Liberalisierung bzgl. des Geschlechts zu setzen;(1) immerhin mit ihren eigenen Regelungen zur Geschlechtsfeststellung(2) erkennt die IAAF an, dass Geschlechtsbestimmung nicht einfach ist, sieht aber weiterhin in Zweifelsfällen entsprechende Tests vor. Weiterlesen

„The Yogyakarta Principles“ – Umsetzung in der Bundesrepublik – eine Gedankenskizze

(von Ralf Buchterkirchen, vorab aus „Rosige Zeiten“, Juni/Juli 2009)

 

Vor 3 Jahren, am 27.03.2007 veröffentlichten international anerkannte MenschenrechtlerInnen im indonesischen Yogyakarta die sogenannten Yogyakarta Principles. In 29 Prinzipien wandten sie die Menschenrechte in bezug auf sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität an. Ziel war und ist es, auf internationaler und nationaler Ebene Richtlinien zum diskriminierungsfreien Umgang zu schaffen.

Neben dem Verbot von Folter, Todesstrafe sowie staatlicher Diskriminierung finden sich auch, das Recht auf Schutz der Gesundheit und das Recht eine Familie zu gründen.

In Deutschland sind die Prinzipien – ganz im Gegensatz zu Debatten in anderen Ländern – noch weitgehend unbekannt. Eine erste inoffizielle Übersetzung liegt seit Sommer 2008 vor. Die Bundesregierung betrachtet die Yogyakarta-Prinzipien „als wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft“ (Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Linke“ Bundestags-Drucksache 16/7658). Interessant an dieser Stelle ist, was die Umsetzung dieser Richtlinien für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten würde. Anhand einiger Beispiele soll dies hier skizziert werden: Weiterlesen

Die Rückkehr der Geschlechterbinarität – und ein wirksames Gegengift: selber Denken.

(von Heinz-Jürgen Voß; erschienen in: „Rosige Zeiten“ August/September 2007; hier leicht geänderte Fassung)

„Es ist, als müßte um jeden Preis ein Fehltritt vermieden werden; am besten bewahrt uns vor einem solchen Fehltritt eine sexuelle Differenzierung, die auf den ersten Blick erkennen läßt, ob ein bestimmtes Individuum zu der Gruppe möglicher Sexualobjekte gehört oder nicht.“
(A. G. Düttmann, nach: Hirschauer, 1999 S.62)

Insbesondere die Frauenbewegungen aber auch Erkenntnisse anschließend an die Bisexualitäts-Theorie haben Geschlecht als kulturell konstruiert ausgewiesen und breit in biologische Forschungen und medizinische Behandlungen Eingang halten lassen. Jeder Mensch sei Mann und Frau, trage Eigenschaften von beiden Geschlechtern in sich, die sich später durch Sozialisationsprozesse mehr oder weniger eingeschlechtlich ausformen würden (Bisexualitäts-Theorie). Diese Vorannahme fand in medizinischen Programmen zur Behandlung von Menschen mit „uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen“ Umsetzung, wobei – wie bei allen Kindern – zunächst über Klitoris/Penislänge bestimmt wird, ob es sich um einen ‚Jungen‘ oder ein ‚Mädchen‘ handele. Das derzeit noch immer in der Anwendung befindliche Behandlungsprogramm der „frühen Geschlechtszuweisung“ wurde in den 1950er Jahren von John Money, Joan Hampson und John Hampson eingeführt. In diesem wird davon ausgegangen, dass ein Kind bei der Geburt geschlechtlich neutral sei und das sich insbesondere zwischen dem 18. und 48. Lebensmonat die Geschlechterrolle durch soziale Prozesse auspräge. Mit diesem Behandlungsprogramm waren und sind operative und hormonelle Maßnahmen verbunden, um insbesondere die äußeren Genitalien an das Erwartungsbild einer zweigeschlechtlich normierten Gesellschaft anzugleichen. Entsprechend führten auch John Money und Anke Ehrhardt zur Begründung des Behandlungsprogrammes in den 1970er Jahren aus: „Eltern warten neun Monate gespannt darauf, ob ihr Kind ein Mädchen oder ein Junge ist. Sie denken selten daran, daß sie damit auch auf ein entscheidendes Signal warten, wie sie sich dem Baby gegenüber verhalten sollen. Das Aussehen der äußeren Geschlechtsmerkmale und deren Einstufung als weiblich oder männlich setzt eine Reihe von Ereignissen in Gang. Mit dem Ausruf ‚es ist ein Mädchen’ oder ‚es ist ein Junge’ beginnt eine Kette geschlechtsabhängiger Reaktionen der Umwelt. Rosa bzw. blaue Babywäsche, weibliche bzw. männliche Vornamen und Personalpronomen usw. Alle Menschen, mit denen das Kind in Berührung kommt, werden es geschlechtstypisch behandeln, Tag für Tag, jahrein, jahraus, von der Geburt bis zum Tod.“ (Money, 1975 S.24/25) Weiterlesen

Lieber ein warmer Bruder als ein Kalter Krieger! Geschlechterrollen und Militarismus

„Ob er nun in Kroatien, Bosnien, Serbien, in Indochina oder Uzbekistan kämpft, ob Befreiungskämpfer oder Imperialist, der Krieger vergewaltigt Frauen. Er fühlt es in seinem Kopf, in seinem Gewehr und in seinem Sexualorgan: die Zivilisation ermutigt ihn, genau das zu tun. […] Es geht weniger um die ‘Wiederherstellung’ des Kriegers, denn um die Selbstvergewisserung der eigenen Macht, und die Befriedigung des Gefühls, zu den wahren Männern zu gehören.“ Lepa Mladjenovic

Krieg und Vergewaltigung, Militär und Prostitution gehören nach Meinung vieler Antimilitaristen untrennbar zusammen, womit dann auch häufig schon die Analyse aufhört. Es ist ein leichtes sich von einem solchen „Bild des Mannes“ zu distanzieren und sich damit einer weiteren Beschäftigung mit Männlichkeit und Militär zu entziehen. Ist Macht- und Gewaltstreben wirklich so untrennbar an den „(harten) Mann“ gebunden? Welchen Einfluss hat die Bundeswehr damit auf den Gewaltpegel in der Bevölkerung? Und welchen Einfluss hat die Öffnung der Bundeswehr für Frauen, das Verbot der Diskriminierung von Lesben und Schwulen – Kommt damit endlich auch „Gefühl“ in die Truppe? Oder sind das alles überkommene Rollen – die gefühlvolle Frau und der kämpferische Mann? Weiterlesen